© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 04/22 / 21. Januar 2022

Besinnung auf das Eigene
Edelbert Richter erinnert an deutsche Errungenschaften
Rolf Stolz

Der Weimarer Pfarrer Edelbert Richter, im August 1989 Mitbegründer des „Demokratischen Aufbruchs“, ging 1990 zur SPD, wurde Abgeordneter in der Volkskammer, im Bundestag und im EU-Parlament. 2007 verließ er die Partei wegen der Hartz-IV-Gesetze. Bis zu seinem Tod am 23. Juli 2021 blieb er Mitglied der PDS/„Die Linke“. Man wagte nicht, ihn auszuschließen, selbst als er 2018 „Für ein Ende der Halbwahrheiten“ im milieufremden Verlag Manuscriptum veröffentlichte. Der Dissident in beiden Deutschlands schlägt in seinem neunm Werk einen faszinierenden Bogen von den Geisteswissenschaften zur Ökonomie wie zur Historie und Tagespolitik.

Das gedankenreiche Buch will die „unfruchtbare Schuldfixierung der Deutschen“ aufbrechen und die „guten deutschen Traditionen“ in Erinnerung rufen. Nur sie böten Orientierung zur Zukunftsfähigkeit. Daher wird nicht die historische Schuld, sondern der deutsche Beitrag zur Weltkultur thematisiert. Deutschland hat einst als „ideelle Mitte der Welt“ die Reformation und den Marxismus als „expansive Ideen“ (Ludwig Dehio) hervorgebracht, deren mißratene Erben – die US-Puritaner und die Leninisten – in vielem übereinstimmen, „hauptsächlich in der Mißachtung und Mißhandlung der Natur“. 

Richter weist nach, daß schon Luther Weltherrschaftsstreben, also den Mißbrauch der Religion für imperiale Ziele, ablehnte und nur Verteidigungskriege als gerechtfertigt sah. Das wurde im westlichen Protestantismus ins Gegenteil verkehrt – vom Kolonialismus bis zur amerikanischen Neokolonialpolitik. Gegenläufig dazu ist der „Ursprung des nationalen Erwachens“ und des direktdemokratisch akzentuierten „menschheitlichen Geistes“ bei Herder und den Romantikern. Von hier führt eine Linie zu denen, die wie Ernst Troeltsch im Ersten Weltkrieg eine „vor Anglifizierung und Russifizierung“ gerettete Welt ohne „Gewalt und Monopolpolitik“ anstrebten.   

Als Vorreiter der allgemeinen Schulpflicht und mit der Begründung des Sozialstaats wurde Deutschland zum Vorbild für die Welt. Die Humboldtsche Universität wirkte weltweit als Modell, ebenso die von Fröbel 1840 mit dem „Allgemeinen Deutschen Kindergarten“ angestoßene Elementarschul-Reform. Kants Idee einer moralischen Weltbürgerlichkeit und eines Völkerbundes wurde schließlich im 20. Jahrhundert wirkmächtig. Selbst die ökologische Sensibilität und das Berücksichtigen der Nachhaltigkeit wurden zuerst im Deutschland des 18. Jahrhunderts praktiziert. Abschließend stellt Richter den deutschen Weg einer auf Hartwährung und Export orientierten Ökonomie, wie ihn schon Friedrich List 1841 entwickelte, dem angloamerikanischen (Neo)Liberalismus und Wirtschaftsimperialismus gegenüber. 

Edelbert Richter: Das Eigene wagen. Besinnung auf deutsche Traditionen in Politik, Kultur und Wirtschaft. Quartus Verlag, Bucha b. Jena 2020, broschiert, 153 Seiten, 14,90 Euro