© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 04/22 / 21. Januar 2022

Wolle statt Plastik
Mikro-Unternehmen schlagen mit Mode aus Loden und Filz die Klamotten der Trend-Labels
Bernd Rademacher

Warm, winddicht, wasserabweisend: Funktionskleidung für draußen ist ein Megatrend. Vor allem Städter staffieren sich zum Brötchenholen gerne wie Jäger oder Alpinisten aus. Und kein Zweifel: Die Klamotten mit den schicken Labels sehen sportlich aus, sind praktisch und strapazierfähig. Doch „nachhaltig“ sind sie bestimmt nicht: Sie bestehen aus Kunstfasern und werden am anderen Ende der Welt unter zweifelhaften Bedingungen produziert. Forscher verdächtigen die Imprägnierung von Outdoor-Mode, für Mikroplastik in Forst und Flur verantwortlich zu sein. 

Dabei gibt es gute Alternativen: Loden, Strick und Filz aus Schurwolle sind nicht nur hochwertig und handgemacht, sondern auch hundert Prozent Heimat! Kleine, inhabergeführte Manufakturen interpretieren traditionelle Kleidungsstücke auf moderne Art und können damit sogar helfen, alte bedrohte Nutztierrassen zu erhalten. 

Die Firmengeschichte von Waldkauz.net begann mit einem Mißgeschick: Jäger Markus Holthausen aus Neuss ärgerte sich darüber, die Chance verpaßt zu haben, einen Fuchs zu schießen, weil sein Rucksack zu viele Geräusche machte. Er begann zu tüfteln und schneiderte mit einer Nähmaschine vom Flohmarkt eine durchdachte Jagdtasche aus einer alten Filzdecke. 2009 entwickelte Holthausen seine erste Kleinserie. Heute betreibt er mit seiner Frau Gudela und einem Dutzend Mitarbeiter die Unternehmen Waldkauz und Steinkauz für Jagd- und Wanderkleidung sowie Accessoires aus Loden und Wollfilz.

Einheimische Materialien von alten regionalen Tierrassen

Auch bei Familie Reinold im oberschwäbischen Memmingen begann die Unternehmenschronik mit der Jagdpassion: In ihren beiden Revieren testeten sie zahllose Varianten, bis sie mit ihrer Loden-Jagdjacke „Wolverine“ einen Hit landeten. Besonders charakteristisch ist das selbst entwickelte Tarnmuster „Orbis“. Mit den Marken Icefox.biz und Icefoxcountry.com liefert der Familienbetrieb robuste Mode aus Naturmaterialien für Waidleute und Naturfreunde.

Einen Schritt weiter gehen Thomas und seine Tochter Ronja Bacher aus Wackersberg im Tölzer Land: Für ihre klassischen Strickjanker verwenden sie ausschließlich Wolle von bayerischen Schafen. Dazu haben sie mit regionalen Schafhaltern das Label „Mähdusa“ gegründet. Ihre Ziele sind eine „artgerechte Haltung, faire Löhne und heimatpflegendes Wirtschaften“. Gründer Thomas Bacher ist als Extremsportler lange durch die USA und Indien getourt, bis er Sehnsucht nach „dahoam“ bekam. Mit einer Familienspinnerei im Salzburger Land, die seit über hundert Jahren Garne herstellt, fand er die idealen Partner für die Qualitätsprodukte seiner Eigenmarke „Liebling.cc“.

Wer bei „Loden-Friedl“ im oberpfälzischen Mitterteich anruft, hat gute Aussichten, daß sich Inhaber Alexander Friedl persönlich meldet. Seit mehr als einem halben Jahrhundert fertigt der Betrieb Bekleidung und Heimtextilien aus Tirschenreuther Schurwolle. Sein Bestseller ist die Lodenkotze „Wetterfleck“, die erstaunlich leicht ist, aber bestens vor Wind und Wetter schützt. 

Statt ein Datenblatt mit Produktversprechen zu studieren, kann man sich vom Inhaber selbst erzählen lassen, was der „Wetterfleck“ leistet: „Erst neulich war ich damit zwei Stunden im strömenden Regen unterwegs, ohne naß zu werden.“

Zu größerer Bekanntheit durch Fernsehen und Internet brachte es Marco Scheel. Der gebürtige Rüganer gründete 2013 sein Mikro-Unternehmen Nordwolle. Als Bänker ihm damals in seinen „Businessplan“ reinreden wollten, antwortete er nur: „Es geht auch ohne euch!“ und verzichtete auf Kreditangebote. Ein Glück, denn sonst hätte er sein Vorhaben womöglich von vornherein als unrentabel aufgegeben, die rauhe, graue Wolle der fast ausgestorbenen Pommernschafe zu Premium-Textilien zu verarbeiten. 

Kleine Familienbetriebe zeigen Innovationskraft

Bevor Scheel an die Vermarktung ging, wurde die Wolle mangels Nachfrage als Dünger aufs Feld gekippt. Mit Partnerbetrieben aus Sachsen, Thüringen und Bayern fertigt Scheels Team 100 Prozent plastikfreie Wollkleidung im natürlich schwarz-grauen Farbschlag der Pommernschafe. Inzwischen ist er sogar selbst in die Zucht der robusten Rasse eingestiegen. Neuerdings gehören auch Bettdecken und Schlafsäcke zum Sortiment. Prominent wurde der 33jährige durch einen Ausraster im TV, weil ihm bräsige Behörden ständig Steine in den Weg rollten.

Dabei zeigen gerade diese Beispiele, wieviel Innovationskraft in kleinen Familienunternehmen steckt. Wer sich für ein Kleidungsstück aus solchen Manufakturen entscheidet, bekommt nicht nur ein Lieblingsstück, das lange Freude macht, sondern belohnt auch unternehmerischen Idealismus. 

Fotos: Schafsherde: Die Wolle für die Bekleidung der Marke Liebling stammt aus Bayern; Janker aus Loden: Kleidungsstücke aus hochwertigen Textilien bereiten länger Freude