© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 04/22 / 21. Januar 2022

Ein Meer von Widersprüchen
Die Abrechnung des britischen Philosophen Roger Scruton mit linken Denkern neu präsentiert
Erik Lommatzsch

Der im Januar 2020 verstorbene britische Philosoph Roger Scruton war als angriffslustiger und entsprechend angefeindeter Streiter für die konservative Sache bekannt. Bereits 1985 hatte er ein Buch über die Denker der Neuen Linken publiziert. Kurz schien es, als habe die Geschichte sich endgültig gegen deren Bestrebungen entschieden; die völlig diskreditierten politischen Systeme verschwanden innerhalb kürzester Zeit. Allerdings sollte sich die Annahme, daß der Einfluß linker Ideen damit auch verschwinden würde, sehr bald als Irrtum erweisen. Die 68er haben nachhaltig gearbeitet, die Gewänder – sowohl im direkten als auch im übertragenen Sinne – sind andere, die Grundlinien und -überzeugungen nicht. Ein Anlaß, das Buch zu überarbeiten, 2015 ist es erschienen, die deutsche Übersetzung liegt nun vor.

In seiner Einleitung erklärt Scruton, sein Verleger habe ihn überzeugt, daß „ein neues Buch das Leben von Studenten erleichtern könnte, die gezwungen sind, an der klebrigen Prosa von Gilles Deleuze herumzukauen, die wahnsinnigen Zaubergesänge Slavoj Žižeks ernst zu nehmen oder zu glauben, daß in Jürgen Habermas’ Theorie der kommunikativen Aktion mehr steckt als seine eigene Unfähigkeit zu kommunizieren“. Wie bereits im Titel – „Narren, Schwindler, Unruhestifter“ – so ist auch hier noch einmal die Richtung klar abgesteckt. Eine Reihe von Theorien namhafter linker Denker des 20. Jahrhunderts wird vorgeführt, wobei Scruton mitunter weiter ausgreift, an Karl Marx kommt er schwerlich vorbei. Das „durchtriebenste Charakteristikum des Marxismus“ sei, „daß er sich als Wissenschaft verkaufen konnte“. 

Widersprüchliches, oft bewußt nicht zu Ende Gedachtes wird aufgezeigt. Von der Flucht ins Nebulöse der linken Erklärer und Weltverbesserer ist mehrfach die Rede. Wäre der Begriff in unserer unmittelbaren Gegenwart nicht anderweitig völlig verbraucht – das schöne deutsche Wort „Schwurbler“ würde sich zur Charakterisierung vieler dieser Herren (Damen sind nicht dabei) hervorragend anbieten. Scrutons Spitzen haben beträchtlichen Unterhaltungswert. Allerdings lediglich für den Leser, dem die hier aufgeführten Namen, Theorien und Begrifflichkeiten nicht völlig unvertraut sind. Insofern steht die Frage im Raum, ob das Buch als studentische Erstlektüre wirklich geeignet ist. Viel Material wird ausgebreitet. Auf einige Analysen, die dem Grundanliegen Scrutons, die Unhaltbarkeit der Gedankengebäude des jeweiligen Theoretikers darzustellen, lediglich ein weiteres Beispiel hinzufügen, hätte im Sinne größerer Stringenz verzichtet werden können.

Die Befreiung des Opfers als eine „ewige Aufgabe“ der Linken

Das Verbindende der linken Ideen nimmt Scruton mehrfach in den Blick. Zwei Hauptanliegen seien für das von links erstrebte Neue wesentlich. Zunächst handelt es sich um „Befreiung“, wobei hier nicht allein diejenige von politischer Unterdrückung gemeint ist, sondern die „Emanzipation von den ‘Strukturen’, Institutionen, Sitten und Gebräuchen“ der „bourgeoisen“ Ordnung. Dabei sei die „Befreiung des Opfers“ eine „ewige Aufgabe, denn kaum sind einige verschwunden, tauchen schon wieder neue am Horizont auf“. Eine ähnliche Erweiterung gilt für das zweite Hauptanliegen, die „soziale Gerechtigkeit“. Nicht die „Gleichheit vor dem Recht“ sei von entscheidender Bedeutung, sondern „die umfassende Umgestaltung der Gesellschaft“ und „Gleichheit als Standardposition“. 

Scruton verweist auf das „Veredelungspotential“ linker Bestrebungen, die sich hinter der „Flagge der Moral“ sammelten, die sich grundsätzlich im Recht wähnten und die Beweislast stets dem Gegenüber zuschrieben. Es gehe um „Kampf“ und eine als selbstverständlich vorausgesetzte „lineare Ordnung“ von politischen Positionen. Geschaffen würden „leicht anwendbare Etiketten“ für Freund und Feind. 

Als das „wichtigste Erbe der Linken“ bezeichnet Scruton die „Transformation der politischen Sprache“, er betrachtet es als ein wesentliches Anliegen seines Buches, „dem sozialistischen ‘Neusprech’“ entgegenzuwirken. Dessen Welt bestehe lediglich aus abstrakten Kräften, hier „sind Individuen nur lokale Verkörperungen der ‘-ismen’, die sich durch sie offenbaren“. Zweck dieses „Neusprech“ sei – Scruton zitiert hier die französische Historikerin Françoise Thom –, „die Ideologie vor dem heimtückischen Angriff der Dinge zu bewahren“. Denn die linken Intellektuellen betrachten es als vordringlich, die ihrer Meinung nach nur vermeintliche Wirklichkeit zu dekonstruieren und das Verborgene zu entlarven.

Die Angriffsflächen, die Scruton in den Werken der Denker aufspürt, sind Legion und nicht immer nur an fehlender Schlüssigkeit festzumachen. Da wäre etwa der britische Historiker Eric Hobsbawm, dessen Herunterspielen der kommunistischen Verbrechen in seinem Buch „Das Zeitalter der Extreme“ eigentlich ein Skandal „wie David Irvings Leugnung des Holocaust“ hätte werden müssen. So ignorierte Hobsbawm historische Tatsachen, wenn sie der marxistischen Theorie widersprachen. Der amerikanische Rechtsphilosoph Ronald Dworkin habe die Auffassung vertreten, „dem liberalen Gewissen reicht eine Meinung darüber, was ein Gesetz sein könnte oder sollte“. Das Wort „Totalität“ werde beim marxistischen Theoretiker Georg Lukács „nicht erklärt, sondern nur mit einer hypnotischen Inhaltlosigkeit ständig wiederholt“. Über eine Aussage des französischen Philosophen Alain Badiou heißt es: „Meine Versuche, diesen Satz zu entschlüsseln, blieben erfolglos.“ Mit Belegen für „die verworrene Prosa, die die 68er mit Hilfe ihrer ‘Nonsens-Maschine’ hervorgebracht haben“, spart Scruton nicht. Eine  Antwort bleibt er jedoch schuldig: Wenn sich der Unsinn und der Schaden so nachvollziehbar aufzeigen lassen, wie er dies in den meisten Fällen tut – woher dann die immense Wirkkraft dieser Ideen?

Roger Scruton: Narren, Schwindler, Unruhestifter. Linke Denker des 20. Jahrhunderts. FinanzBuch Verlag, München 2021, gebunden, 410 Seiten, 25 Euro

Foto: Eric Hobsbawm, Ronald Dworkin, Alain Badiou: Verworrene Prosa, hervorgebracht mit Hilfe ihrer „Nonsens-Maschine“