© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 04/22 / 21. Januar 2022

Warum ein Maler seine Bilder vernichtet
Der Leipziger Künstler Hartwig Ebersbach hat bereits mehr als 30 seiner Werke zerstört
Paul Leonhard

Das signierte Bild „Gipfel H“ von Hartwig Ebersbach – Öl auf Leinwand, ungerahmt, Format 50 mal 70 Zentimeter aus dem Jahr 2014 – bietet das Kunsthaus Artes für 7.800 Euro an. Beinahe doppelt so teuer und auch groß ist sein „Kaspar Löffel IX“ von 2002. Preise, die vielleicht ein Schnäppchen sind, denn der Künstler ist gerade dabei, sein Lebenswerk zu dezimieren. Mehr als 30 Bilder hat der 81jährige bereits zerstört. Weitere sollen folgen. Aus Protest gegen die Steuergesetzgebung der Bundesrepublik Deutschland hat Ebersbach medienwirksam mehrere seiner Werke erst zerkleinert und schließlich den Flammen übergeben.

Ebersbach nennt es das „Schicksal der Überproduktion“. Zwar sei ein Großteil seiner 2.500 Werke der Welt übergeben. Sie sind sicher verwahrt in den bedeutendsten deutschen Galerien, im Staatlichen Russischen Museum in St. Petersburg, der Sammlung Sunshung Art in Peking, Shanghai, Hangzou sowie im National Museum of Fine Arts, auch in Privatsammlungen in Afrika, Brasilien, Rußland, Frankreich, der Schweiz und den USA. Aber noch immer würden 400 oder 500 teilweise gerahmte Bilder im Keller, Lager und Atelier stehen. Und von diesem will Ebersbach 100 zerstören, darunter viele, die weltweit auf Ausstellungen zu sehen waren und die, wie der Künstler einräumt, „kaputtzumachen“ er nur „schlecht übers Herz“ bringe. Aber aus seiner Sicht muß es jetzt sein.

SED-Bezirkszeitung führte eine Kampagne gegen ihn

Es ist nicht das erste Mal, daß der 1940 im sächsischen Zwickau geborene Ebersbach eigene Kunstwerke aus Einsicht in die Notwendigkeit zerstört. Mitte der 1960er Jahre war es der „Schiß“ vor der sozialistischen Staatsmacht, der ihn veranlaßte, eines seiner Werke zu vernichten. Da hatte er gerade das Studium an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig bei Bernhard Heisig beendet und mit der altmeisterlichen Maltradition seines berühmten Lehrers gebrochen. Auf der 7. Bezirkskunstausstellung wurde sein Werk „Selbstbildnis mit Freunden“ ausgestellt, und anschließend eröffnete die SED-Bezirkszeitung Leipziger Volkszeitung eine Kampagne gegen Ebersbach, in der ihm vorgeworfen wurde, daß die dargestellten Gefühlsbeziehungen dazu geeignet seien, „im Bewußtsein des Betrachters das sozialistische Leben emotional zu diskreditieren“.

Von einem „morbiden Ethos“ war auch in einer Vorladung zum Rat des Bezirkes die Rede. Er habe sich so bedroht gefühlt, daß er schließlich das Bild, das als Seitenteil eines Triptychons gedacht war, wie auch das andere, halbfertige Seitenteil im Ofen verbrannt habe, berichtet Ebersbach in mehreren Fernsehinterviews.

Galerien hoffen auf kräftige Wertsteigerungen

Es war kein Mißverständnis zwischen der Staatsmacht und dem Künstler: „Ich interessierte mich mehr für mich als für die Gesellschaft. Ich bin mit Individualismus aufgefallen und neuen Formen.“

Erhalten geblieben sei aber das auf Sperrholz gemalte Mittelteil „Brennender Mann“. Daß es nicht in den Ofen paßte, erwies sich als Glücksfall, denn 1979 kaufte es der Kunstsammler Peter Ludwig, der seitdem das Schaffen des sächsischen Künstlers genau verfolgte und etwa 100 Bilder von ihm erwarb.

Einem Künstler, der Devisen einspielt, sah aber auch der Arbeiter- und Bauernstaat manches nach. So durfte Ebersbach fortan „die Welt saufen bis zum Grund“ und sich von seinen Brüchen und Träumen inspirieren lassen, solange er das daraus entstandene nicht in Worten kommentierte. Im Endstadium der SED gibt es dann doch wieder stärker werdende politische Repressionen, Reisebeschränkungen und Ausstellungsverbot.

Im vereinten Deutschland steigt dann wieder der Zuspruch. In der Aufbruchszeit kommen Ebersbachs Gefühlsausbrüche in Öl gut an, seine teils obszönen, explosiven und drastischen Bilder finden Anklang. Und der Künstler, der längst zu den bedeutendsten zeitgenössischen Künstlern der deutschen informellen Malerei zählt, malt und malt und malt – mehr als Museen und Galerien aufnehmen können.

Und jetzt dieser Aufschrei, diese Protestaktion. Denn der Künstler hat gleich mehrere Probleme. Zum einen stellen ihn Galerien kaum noch aus, weil diese, wie Kunstsammler auch, auf kräftige Wertsteigerungen rechnen, die vor allem von jungen, noch unbekannten Künstlern zu erwarten sind. Zum anderen jammern Museen deutschlandweit über Platznot, machen kaum Ausstellungen, und Schenkungen könnten sich für den Schenkenden nachteilig auswirken. Denn aus Sicht des Fiskus entnehme er damit Teile seines Betriebsvermögens. Auch will Ebersbach seinen Erben ersparen, daß diese einmal Ärger mit dem Fiskus bekommen. 

Nachdem er von seinem Bruder, dem Maler Wolfram Ebersbach, erfahren habe, daß auch Schenkungen an staatliche oder kommunale Museen für den Schenkenden steuerpflichtig werden könnten, so Hartwig Ebersbach, habe er das Finanzamt um Auskunft gebeten und von dort erfahren, daß das stimme. Wenn aber Schenkende ihre Spende an die Museen versteuern müßten, sei das eine Nötigung, weil er sein Werk nicht geordnet übergeben könne, und darauf wolle er „sicher im Namen vieler Künstler hinweisen“.

Im Gegensatz zu dem Leipziger Ebersbach hat Malerkollege Max Uhlig einen anderen Weg beschritten. Er hat bereits 2018 große Teile seines Werkes und Ateliergebäudes der Kulturstiftung des Freistaates Sachsen vermacht und so sein Lebenswerk gesichert.

Von den gegenwärtigen Aktionen Ebersbachs sind einige Freunde gar nicht begeistert. Sein Patenkind Neo Rauch soll die Ehefrau gebeten haben, dem „Wüterich“ in den Arm zu fallen. Und zwischen den Zeilen ist auch zu lesen, daß Ebersbach sein in der Endzeit der DDR entstandenes Bild „Roter Vogel“ lieber in einem Museum gesehen hätte, als verglüht im Kamin. Aber in seinem hohen Alter möchte er sich auch befreien, und wenn das nicht durch für ihn steuerfreie Schenkungen möglich sei, bleibe nur die Vernichtung.

Weitere Informationen zum Künstler und seinem Werk im Netz unter:  www.hartwig-ebersbach.de

Foto: Hartwig Ebersbach bei einer Ausstellungseröffnung (2019): Von seinen gegenwärtigen Aktionen sind einige Freunde gar nicht begeistert