© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 05/22 / 28. Januar 2022

„Ich kann nur warnen“
Bitcoin: Vielen gilt er als die Zukunft in Sachen Wertanlage. Doch könnte die Kryptowährung Anleger ins Unglück stürzen? Längst sei das Digitalgeld zum gefährlichen Kult geworden, kritisiert der Finanzexperte Andreas Beck
Moritz Schwarz

Herr Dr. Beck, vor einem Jahr haben wir angesichts wachsender Krisenhaftigkeit in Wirtschaft und Finanzen Investieren in Bitcoins als Möglichkeit zur Krisenvorsorge vorgestellt. War das zu vorschnell? 

Andreas Beck: Ja, allerdings nicht, weil es Grund zur Entwarnung gäbe. Ich fürchte, den Regierungen wird auch weiterhin der Mut zu einer Politik fehlen, die aus der Krise führt. Ich warne jedoch eindringlich, den Bitcoin als Retter in der Not anzusehen.

Warum? 

Beck: Der Bitcoin ist ein interessantes Spekulationsobjekt, jedoch keine Geldanlage.

Aber „Bitcoins sind wie Gold, eine Wertanlage“, so Institutsdirektor Philipp Sandner von der Frankfurt School of Finance gegenüber dieser Zeitung.

Beck: Das gehört zu den vielen Märchen über den Bitcoin, die sich leider überall verbreiten.

Inwiefern? 

Beck: Nun, der Bitcoin basiert ja auf dem Prinzip eines – dezentralen – Computernetzwerks, genannt „Blockchain“. Dieses ist kopiersicher, und das ist, zugegeben, eine großartige Leistung, vor der ich wirklich den Hut ziehe, weil es zuvor niemandem gelungen ist, in der digitalen Welt Kopiersicherheit zu gewährleisten. Dieses phänomenale System aufrechtzuerhalten bedarf allerdings hohen Aufwands. Und da es dezentral ist, also keine Zentralgewalt hat, die das tut, übernehmen dies Freiwillige. Die müssen dazu teure Computer-Hardware anschaffen, die sehr viel Strom verbraucht. Entschädigt werden sie, indem ihnen pro etwa 35.000 bis 40.000 Dollar Kosten ein Bitcoin gutgeschrieben wird. Diese Leute nennen sich „Miner“, zu deutsch „Bergmann“, „Minenarbeiter“, die so die Bitcoins „schürfen“ – analog zu Bergleuten, die nach Gold schürfen. Aber Vorsicht: Tatsächlich werden Bitcoins nicht „geschürft“, denn ihr „Mining“ erschließt eben nicht, wie bei der Förderung von Edelmetall, echte Werte. Alle Bitcoins sind tatsächlich schon da und werden nur wie ein Pokal den Minern als Belohnung gutgeschrieben. Dennoch wird der Vergleich mit Minen, Schürfen und Bergbau gerne benutzt, um einen anderen Eindruck zu erwecken. 

Soll der Vergleich nicht nur etwas anschaulich machen? 

Beck: Oft sind sich Bitcoin-Anhänger selbst nicht bewußt, daß der Vergleich in die Irre führt. Es ist aber wichtig, klarzumachen, daß Bitcoins keinen eigenen Wert darstellen. Was besitzen die Miner, die Bitcoins gutgeschrieben bekommen? Eigentlich nichts als einen „Pokal“ mit symbolischem Wert. Sie müssen ihre Bitcoins erst verkaufen, um Geld zu verdienen, denn das System selbst generiert keinen Ertrag. Stattdessen muß externes Geld hineinfließen – es erzeugt also einen negativen Cashflow. Das Geld welches „entsteht“, ist nur das Geld jener, die den Minern ihre Bitcoins abkaufen. 

Wo ist der Unterschied zu Gold, dessen Wert weitgehend ebenso lediglich darin besteht, daß wir ihm einen beimessen. Strenggenommen ist es nur faszinierender Glitzerkram. Vielleicht könnte man sogar sagen, der „Bitcoin“ des analogen Zeitalters. 

Beck: Wir wissen zumindest aus Tausenden Jahren Erfahrung, daß die Menschen Gold beständig einen Wert zuschreiben. Doch wissen wir das auch vom Bitcoin? Religiöse Reliquien etwa waren einmal das Wertvollste überhaupt. Und heute? Was, wenn Bitcoins wie Reliquien des digitalen Zeitgeistes sind? Dann steht man, wenn sie ihren Wert verlieren, mit nichts da. 

Aber warum sollte das passieren?

Beck: Das könnte etliche Gründe haben. Inzwischen gibt es circa 9.000 Kryptowährungen. Die meisten sind zwar kein Erfolg. Was aber wenn eine auftaucht, die noch cleverer konstruiert ist oder viel weniger Energie verbraucht und dem Bitcoin den Rang abläuft? Dann könnte es relativ schnell mit ihm vorbei sein. 

Jedoch ist der Bitcoin die einzige, die auf dezentraler Technologie beruht und damit die einzige, die unabhängig ist. Zudem, so die Bitcoin-Anhänger, sei es unmöglich, eine weitere unabhängige Kryptowährung zu schaffen, da diese sofort unter die Kontrolle einzelner geriete. Das war zur Entstehungszeit des Bitcoins anders, der langsam wachsen konnte und als er erfolgreich wurde, schon zu groß und breit gestreut war, um ihn erfolgreich anzugreifen. Fazit: Eine zweite dezentral organisierte Kryptowährung werde es nicht geben. 

Beck: Das ist gut möglich, dennoch haben wir keine Ahnung, was morgen kommen wird. Niemand kann garantieren, daß der Bitcoin die Zukunft ist. 

Und wenn doch?

Beck: Dann herzlichen Glückwunsch. Ich finde die Idee der Blockchain des Bitcoin auch faszinierend und will nicht ausschließen, daß den Bitcoins dauerhaft Wert zugeschrieben wird. Aber diese Erwartung ist so unsicher, daß man nicht mal seriös eine Wahrscheinlichkeit dafür angeben könnte, und wir sprechen hier über Bitcoins als Wertanlage, also als eine Art „digitales Gold“. Sein Geld langfristig in Bitcoin anzulegen, ist also eine Wette darauf, daß er auch in dreißig bis fünfzig Jahren noch gefragt ist. Nochmals: Das ist möglich, aber alles andere als sicher, und deshalb als Wertanlage nicht zu empfehlen. Ich sage ja nicht, daß es falsch ist, in Bitcoins zu spekulieren – ich sage, es ist ein sehr hohes Risiko. Wenn Sie anlegen und ergo möglichst wenig Risiko möchten, kann ich nur warnen. Wenn Sie dieses aber nicht scheuen und spekulieren wollen, dann, ja, ist der Bitcoin sogar eine sehr interessante Sache. 

Also können Sie ihm doch etwas abgewinnen. 

Beck: Na ja, es bleibt das Problem, daß niemand weiß, was ein Bitcoin wirklich wert ist, weil es keine Referenz dafür gibt. Sein Wert wird ihm einfach zugeschrieben. Das können heute Millionen sein, morgen vielleicht Null. Andererseits aber hat die Finanzindustrie erkannt, wie viel Geld man mit ihm machen kann. Denn Investoren, Anleger, Kunden sind inzwischen sehr gebührenintensiv, mit ihnen ist kaum noch zu verdienen. Bei Kryptowährungen dagegen gibt es noch keine Kostensensibilität, womit sie ein Dorado für die Finanzindustrie sind. Und wenn jemand Profi darin ist, wertlose Dinge aufzublasen, dann ist es die Finanzindustrie. Die nun versucht, möglichst viele Leute zu überzeugen, daß sie unbedingt Bitcoins für ihr Portfolio brauchen. Wenn ihr das gelingt, was gut möglich ist, dann wird der Bitcoin unterm Strich erstmal weiter steigen. 

Wer jetzt auf Ihren Rat hin nicht in Bitcoin investiert, der könnte sich später vielleicht einmal schwarzärgern. 

Beck: Ich rate das ja gar nicht. Ich versuche nur aufzuklären, daß die Geschichten über den Bitcoin, die deren Anhänger verbreiten, irreführend sind. Wenn jemand verstanden hat, womit er hier eigentliche spekuliert, dann ist das, denke ich, in Ordnung.   

Sie sagen, das System Bitcoin schaffe keinen Wert. Aber ist, was die Minenarbeiter leisten, nicht eine Dienstleistung und damit keineswegs „nichts“? 

Beck: Ach wissen Sie, ich glaube, wir haben es mit einem Zeitgeistphänomen zu tun: Wir pflegen einen geradezu abgöttischen Glauben an die Digitalisierung – und vielleicht ist der Bitcoin ja tatsächlich so etwas wie eine Reliquie. Jedenfalls, wenn Sie sich im Internet kritisch über ihn äußern, werden Sie regelrecht gekreuzigt. Viele Bitcoin-Anhänger sind von geradezu religiösem Eifer erfüllt.

Widerspricht Ihrer Interpretation nicht, daß er doch etwas zu bieten hat? Nämlich Unabhängigkeit von Zentralbanken und damit Sicherheit vor staatlichem Zugriff, womit der Bitcoin die einzige Währung ist, die garantiert niemand seiner Politik unterwerfen kann.

Beck: Ja, aber ich sehe in dem, was Sie formulieren auch ein weiteres Element eines Kultes: Typisch dafür sind immer auch Heilsversprechen, hier die Errettung vor Banken und Staaten. Merken Sie nicht, daß das eine regelrechte Erlösungsphantasie ist? Ohne Staat kein Schutz von Privateigentum. Wo Staaten scheitern, übernimmt die organisierte Kriminalität das Kommando. Es gibt keine Erlösung davon, daß wir vom Funktionieren unseres Staates abhängig sind. Und auch wenn die Unabhängigkeit von Banken und Staaten an sich ein Pluspunkt für den Bitcoin ist. Man bezahlt diese mit der Abhängigkeit von einigen, wenigen unbekannten Besitzern, die über die Masse der Bitcoins verfügen.

Dennoch, die Unabhängigkeit des Bitcoins ist keine Einbildung.

Beck: Das stimmt, und sie ist zweifellos ein klarer Pluspunkt für den Bitcoin. Doch diese Unabhängigkeit von Banken und Staaten bezahlt er mit der Abhängigkeit von einigen wenigen unbekannten Besitzern, die über die Masse der Bitcoins verfügen.

Inwiefern? 

Beck: Ich hole etwas aus: Oft wird dem Bitcoin aus guten Gründen vorgeworfen, ein sogenanntes Schneeballsystem zu sein. Doch bisherige Schneeballsysteme waren intransparent und betrügerisch, und irgendwann kommt der Paukenschlag, mit dem ihr Kartenhaus zusammenfällt. Der Bitcoin ist anders. Er ist außerordentlich transparent, so daß kein Paukenschlag-Enthüllungsmoment eintreten kann. Jeder kann jederzeit die Regeln einsehen und sehen, wo er steht. Dennoch kann der Bitcoin aber kollabieren, und gerade seine Transparenz zeigt uns einen Grund: Wer Bitcoins kauft, legt diese in einen elektronischen Geldbeutel, „Wallet“ genannt. Zwar kann man nicht sehen, wem welcher Wallet gehört, aber welche Beträge sie enthalten. Und etwa 98 Prozent enthalten weniger als einen Bitcoin. Während in weniger als 100 Wallets mehr als 15 Prozent aller Bitcoin konzentriert sind, also sich eine Masse von etwa 2.600.000 Bitcoins in einigen wenigen „dicken“ Wallets einiger weniger Besitzer konzentriert. Würde einer von diesen verkaufen, würde der Bitcoin rasch ins Bodenlose stürzen. 

Aber hinter vielen der „dicken“ Wallets stecken Kryptobörsen, in denen wiederum Millionen kleine Teilnehmer ihre Bitcoins lagern, die sie jederzeit mit ein paar Mausklicks in ihre Privat-Wallets verschieben können. Damit wäre der Bitcoin doch breit gestreut und keineswegs von einigen wenigen abhängig.

Beck: Das glaube ich nicht. Denn man kann sehen, ob in einer Wallet Transaktionen stattfinden. Wenn es sich um eine Kryptobörse handelt, müßte das häufig passieren. Doch in vielen der „dicken“ Wallets tut sich fast gar nichts, sie sind also keine Börsen. Die Macht über das Schicksal des Bitcoins liegt also in den Händen weniger, unbekannter Teilnehmer.

Wie das? Seiten wie bitinfocharts.com weisen die Masse der Bitcoins doch als in Kryptobörsen befindlich aus. 

Beck: Nochmals: Man kann in die Wallets blicken und sieht die Transaktionen. Damit kann man erkennen, wer ein Miner ist, wer eine Börse und wer sozusagen früh viel gekauft hat und jetzt abwartet. Aber bevor wir uns in weiteren Einzelfragen verlieren, möchte ich nochmal versuchen, mein vorhin wohl nicht richtig verdeutlichtes zentrales Argument darzustellen: Viele halten den Bitcoin für zukunftssicher, weil sie sich die Welt von morgen nicht vorstellen können. Wer aber hätte vor gut zehn Jahren geglaubt, was für einen massiven Einfluß auf Politik und Gesellschaft zum Beispiel ein unbekanntes Grippevirus oder eine Bewegung wie „Fridays for Future“ nehmen könnte? Größter Profiteur eines Währungssystems ist immer der, der es erschafft. Nun stellen Sie sich vor, es entsteht eine solche soziale Bewegung, die verlangt, daß diesen Vorteil nicht länger die Zentralbanken und Staaten oder einige Unbekannte, wie beim Bitcoin, haben sollen. Stattdessen wird ein internationales Geldwesen vielleicht der Wissenschaft und den Universitäten übertragen, da man findet, diese sollten so gefördert werden – ein „Unicoin“ sozusagen. Viele würden das heute schon für eine schöne Idee halten. Natürlich klingt es für uns heute abwegig, aber das hätte es auch, wenn man uns 2010 gesagt hätte, eine 14jährige Schulschwänzerin würde die einflußreichste gesellschaftliche Bewegung der Welt auslösen. Und deshalb ist und bleibt es höchst unseriös, wenn jemand meint, aussagen zu können, der Bitcoin würde auch in Zukunft noch nachgefragt werden. Die Politik neigt dazu, die Erträge der Geldschöpfung zu mißbrauchen. In Ordnung, diese Kritik ist berechtigt. Aber mir fallen tausend bessere Lösungen ein, wo die Erträge der Geldschöpfung landen sollten, als dies beim Bitcoin der Fall ist. 

Auch beim Bitcoin steht der Laie also zwischen Experten, die sich widersprechen. Wem soll man glauben? 

Beck: Seriöse Experten wissen, daß sie die Zukunft nicht kennen. Alles was sie tun können, ist auf Basis bestehender Informationen Szenarien zu beschreiben und zu bewerten. Daß dies bei etwas grundsätzlich Neuem wie den Krypotwährungen eine kontroverse Diskussion ist, ist doch erfrischend. Man soll niemandem glauben, sondern einfach nur die verschiedenen kontroversen Aspekte bedenken, bevor man sich eine Meinung bildet. Und mit neuen Informationen gilt es die eigene Meinung wieder kritisch zu hinterfragen.






Dr. Andreas Beck, ist Geschäftsführer der bayerischen Vermögensverwaltung Index Capital sowie Gründer des Instituts für Vermögensaufbau, dem er bis 2018 vorstand. Der Mathematiker, Philosoph und „kreative Querdenker, dessen Risikobewertungen sich in der Finanzkrise als solide erwiesen haben“ (FAZ), wurde 1965 in München geboren. 

 www.index-capital.info

Foto: Wertverfall: „Auch ich finde es eine großartige Leistung, vor der ich den Hut ziehe, die zuvor noch keinem gelungen ist ... Aber niemand weiß, was der Bitcoin wirklich wert ist, heute vielleicht Millionen – morgen vielleicht Null“