© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 04/22 / 21. Januar 2022

GegenAufklärung
Kolumne
Karlheinz Weißmann

Der jüngste Skandal um Boris Johnson, der Abgang von Sebastian Kurz und die Nachwehen des „Sturms“ auf das Kapitol in Washington samt der Frage nach der Verantwortung von Donald Trump markieren das Dilemma, in dem sich heutige Konservative befinden. Der Mangel an charismatischen Anführern auf ihrer (und nicht nur auf ihrer) Seite läßt sie begeistert demjenigen folgen, der mit Selbstsicherheit und gekonnter Rhetorik auftritt, im Fall von Kurz auch mit seltener Jugendfrische. Aber das genügt selbstverständlich nicht, um seriöse Politik zu machen. Offenbar hat der konservative Instinkt an Sicherheit eingebüßt, der eigentlich vor den Blendern warnt, vor denen, die nur „Schein“, nicht „Sein“ zu bieten haben.

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Im Netz kursieren Aufnahmen von der Demonstration, die der Hamburger Senat erlaubt hat, nachdem er die Demonstration der Corona-Politik-Kritiker verboten hat. Besonders aufschlußreich ist das Bild mit dem Vortrupp der Schwarzhemden und dem Transparent „Solidarisch und vermummt gegen Nazis, Kapital und Coronaleugner*Innen“. Angesichts der professionellen Fertigung darf man annehmen, daß es mit Hilfe jener 1,1 Milliarden Euro produziert wurde, die schon die Regierung Merkel für den „Kampf gegen Rechts“ zur Verfügung gestellt hat. Aber beunruhigender als diese Äußerlichkeit ist der neuerliche Beweis für einen Antifaschistischen Konsens, der die Spitze von Exekutive und Verwaltung, die arrivierte wie die Schlägerlinke und große Teile dessen umfaßt, was man so „Zivilgesellschaft“ nennt. Da ist das Messen mit zweierlei Maß bei der Gewährung des Demonstrationsrechts nur das eine, die permanente Denunziation das andere und das gewaltsame Losgehen auf die „Spalter“ das dritte.

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„So besehen ist alles Raubkunst, ein Schlagwort, das den Prozeß der Entlehnung oder Inspiration durch Elemente fremder Kulturen unter Pauschalverdacht stellt: Daß die Griechen von den Ägyptern, die Römer von den Griechen lernten, war demnach kein Kulturaustausch, sondern Diebstahl.“ (Hans Christoph Buch, Schriftsteller)

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Während des Jahres 2021 sind mehr als 200.000 Menschen illegal in die Europäische Union gekommen. Das waren 60 Prozent mehr als 2020 und 45 Prozent mehr als 2019. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge registrierte für Deutschland mehr als 190.800 Anträge; die neue Außenministerin kündigt an, Italien bei der Durchreise von Illegalen entgegenzukommen, und möchte gern mehr Zuwanderer aus Afghanistan. Angesichts der Konzentration der „patriotischen Kräfte“ auf die Verteidigung von Individualrechten, die Abwehr der „Gesundheitsdiktatur“ und die Sehnsucht nach dem schwachen Staat wäre es an der Zeit, darüber nachzudenken, wer sich eigentlich von wem in welcher Weise ablenken läßt und wie das noch mal mit dem Unterschied von „Hauptwiderspruch“ und „Nebenwiderspruch“ war.

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Vorboten der Apokalypse: Verfolgung, Krieg, Hunger, Krankheit (seit jeher), die Atombombe (seit den 1950er Jahren), das Atomkraftwerk (seit den 1960ern), Zucker in der Kindernahrung / Jod im Trinkwasser / genetisch veränderte Pflanzen (seit den 1970er Jahren), ein Kanzler Franz Josef Strauß (vor allem 1979/80), ein Ministerpräsident Alfred Dregger (1978/1982), die Volkszählung (nur 1987), der Klimawandel (seit den 1990er Jahren), die Corona-Diktatur (seit 2020). Möglicherweise auch der Komet „Dibiasky“ (seit neuestem).

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Das französische Innenministerium hat sich zufrieden über den „friedlichen“ Verlauf der Silvesternacht gezeigt. Tatsächlich ist die Zahl der verbrannten 874 Fahrzeuge gegenüber dem Vorjahr – 861 – etwas gestiegen und gegenüber 2019 – 1.457 Fahrzeuge – deutlich gesunken. Man führt das von offizieller Seite auf die Präsenz der Ordnungskräfte zurück: Das heißt zwischen dem 31. Dezember 2021, 20 Uhr abends, und dem 1. Januar 2022, 6 Uhr morgens, waren in Frankreich 95.000 Polizisten und 35.000 Feuerwehrleute im Einsatz, in erster Linie, um in besonders gefährdeten Gebieten (vor allem das Elsaß und die Île-de-France) sowie „sensiblen Stadtvierteln“ das Chaos zu verhindern.

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Sie sagen „Antifaschismus“ und meinen „Säuberung“.

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Das Verwaltungsgericht in Nantes hat die Stadt Les Sables d’Olonne angewiesen, eine Statue des Erzengels Michael – die auf einem Platz seines Namens, vor einer ihm geweihten Kirche steht – binnen sechs Monaten zu entfernen. Es gab damit der Klage der radikal laizistischen Vereinigung La Libre Pensée statt, die alle Hinweise auf die christliche Religion aus der Öffentlichkeit zu entfernen bestrebt ist. Ob der Vorgang den Wünschen der „Freidenker“ entsprechend abläuft, ist allerdings fraglich. Binnen kurzer Zeit wurden mehr als 40.000 Unterschriften gegen die Beseitigung gesammelt. Nebenbei: Les Sables d’Olonne liegt auf dem Gebiet der Vendée.

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„Mut besteht nicht darin, daß man die Gefahr blind übersieht, sondern daß man sie sehend überwindet.“ (Jean Paul)

Die nächste „Gegenaufklärung“ des Historikers Karlheinz Weißmann erscheint am 4. Februar in der JF-Ausgabe 6/22.