© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 04/22 / 21. Januar 2022

Ein Held gilt als traditionsunwürdig
Eine erinnerungspolitische Kontroverse über den Kapitän zur See Hans Langsdorff
Wolfgang Müller

Auf imposanten fast 700 Seiten hat Hans-Jürgen Kaack unlängst Kapitän zur See Hans Langsdorff gewürdigt (JF 41/20), den einzigen deutschen Marineoffizier des Zweiten Weltkrieges, der zur nahezu mythischen Figur geworden ist. Nicht aufgrund seiner militärischen Leistungen als Kommandant des Panzerschiffes „Admiral Graf Spee“. Sondern als tragisch Gescheiterter, der im Untergang menschliche Größe zeigte. Über Jahrzehnte hinweg haben Langsdorffs Operationen im „ozeanischen Zufuhrkrieg“ gegen Großbritannien und deren unglückliches Ende, die Selbstversenkung der „Spee“ in der La-Plata-Mündung im Dezember 1939 sowie der anschließende Freitod ihres Kommandanten, die Nachwelt fasziniert. 

Als „letzter Samurai“ (Sven Felix Kellerhoff), als „Offizier und Gentleman“, als der er seinen britischen Gegnern stets galt, als einer, der die klassischen Soldatentugenden, Tapferkeit, Selbstlosigkeit, Kameradschaft, vorbildlich verkörperte, ist Hans Langsdorff auch in der  Bundesmarine immer wieder gewürdigt worden. Und noch zum 70. Todestag rühmte ein pensionierter Vize-Admiral der Deutschen Marine, daß dieser Seeoffizier „Ritterlichkeit, Charakterfestigkeit und Menschlichkeit“ bewiesen habe und somit Tugenden vorlebte, „die zu achten und zu ehren und zu bewahren auch den heutigen Streitkräften gut ansteht“ (MarineForum, 12/2009).

Gleichwohl wurde dem Schwiegersohn Langsdorffs 2011 durch eine Charge des Bundesverteidigungsministeriums mit der typisch neudeutschen Mischung aus Dummheit und Arroganz beschieden, daß Langsdorff „Teil des nationalsozialistischen Deutschlands gewesen ist und daher nicht mit dem Traditionsverständnis der Bundeswehr vereinbar“ sei. Für den Biographen Kaack war diese 

hohle Selbstgerechtigkeit, die sich erinnerungspolitische Selektionen mit dem kleinkarierten Gewissen nachgeborener Moralweltmeister erlaubt, nicht das geringste Motiv, um auf breiter Quellenbasis das Leben des Kommandanten der „Spee“ endlich in allen Facetten zu erzählen, ihn als politische Person der Zeitgeschichte differenziert darzustellen und so den Anspruch auf Traditionswürdigkeit zu untermauern, den gerade der Werdegang dieses humanistisch gebildeten Offiziers erheben darf.   

Das starke publizistische Echo, das Kaacks Arbeit im In- und Ausland fand, hat die Stoßrichtung des Buches gegen das sonderbare bundesdeutsche Traditionsverständnis aufmerksam registriert. Die Times, der US-Sender Fox News, Tagesspiegel und Welt wunderten sich, warum ausgerechnet Langsdorff, der mit der beschädigten „Spee“ keinen Ausbruch aus Montevideo wagen und kein Gefecht mit den Einheiten der Royal Navy mehr riskieren wollte, der darum die Selbstversenkung wählte und so 1.000 Mann der Besatzung den „Heldentod“ ersparte, für die Traditionsbildung der Deutschen Marine nicht taugen sollte. 

Kurzzeitige DNVP-Mitgliedschaft als weiteren Vorwurf präsentiert

Mit dem Vorwurf an die Adresse des Ministeriums, den „Lebensretter“ seiner Besatzung, seine „humanitäre Tat“ zu ignorieren, belebten vor allem die angelsächsischen Medien eine Legende, die bereits während der Ereignisse am La Plata entstand und die seitdem besonders die britische Presse kultiviert hat: Langsdorff sei „the Captain who defied Hitler“ gewesen. Mit seiner als authentisch geltenden Begründung des Verzichts auf ein „letztes Gefecht“, ihm seien 1.000 lebende Seeleute lieber als 1.000 tote Helden, habe sich der Kapitän, gegen die Forderung Adolf Hitlers gestellt, mit „wehender Flagge“ unterzugehen.

Kaack spitzt in seiner Biographie diese Legende, die Langsdorff zum Opponenten des „Führers“ aufbaute, insoweit zu, als er ihn mit seinem „sittlich diktierten Handeln“ in die Nähe der Protagonisten des 20. Juli 1944 rückt. Mit dieser gewiß problematischen Akzentuierung gab er Michael Epkenhans leider die Chance zu billiger Rechtfertigung der ministeriellen Gedächtnispolitik. Epkenhans, bis 2021 Leitender Wissenschaftler im Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr in Potsdam, setzt in einem monströsen, 60seitigen Rezensionsessay zur Demontage von Kaaks Biographie an (Militärgeschichtliche Zeitschrift, 1/2021), um dessen „schwere Vorwürfe gegen die Marine und ihre Historiker und Historikerinnen“ zu entkräften. Marine-„Historikerinnen“ sind bisher zwar so wenig bekannt, wie es „gefallene Soldatinnen“ gab, von denen die Afghanistan-Bilanz des Ministeriums gendergerecht schwurbelte, aber sei’s drum. Solche Geßlerhut-Grüße gehören nun einmal zum Habitus von Leuten, die über die „Charakterstärke“ ihrer Väter und Großväter urteilen. 

In der Hauptsache ist sein stärkstes Argument gegen Kaack, daß Langsdorff gar nicht primär seine Besatzung retten wollte, sondern deren Internierung „nur“ eine Folge der Entscheidung zur Selbstversenkung gewesen sei. Das militärische überwog mithin das humanitäre Handlungsmotiv. Aber Langsdorff hätte ein Albert Schweitzer in blauem Tuch sein müssen, um je den Primat des Militärischen zu vergessen. An dem Faktum seines traditionswürdigen, Leben rettenden Handelns ändert das nichts. 

Ebensowenig wie die von Epkenhans allen Ernstes skandalisierte Tatsache, daß Langsdorff kurzzeitig der Deutschnationalen Volkspartei angehörte, etwas daran ändert, daß er bis 1933, als Vertreter der Marineleitung im Reichswehrministerium, sich als NS-Gegner profilierte. Darum wohl, um Langsdorff leichter mit einigen Zitatbrocken als Republikfeind zu brandmarken, verliert der sonst so schreibselige Ex-Chefhistoriker der Bundeswehr über dieses tiefenscharfe, erstmals den politischen Soldaten Langsdorff in einer Spitzenposition der Reichswehr präsentierende Glanzstück von Kaacks Biographie keine Zeile. Eine Geschichtsschreibung sine ira et studio, die witzigerweise der im amtlichen Auftrag forschende Epkenhans gegen den „aus einem bestimmten Blickwinkel konstruierenden“ Kaack für sich reklamiert, sieht doch wohl wesentlich anders aus. 

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Foto: Kapitän zur See Hans Langsdorff vor der Crew der „Admiral Graf Spee“ 1939: Epkenhans wirft ihm vor, daß die Entscheidung zur Selbstversenkung zuerst militärischen Motiven gehorchte