© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 04/22 / 21. Januar 2022

Frisch gepreßt

John F. Kennedy. Im Sommer 1937 reiste der Harvard-Student John F. Kennedy, der spätere US-Präsident, durch Europa. Das Tagebuch, das er dabei führte, erschien erstmals 2013. Nun hat sich der Herausgeber, der Berner Komparatist Oliver Lubrich, entschlossen, den Text noch einmal abzudrucken, diesmal zusammen mit dem Tagebuch von Kennedys Kommilitonen und Reisebegleiter Kirk LeMoyne Billings. Den von der Erstpublikation vermittelten Eindruck, mit dem Millionärssohn Kennedy den im kulturellen Nichts siedelnden US-Banausen vor sich zu haben, der den Louvre in einer Stunde abhakt, um mehr Zeit zu gewinnen für seine „sexuellen Eroberungen“, vermag Billings’ Journal nicht zu korrigieren. Neue Facetten fügt es auch dem „politischen Beobachter“ Kennedy nicht hinzu. Der leichtgläubige Luftikus, der sich während seiner Aufenthalte in Italien und Deutschland bezeichnenderweise nur für die Propaganda-, nicht jedoch für die Repressionsmethoden beider Regime interessiert, bleibt in dieser Hinsicht ein Totalausfall. Was Lubrich in seinem ausufernden Nachwort einmal mehr empört. Steckten doch die Ferien-Impressionen voller „naiver Kurzschlüsse“, „ethnopsychologischer Vorurteile, rassistischer Vokabeln und irritierender Stereotype“. So leitet der unbedarfte junge Amerikaner etwa aus den ihn durch Schönheit, Ordnungssinn und Sauberkeit beeindruckenden deutschen Städten ab, „daß die nordischen Rassen den romanischen gewiß überlegen zu sein scheinen“. Da ist wohl demnächst ein Denkmalsturz fällig. (wm)

John F. Kennedy: Das geheime Tagebuch. Europa 1937. DVB-Verlag, Wien 2021, gebunden, 224 Seiten, Abbildungen, 22 Euro





Berlin. Der Bildband „Mitte von oben“ über die Geschichte des Berliner Stadtkerns im 20. Jahrhundert ist ein wahres Kontrastprogramm. Stadtforscher Benedikt Goebel und Architekt Lutz Mauersberger nehmen den Betrachter mit auf eine Reise vom kaiserlichen Berlin durch das Trümmerfeld der Nachkriegszeit bis hin zur wiedervereinigten Großstadt an der Spree. Dabei wird augenfällig, wie sehr sich das Erscheinungsbild Berlins in nicht einmal hundert Jahren verändert hat. Wo sich einst Kirchen, klassizistische Wohnbauten und alte Polizeiwachen gegenseitig auf die Pelle rückten, sieht man heute Häuserblocks aus sozialistischen Zeiten schroff aus dem Stadtbild herausragen oder die nach 1990 gebauten Regierungsgebäude und architektonischen Mauer-Lückenschlüsse. Dieser Blick in eine von Brüchen gezeichnete Vergangenheit stimmt melancholisch. Gleichzeitig aber kann der Bildband den Betrachter wieder mit der Metropole versöhnen, die ja auf den ersten Blick alles andere als einladend aussieht. Vor allem für Neu-Berliner interessant. (fw)

Benedikt Goebel, Lutz Mauersberger: Mitte von oben. Lukas Verlag, Berlin 2021, broschiert, 110 Seiten, Abbildungen, 24,90 Euro