© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 04/22 / 21. Januar 2022

„Heinrich Lübke redet für Deutschland“
Die Geschichte einer linken Denunziationskampagne, die vor sechzig Jahren nach einer Afrikareise des Bundespräsidenten Fahrt aufnahm
Matthias Bäkermann

Auch nach sechzig Jahren hält sich das Narrativ eisern. In einem aktuellen Ranking der Rheinischen Post kursiert das Zitat „Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Neger ...“ auf Platz 8 der „schrägsten Politikersprüche“, zugeschrieben dem früheren Bundespräsidenten Heinrich Lübke. Das habe dieser während seines Staatsbesuches im Januar 1962 durch mehrere westafrikanische Staaten in Liberia zum besten gegeben, so die Fama. Dabei hat spätestens das Geständnis des vormaligen Spiegel-Redakteurs Hermann Gremliza von 2006 in dessen Gazette Konkret das bestätigt, was schon zuvor viele geahnt hatten: Die Lübke unterstellten „schrägen Politikersprüche“ waren pure Erfindung von Spiegel-Redakteuren, um den CDU-Politiker lächerlich zu machen – Lügenpresse reinsten Wassers. Die journalistischen Hamburger Vorväter von Claas Relotius verbreiteten 1967 auch das sprachliche Malheur, der Bundespräsident habe mit der abenteuerlichen Übersetzung „equal goes it loose“ („gleich geht es los“) Englands Queen Elizabeth vor einem Konzert im Schloß Brühl zur Eile gemahnt. Diese zunehmende Verächtlichmachung während seiner Amtszeit und zusätzlich eine publizistische Rufmord-Kampagne – während des Krieges 1942 sei der NS-Gegner als kriegsdienstverpflichteter Ingenieur bei einem staatsnahen Bauunternehmen „KZ-Baumeister“ gewesen – nagten am krebskranken „höchsten Mann im Staat“. Lübke gab schließlich 1969 sein Amt resigniert auf und starb, vor bald fünfzig Jahren am 6. April 1972, in Bonn.

Wehrlos durch seinen Charakter und sein Amt als Bundespräsident

Reizfiguren im politischen Betrieb der sechziger Jahre hätte es für die politische Linke und die sich langsam an den Universitäten formierende antiautoritäre Bewegung reichlich gegeben. Warum wurde ausgerechnet der dröge Sauerländer zu ihrer Zielscheibe? Anders als viele Repräsentanten in Politik und Medien, die direkt (Rassegesetze-Schöpfer und Chef des Bundeskanzleramtes Hans Globke) oder indirekt (Abnicker des Ermächtigungsgesetzes und Vorgänger als Bundespräsident Theodor Heuss) mit dem Hitler-Regime verstrickt waren oder sich ihre Sporen als „150prozentige“ in NS-Propaganda-kompanien verdienten (Stern-Chefredakteur Henri Nannen oder ZDF-Gründungsintendant Karl Holzamer), schmorte der auch beruflich geschaßte Zentrumspolitiker Lübke, Abgeordneter im 1933 aufgelösten Preußischen Landtag, zwanzig Monate ohne Anklage in Haft. Aus dieser ließen ihn die Nationalsozialisten erst im Herbst 1935 frei. Danach fristete der Tapferkeitsleutnant aus den flandrischen Stahlgewittern des Ersten Weltkriegs und studierte Nationalökonom weit unter seiner Qualifikation als Vermessungsingenieur im Berliner Architekturbüro Schlempp sein Dasein. Die Bautätigkeit dieser Firma, im Krieg unter Regie von Generalbauinspektor Albert Speer auch bei Zwangsarbeiterbaracken in Peenemünde, wurde später dazu genutzt, um eine Kontaktschuld Lübkes zu konstruieren. Nannens Stern tat sich dabei besonders unrühmlich hervor.

Tatsächlich eignete sich Lübke als Haßobjekt in anderer Hinsicht vorzüglich. Er war der Prototyp des geradlinigen, gewissenhaften, streng die Etikette achtenden Konservativen mit katholischem Wertegerüst, zudem politisch mit großer Distanz zu den Kommunisten in Pankow und ebensoviel Emphatie für die Ostvertriebenen, deren Anliegen der heimatverbundene Sohn eines Schumachers aus dem Landkreis Arnsberg nur zu gut nachempfinden konnte. Da er bei aller fachlichen Qualifikation rhetorisch unbegabt war, dienten seine hölzernen Reden Satirikern jedoch als leichtes Zielobjekt. Zu der von der Zeitschrift Pardon publizierten Langspielplatte „Heinrich Lübke redet für Deutschland“ kringelte sich mancher 68er noch Jahrzehnte später. Daß er aufgrund seines freundlichen und etwas altfränkischen Wesens, allerdings auch durch das bekleidete Amt zu keiner öffentlichen Gegenwehr fähig war, erleichterte es seinen Spöttern. Die klopften sich unbarmherzig selbst dann noch verzückt auf die Schenkel, als eigentlich für jedermann offensichtlich war, daß auch Lübkes gesundheitlicher Verfall Grund mancher kleinen Peinlichkeit war.