© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 04/22 / 21. Januar 2022

Ich bin gesund!
… doch das hilft mir nichts: Die Corona-Politik kennt nur noch kranke Menschen
Konrad Adam

Als Journalist ist man gehalten, das „Ich“ zu vermeiden. Man will und soll berichten, schildern, darstellen, argumentieren, und das gelingt in der dritten Person allemal besser als in der ersten. Corona hat auch diese ehrwürdige Regel über den Haufen geworfen. Nachricht und Kommentar, Bericht und Bekenntnis, Wissen und Glauben, Fakten und Fiktionen gehen so wild und schamlos durcheinander, daß ich mißtrauisch geworden bin gegen alles, was von oben kommt, gegen Statistiken und Diagramme, Aufrufe und Empfehlungen, Drohungen und Prognosen; und ich bin keineswegs der einzige, dem es so geht. Ich fühle mich wie Rilkes Panther: Mir ist, als ob es tausend Fakten gäbe, und hinter tausend Fakten keine Welt. Da bleibt nur noch der Rückzug aufs Private, die eigene Person, das Ich.

Um mich kurz vorzustellen: Statistisch gehöre ich zur Hochrisiko-gruppe, schon meines Alters wegen. Deswegen bin ich vorsichtig gewesen, habe gesund gelebt, mich viel bewegt, Abstand gehalten (sehr gern) und die Maske aufgesetzt (weniger gern); gut zu lüften und mir die Hände zu waschen hatte ich schon vorher gelernt, das mußten mir die Spahns und Lauterbachs nicht erst noch beibringen. Ich habe etliche Tests hinter mich gebracht, allesamt negativ, fühle mich gesund, bin es wohl auch und werde es, wenn alles gutgeht, hoffentlich auch bleiben.

Genutzt hat mir das alles aber nichts. Wie alle Welt stehe ich unter der Fuchtel eines Gesundheitsregiments, das seines Namens spottet, weil es die Existenz, ja den Begriff des gesunden Menschen nicht mehr kennt, nicht gelten lassen will, für obsolet, ja für gefährlich hält. Die Skala reicht nur bis 3G, die vierte Stufe, „gesund“, ist nicht mehr vorgesehen. Wer sich gesund fühlt, ist verdächtig.

Ungeimpft wie ich bin und bis auf weiteres auch bleiben möchte, habe ich mich damit abgefunden, als dumm, naiv oder bekloppt dargestellt und  gebrandmarkt zu werden, sogar von einem ehemaligen Bundespräsidenten. Wogegen wenig einzuwenden wäre, wenn ich genauso öffentlich danach fragen dürfte, wie dumm, naiv oder bekloppt man sein muß, um Maßnahmen anzuordnen, zu verteidigen und durchzusetzen, deren Wirksamkeit, um mich vorsichtig auszudrücken, umstritten ist. Nach allem, was wir wissen, ist das „Impfen, impfen, impfen“ nicht so vorteilhaft wie versprochen; das „Testen, testen, testen“ nicht so nötig, wie behauptet; womit dann auch das dritte Attribut, die Verhältnismäßigkeit, entfällt. Die Politik hat sich ganz offensichtlich übernommen. Sie hat Erwartungen geweckt, die ihre Kräfte übersteigen. Je länger das Desaster anhält, desto handfester der Verdacht, daß die Maßnahmen nicht greifen; was man jedoch nicht sagen darf. Denn in Deutschland wird der herrschaftsfreie Dialog so herrschaftlich geführt, wie Jürgen Habermas das seinen Jüngern beigebracht hatte.

Das allgegenwärtige Solidaritätsgestöhn wird mich nicht rühren, solange Solidarität als eine Gewerkschaftstugend praktiziert wird, die sich von der christlichen Nächstenliebe dadurch unterscheidet, daß sie neben Freunden auch Feinde kennt. Bekanntlich solidarisiert man sich ja nicht nur mit, sondern auch (und meistens noch viel lieber) gegen irgendwas und irgendwen; in diesem Falle also gegen Leute wie mich. Ich habe die Blockwarte erlebt, denen es Spaß macht, andere zu ducken, zu denunzieren und anzuprangern, um selbst ein bißchen größer dazustehen. Was immer der Kanzler dazu sagt – das Land ist gespalten, tief gespalten, und wird so bleiben, wenn die Regierung glaubt, zusammen mit der Mehrheit auch die Wahrheit gepachtet zu haben.

Von allen Daten, Inzidenzwerten und Hospitalisierungsraten, die mir tagtäglich zugerufen werden, sind die Geschäftszahlen die interessantesten. Während es beim Infektionsgeschehen auf und ab geht, schießen die Umsätze und die Gewinne seit Monaten steil nach oben. Jahrelang sind Firmen wie Curevac oder Biontec vor sich hingedümpelt, bis ihnen dann die kollektive Hysterie zum großen Sprung nach vorn verhalf. Gesundheit ist ein Zauberwort, das weder Widerspruch noch Zweifel duldet und Maßnahmen erlaubt, ja fordert, an die sonst nicht zu denken wäre. Die Mächtigen haben das genauso schnell begriffen wie die Geschäftsleute und zugelangt. Der Notstand konnte dazu genutzt werden, Grundrechte zu verkürzen, Bürger zu drangsalieren und das Contact-Tracing als jene Art von Nachverfolgung zu installieren, für die man auch noch dankbar sein muß.

Mit der Maskenpflicht habe ich mich abgefunden, mit der Testpflicht auch, obwohl ich die Einwände kenne. Einer Impflicht werde ich allerdings nicht nachkommen, ganz gleich, ob sie mir von Regierungen, Parlamenten oder Ethikräten empfohlen oder angesonnen, verordnet oder aufgezwungen wird. Wo es um Grundfragen des richtigen Lebens geht, bediene ich mich gern meines eigenen Verstandes, halte mich also lieber an Kant als an Olaf Scholz. Ich habe die goldenen Worte nicht vergessen, mit denen sich die SPD einst Mut gemacht hatte. Wenn die Mehrheit versagt, hieß es auf einer Parteiveranstaltung, dem Kulturforum der SPD, müsse das Volk – die SPD sprach damals noch von Volk – in Gestalt seiner Bürger, „auch einzelner Bürger“, in seine originären Rechte eintreten und den Rechtsstaat gegen den autoritären Legalismus der Mächtigen verteidigen. Ein solcher Bürger bin jetzt ich.

Erst neulich ist der Bundespräsident der leichtfertigen Floskel von der Impf-Diktatur entgegengetreten, völlig zu Recht, wie ich meine. Er hätte freilich gut daran getan, sich im gleichen Atemzug gegen das ebenso törichte Gerede eines Ärztefunktionärs zu verwahren, der von einer „Tyrannei der Ungeimpften“ gesprochen hatte. Der Mann trat als Experte auf, aber wie der Verrat eine Frage des Zeitpunkts, ist die Expertise eine Frage des Geldes. Wer die Szene überblickt, kennt nicht nur die Namen, sondern auch die Preise, die man zahlen muß, um das zu erhalten, was man haben will. 

Wenn es dem Präsidenten ernst ist mit seinem Wunsch nach Versöhnung, könnte er auf die WHO zurückgreifen, die World Health Organization, die Gesundheit als einen Zustand vollständigen physischen, psychischen und sozialen Wohlbefindens definiert hat – reichlich hochgestochen, aber doch nicht falsch, weil der Mensch ein soziales Lebewesen ist und neben dem Körper auch über eine Seele verfügt. Sollte das vergessen worden sein, sind wir durch die Verheerungen, die das Zwangsregiment in Familien und Heimen, in Kindergärten, Schulen und Universitäten angerichtet hat, eines besseren belehrt worden. Zwei Jahre lang sind die psychischen und gesellschaftlichen Dimensionen der Gesundheit übersehen, vernachlässigt und mißachtet worden. Ist es nicht höchste Zeit, an sie zu denken, sie zu schonen, zu bewahren und zu pflegen?






Dr. Konrad Adam, Jahrgang 1942, war Feuilletonredakteur der FAZ und Chefkorrespondent der Welt. Er gehörte zu den Mitbegründern der Alternative für Deutschland, die er Ende 2020 wieder verließ.