© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 04/22 / 21. Januar 2022

Eine Familie in Nöten
Drama im Kino: „Gloria Mundi – Rückkehr nach Marseille“
Claus-M. Wolfschlag

Der Film beginnt mit einer Geburt und endet mit einem Tod. Dazwischen scheinbar langsames Sterben – der Lebenskraft, der menschlichen Wärme, der ganzen Stadt Marseille, in der das Geschehen spielt. 

Der Blick liegt auf den Mitgliedern einer Familie in existentiellen Problemen. Mathilda (Anaïs Demoustier) hat die kleine Gloria geboren, und die Familie versammelt sich im Krankenhaus. Doch die freudige Anfangsszene trügt, denn eigentlich stecken Mathilda und ihr Mann Nicolas (Robinson Stévenin) in der Krise. Mathilda ist erschöpft, ihre Nörgelei hängt sich am Fehlen materieller Güter auf, den zu alten Kleidern, dem zu kleinen Fernseher. In einer Boutique arbeitet sie als Verkäuferin in Probezeit, gegängelt von einer strengen Chefin. Nicolas versucht sich als Uber-Fahrer, wird aber von Taxifahrern überfallen, die sich von dem neuen Angebot sozial bedroht fühlen. Nicolas bricht sich den Arm und wird arbeitsunfähig.

Die Spirale aus Gewalt und Armut durchbrechen

Mathildas Stiefschwester Aurore (Lola Naymark) betreibt mit ihrem Mann Bruno (Grégoire Leprince-Ringuet) hingegen einen florierenden Gebrauchtwarenhandel. Für wenig Geld kaufen sie Elektrogeräte von armen Stadtteilbewohnern auf, lassen diese von nicht sozialversicherten Billiglöhnern reparieren und verkaufen sie dann mit Gewinn wieder. Doch der finanzielle Wohlstand hat seinen Preis, der sich in Sadismus, Zynismus und exzessivem Kokain-Konsum zeigt. 

Mathildas Mutter Sylvie (Ariane Ascaride) gerät derweil an ihrer Arbeitsstelle als Reinigungskraft in Konflikt mit einem Gewerkschaftsfunktionär, der zum Streik für Lohnerhöhungen aufruft. Sylvie kann sich den Lohnausfall und drohenden Arbeitsplatzverlust nicht leisten.

In dieser Situation kommt Mathildas leiblicher Vater Daniel (Gérard Meylan) nach einer langen Haftstrafe aus dem Gefängnis. Daniel, der im Leben draußen nicht mehr Fuß faßt, hat seinen inneren Frieden gemacht. Doch er möchte die Spirale aus Gewalt und Armut durchbrechen, die einst sein und Sylvies Leben zerstörte, um seiner Enkelin Gloria einen besseren Start zu ermöglichen.

„Gloria Mundi“ bewegt sich zwischen Sozialstudie und Familiendrama. Der Mensch ist des Menschen Feind. Soziale Not, die die einen bis zur Erschöpfung schuften läßt, trifft auf Ausbeutung und Überlegenheitsgefühle derjenigen, die sich in besserer Position wähnen. Kulturelle und soziale Konflikte treten zutage. Die französische Gesellschaft sei heute wie ein Krieg, alle gegen alle, äußerte der in Marseille geborene Regisseur Robert Guédiguian (68). Die dezente sozialromantische Nostalgie stört seinen melancholischen Film zum Glück nur wenig. Stattdessen berührt er emotional und appelliert unaufdringlich an mitmenschlichen Umgang und familiären Zusammenhalt.

Der Film ist am 13. Januar in den Kinos angelaufen.