© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 04/22 / 21. Januar 2022

Schweine im Weltall
Kino: Der Animationsfilm „Sing – Die Show deines Lebens“ ist eine kuriose Kreuzung aus „Muppet Show“ und „Mamma Mia!“
Dietmar Mehrens

Als in der ersten Szene des neuen Computertrickfilms von Garth Jennings ein Elefant panisch durch den Dschungel hetzt und mit dem Ausruf: „Ach, du meine Güte!“ abrupt stehenbleibt, kann der Zuschauer noch nicht wissen, daß hier alles, wirklich alles nur Show ist. Eine singende Sau, die die Glanzzeiten von Miss Piggy ins Gedächtnis zurückruft, macht umgehend klar, daß der Elefant sich nicht im Dschungel befindet und auch nicht im Porzellanladen, sondern auf einer Showbühne.

Der Film heißt „Sing – Die Show deines Lebens“, ist der Nachfolger des für zwei Golden Globes nominierten Publikumserfolgs „Sing“ (2016) desselben Regisseurs, und der Elefant, in Wahrheit eine Elefantenkuh namens Meena, gehört zum Ensemble einer Theatertruppe, die ihre interessantesten Auftritte wie dereinst Jim Hensons legendäre Muppets hinter den Kulissen hat.

Ein wilder, grell-bunter Ritt durch die Pop- und Rock-Geschichte 

Die Rolle des notorisch optimistischen Frosches Kermit übt hier ein Koalabär namens Buster Moon aus. Wie Manager und Star-Moderator Kermit, der hinter der Bühne die Fetzen und auf der Bühne Schweine durchs Weltall fliegen ließ, ist auch Moon kein Projekt zu exzentrisch, um das erklärte Ziel jedes Unterhaltungskünstlers zu erreichen: das Publikum zu euphorisieren! Und so will der kleine Koala nach der Neuinterpretation von „Alice im Wunderland“, in der Elefantendame Meena ihren aufsehenerregenden Auftritt hatte, tatsächlich wie sein Vorbild aus der Muppet-Show Schweine ins Weltall schicken. Und mit ihnen den ganzen Rest der Truppe, also auch Meena, die Stachelschweindame Ash und den tanzenden Gorilla Johnny.

„Nicht von dieser Welt“ soll die aufwendige Bühnenshow heißen, interstellare Dimensionen annehmen und so sämtliche Rekorde brechen. Deswegen soll der Musikmogul Jimmy Crystal, der berüchtigte Chef von Crystal Entertainment, an Bord geholt werden. Doch der ist der sprichwörtliche Wolf im Schafspelz der Unterhaltungsbranche. Was ihm mißfällt, manövriert er gnadenlos per Leuchtknopfdruck ins Aus wie sein deutsches Pendant Dieter Bohlen. Leider gilt das, also das sofortige Aus für ambitionierte Auftritte, auch für Moon und seine animalische Gesangstruppe. Der Kristallpalast als einzig würdiger Rahmen für „Nicht von dieser Welt“ rückt in unendliche Weite.

In einem Anflug von Größenwahn verspricht Moon dem Boß von Crystal Entertainment einen Clou: die Rückkehr der verstummten Rocklegende Clay Calloway (deutsche Stimme: Peter Maffay) als Höhepunkt seiner Show. Daraufhin beißt der Wolf zwar spontan an. Der Haken aber ist: Clay weiß von seinem Glück noch gar nichts. Und der übel gelaunte Löwe ist auch gar nicht erpicht auf eine Rückkehr ins Rampenlicht, weil er nach dem Verlust seiner Partnerin Ruby noch seine Wunden leckt, sprich: depressiv geworden ist. Koala Moon muß sich also einiges einfallen lassen, wenn er nicht vom bösen Wolf gefressen werden will.

Das Rezept von „Sing“ ist bekannt aus den beiden „Mamma Mia!“-Filmen mit Pierce Brosnan und Meryl Streep (2008 und 2018): Eine weitgehend austauschbare Handlung wird um die für das Filmmusical ausgewählten Lieder herumgestrickt. Während für „Mamma Mia!“ nur Abba-Lieder in Frage kamen, brauchte Garth Jennings sich für sein Drehbuch nicht auf Stücke einer einzigen Musikgruppe zu beschränken. „Sing 2“ ist also ein wilder Ritt durch die Pop- und Rock-Geschichte der letzten Jahrzehnte, der emotional in der Neuinterpretation des Coldplay-Erfolgs „A Sky Full of Stars“ und Clay Calloways Version der frommen U2-Ballade „I Still Haven’t Found What I’m Looking For“ gipfelt.

Daß sich Peter Maffay, kaum daß er zur Gitarre gegriffen hat, auf einmal anhört wie U2-Frontmann Bono (der nicht nur zwei seiner größten Erfolge beisteuerte, sondern im Original auch Rocklegende Clay Calloway seine Stimme lieh), ist für ältere Zuschauer wahrscheinlich die größte Überraschung in einer ansonsten recht zahmen Geschichte. Umgesetzt wurde sie freilich so grell-kunterbunt, daß es den Augen manchmal schon fast wehtut.

Kinostart ist am 20. Januar 2022