© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 04/22 / 21. Januar 2022

Gefühl mit Politik verquirlen
Glosse: Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt will die Einrichtung des Amts einer Parlamentspoetin vorantreiben
Matthias Matussek

Diese Zimmerbelegung, die möglicherweise wieder mal auf eine teure Baumaßnahme hinausläuft, klang reichlich diffus, um nicht zu sagen gaga, denn es war die grüne Kita-Leiterin Katrin Göring-Eckardt, im Brotberuf Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages, die sich begeistert zeigte und es in ihrer enthusiastischen Ungefähr-Sprache so ausdrückte: „Ich unterstütze es, einen neuen diskursiven Raum zwischen Parlament und lebendiger Sprache zu öffnen. Poesie kann dazu einen wichtigen Beitrag leisten.“ Aha.

Nun weiß jeder, der mal versucht hat, einer der Gendersprecher:innen zu folgen, daß zwischen Parlament und lebendiger Sprache ein Abgrund gähnt. Also Raum wäre da. Man könnte ihn mit Rauhfasertapete bekleben und diese mit Fingerfarben von Kindern aus Problembezirken bunt patschen lassen, unter der Schirmherrschaft von Frank-Walter dem Steinernen. Die Lehrer-Postille Zeit, allen verquatschten Mensa-Ideen gegenüber hoch aufgeschlossen, witterte sofort eine Wolken-Debatte über das „Verhältnis von Geist und Macht“. 

Eine der Ideengeber, Simone Buchholz, hat die Witterung bereits aufgenommen. Zusammen mit den Autoren Mithu Sanyal und Dmitrij Kapitelman hatte sie in einem Gastbeitrag in der Süddeutschen Zeitung („Dichterin gesucht“, Ausgabe vom 4. Januar) angeregt, der Bundestag solle ein solches Amt einer Parlamentspoetin schaffen, dafür ein Büro einrichten und ein „jährliches Honorar oder besser Stipendium“ zahlen. Dieses Amt könne „die sinnliche Welt des Fühlens, Sehens, Schmeckens, Metapherfindens, der Synästhesie in den Bundestag bringen“, schwadronieren die drei Bewerber.

Buchholz hat die Kaderschmiede für Haltungsjournalismus durchlaufen, die Stern-eigene Henri-Nannen-Schule, und ein paar Krimis geschrieben sowie, so liest man, „Sachbücher über die Beziehungen zwischen Männern und Frauen“, zum Beispiel die Titel „Er kommt, sie kommt: Das Orgasmus Buch“ (2007) oder  „Gangster of Love. Warum Frauen auf die falschen Männer stehen“ (2009).

Zu ihrer möglichen neuen Beschäftigung twitterte die 49jährige sowas wie die Ahnung von einem Kampfauftrag in der gräßlichen Metasprache der Szenekneipen: „… weil es in der Diskussion um die Parlamentspoetin die große Angst gibt, Gefühl (im schlechten Fall sogar Pathos) mit Politik zu verquirlen: schaut euch doch mal an, wer das die ganze Zeit macht und fragt euch, ob man denen nicht einen intelligenten Entwurf entgegensetzen kann.“

Wir rekapitulieren also: Gefühl mit Politik verquirlen. Oder Pathos. Schaut mal genau hin! Pathos, das macht doch eigentlich nur die AfD „die ganze Zeit“ mit ihrem Deutschland-Gequatsche und hält den Betrieb der Weltrettung damit auf. Deutschland und so weiter, Schicksalsfragen, da muß doch ein intelligenter Gegenentwurf her. Also irgendwas mit Fahrrädern. Oder warum Kerle so sch... sind. Ach übrigens: Ist diese ständige Weltrettung nicht auch ein ziemlich gequirltes Pathos?

Egal wie, dieser diskursive Raum irgendwo beim Parlament verspricht ein paar schöne Planstellen für Freund:innen von Göring-Eckardt. Wie wär’s eigentlich mit Claudia Roth, die – obwohl gerade erst zur neuen Kulturstaatsministerin avanciert – sicher Bock darauf hätte, dem Pathos einen Entwurf entgegenzusetzen. Es muß ja nicht unbedingt ein intelligenter sein, auch wenn die Raketenforscherin Buchholz das gerne hätte. Darf auch fröhlich sein. Irgendwas mit Sonne, Mond und Sterne. Und Börek. Und dazu könnte sie, wie auf dem Einstandsfoto zum neuen Bundestag, dieses Silberwams aus dem Märchen tragen, mit Haaren wie gesponnenes Gold …

Wortbildungen mit „Klima“ gehen ins deutsche Angst-Herz

Die Parlamentspoetin könnte allerdings auch, bevor sie selber damit loslegt, Gefühle mit Politik zu verquirlen, erst einmal eine Liste von Wörtern anfertigen, die zu berücksichtigen wären – eine kleine, unpathetische Poetologie. Also, was zum Beispiel könnte sich auf „Blitzradikalisierung“ reimen? Oder auf „Gleisschubser“? Ließen sich aus „Flugscham“, „Nazisau“ und „Kobolden“ nicht schöne, aufklärerische Lehrgedichte bilden? Und da Durs Grünbein, unsere Geheimwaffe gegen den finsteren Turm Uwe Tellkamp, ins Gespräch gebracht wurde – wären „Respektrente“, „Kantholz“ und „Keinen Millimeter gegen Rechts“ nicht Bausteine für eines seiner Sonette im Rilke-Sound. Und wenn wir jetzt durchaus mal Politik mit Gefühl verquirlen (im schlechten Fall meinetwegen auch Pathos) – alle Wortbildungen mit „Klima“ gehen doch heutzutage direkt ins deutsche Angst-Herz, und das möchte die Poesie doch auch ansprechen, also „Klimaflüchtling“, „Klimagerechtigkeit“, „Klimaleugner“, „Klimanotstand“ etc.pp.

Aber das Schönste an dieser Diskussion auf einem Nebengleis ins Nirgendwo ist doch, daß sie von der Prosa ablenkt, also davon, wie die Grünen unser Land durch Blackout und Verarmung führen wollen. 

Tatsächlich gab und gibt es ja die Institution des poeta laureatus, eines lorbeergekrönten Dichters, im alten Rom genauso wie heute in den Vereinigten Staaten oder auf der englischen Insel. Wenn er noch in Diensten wäre, käme bei uns dafür nur Hans Magnus Enzensberger in Frage – ich erinnere mich an eine vorzügliche und vergnügliche Übertragung des Molièreschen „Menschenfeindes“ auf Bonner Verhältnisse, Peter Zadek inszenierte in der Freien Volksbühne Berlin, Staatstheater von der elegantesten und kalauerträchtigsten Sorte.

Ob Enzensberger allerdings die strengen Anforderungen Göring-Eckarts und ihrer grünen Rasselbande erfüllen könnte, dort in diesem „diskursiven Raum“, steht auf einem anderen Blatt. Man würde zu Recht in ihm den Feind der grünen Lämmerherden wittern. Sein Erstling, ein Gedichtband, der seinen schlagartigen Ruhm begründete, hieß schließlich: „Die Verteidigung der Wölfe“.