© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 04/22 / 21. Januar 2022

Dem Papierflieger die Flügel stutzen
Telegram: Das Netzwerk sperrt sich gegen Zensur
Ronald Berthold

Als der Iran 2018 Telegram abschaltete, herrschte helle Empörung in Deutschland. Denn über den Messengerdienst könnten Oppositionelle „unverschlüsselt kommunizieren“, schrieb die FAZ. Inzwischen verlangt nicht nur Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU), „Telegram abzuschalten“ – und zwar „rasch“. Und das in Deutschland. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) und Justizminister Marco Buschmann (FDP) drohen ebenfalls damit.

In Zeiten, in denen andere soziale Netzwerke fast jede Kritik an der Corona-Politik löschen, weigert sich Telegram, sich dem deutschen Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) zu unterwerfen. Hier können sich Skeptiker zu „Spaziergängen“ verabreden, ohne daß solche Posts entfernt werden. Facebook sperrt dagegen sogar Videos von diesen Demonstrationen. Die Medien geben für die Abschaltung freundliche Unterstützung. Bild nennt Telegram bereits in der Schlagzeile „Haß-Netzwerk“. Die Welt titelte: „Ja, Telegram gehört verboten“ und schrieb in einem anderen Text: „Der Dienst Telegram hat sich zu einer Plattform für die radikale Querdenker-Szene entwickelt.“ Die ARD-„Tagesschau“ fragt fordernd: „Was kann der Staat gegen Telegram machen?“ Bisher wenig. Denn es sei unklar, schreibt der Tagesspiegel, ob das NetzDG auf Telegram überhaupt anwendbar ist. Die Plattform ist sowohl ein Messengerdienst wie WhatsApp als auch ein Anbieter für politische Kanäle mit unzähligen Usern, vergleichbar mit Facebook. Inzwischen nutzen 15 Prozent der Deutschen Telegram regelmäßig, wie „Statista“ ermittelte. Das entspricht mehr als einer Verdopplung gegenüber 2018. 

Daß dabei einige auf schlimme Weise übers Ziel hinausschießen und Morddrohungen formulieren, kommt den Zensur-Befürwortern entgegen. Gewaltphantasien sind indes auch anderswo üblich. So forderte ein Twitter-User, mit einem Wasserwerfer auf die Corona-Spaziergänger zu schießen. Ein anderer wollte das Maschinengewehr MG42 gegen die Demonstranten einsetzen; man solle „kein kostbares Wasser verschwenden“. Gelöscht wurde das nicht. Auch kam kein Politiker auf die Idee, Twitter abzuschalten. 

Auch das ZDF greift auf Telegram für Informationen zurück

Der Hauptgrund für den Unmut gegen Telegram scheint darin zu liegen, daß sich das Netzwerk politischem Druck nicht beugt und somit zur Mobilisierung regierungskritischer Demonstrationen in vielen deutschen Kommunen beiträgt – nicht anders als in China oder im Iran, wo Telegram jeweils bereits abgeschaltet wurde, oder jüngst in Kasachstan. 

Selbst das ZDF mußte bei seinen Berichten über die Schüsse auf Demonstranten in Almaty auf Videos aus Telegram zurückgreifen. Weil die Machthaber an die Plattform nicht herankamen, schalteten sie schließlich das gesamte Internet ab. Innenministerin Faeser ließ im selben Sender durchblicken, warum Telegram stört: Obwohl es bei den Spaziergängen „einigermaßen ruhig geblieben“ sei, „macht uns das Demonstrationsgeschehen natürlich Sorge“. Sie sprach von Rechtsextremisten sowie „Haß und Hetze“ – wegen dieses Vorwurfs soll es nun Telegram an den Kragen gehen: „Wir müssen da hart und konsequent durchgreifen.“ Sie bezeichnete die Abschaltung als „Ultima ratio“, falls man die Plattform nicht auf den Kurs bringen könne, den sich die Regierung wünsche. Es sei aber „sehr schwierig, an Telegram ranzukommen, weil sie keine ladungsfähige Anschrift in Europa haben“, sagte Faeser und steht damit vor demselben Problem wie ihr Kollege in Kasachstan. Telegram, 2013 vom russischen Internet-Unternehmer Pavel Durow und dessen Bruder Nikolai gegründet, sitzt in Dubai. 

Die Bundesregierung fordert nun Google und Apple auf, die Telegram-App in Deutschland nicht mehr zum Herunterladen anzubieten. Der FDP-Politiker und Ostbeauftragte der Bundesregierung, Hagen Reinhold, will Telegram in der EU verbieten und nennt noch offener als Faeser den Grund: „Derartige Mobilmachungen von radikalen Protesten sind europaweit ein Problem, wir müssen gemeinsam mit unseren europäischen Partnern dagegen vorgehen.“ Sein Parteifreund, Bundesjustizminister Marco Buschmann verlangt ebenfalls ein „gemeinsames europäisches Vorgehen gegen die Online-Plattform“. Der Liberale will Telegram so behandeln wie den „Islamischen Staat“. Der FAZ sagte er: „Beim Umgang mit dem IS ist es auf diese Weise gelungen, daß die Kanäle der Terrororganisation einfach abgestellt wurden.“ Nun will das Bundeskriminalamt Telegram mit Anfragen fluten, um es zu einer Kooperation zu drängen.

Foto: Telegram-Logo: Mehrere Medien bezeichnen die Plattform als „Haß-Netzwerk“