© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 05/22 / 28. Januar 2022

Ohne viel Faeserlesens
Porträt: Die neue Bundesinnenministerin Nancy Faeser hat sich ganz und gar dem „Kampf gegen Rechts“ verschrieben / Dieses Engagement habe die SPD-Frau „persönlich in die Politik geführt“
Sandro Serafin

Nancy Faeser ist in Fahrt: Bereits bei ihrer ersten Vorstellung erklärte die 51jährige den Kampf gegen Rechtsextremismus zu ihrem „besonderen Anliegen“. Nun vergeht kaum ein Tag, an dem die neue Bundesinnenministerin nicht mit Aussagen zum Thema auf sich aufmerksam macht.

Erst mahnt sie, Verfassungsfeinde schneller aus dem öffentlichen Dienst zu entfernen. Dann kündigt sie einen Aktionsplan gegen Rechtsextremismus bis Ostern an. Gleichzeitig will sie ein „Demokratiefördergesetz“ vorantreiben, um „eine gute Lösung für all die NGOs zu finden, die eine wirklich wertvolle Arbeit leisten“, gemeint sein dürften vornehmlich linke Organisationen. Und schließlich droht sie dem Messenger-Dienst Telegram mit Abschaltung oder offenbart ein seltsames Verständnis von ihrer Rolle als Verfassungsministerin, wenn sie bezüglich der Demonstrationen gegen die Corona-Auflagen meinte: „Man kann seine Meinung auch kundtun, ohne sich gleichzeitig an vielen Orten zu versammeln.“

Linksextremismus und Islamismus erwähnt Faeser bisweilen pflichtschuldig, ordnet sie aber der „Gefahr von rechts“ klar unter. Die Anmerkung, daß „auch im Linksextremismus“ die Gewaltbereitschaft wachse, ist von ihr zwar zu vernehmen, allerdings erst auf Nachfrage der Süddeutschen Zeitung. Und das, obwohl zumindest der Generalbundesanwalt seit Jahren deutlich mehr Verfahren gegen Islamisten und zuletzt sogar mehr gegen Linksextreme als gegen Rechtsextreme führte.

„Gesellschaftsbild, das sehr offen und tolerant ist“

Auch sonstige Äußerungen Faesers erwecken den Eindruck, daß das Bundesinnenministerium nun von einer harten linken Ideologin geleitet wird. Beim Thema Asyl kündigte die Ressortchefin an, eine „Koalition der Willigen“ innerhalb der EU zu schmieden: Einzelne „aufnahmebereite“ Mitgliedstaaten sollen bei der Umverteilung von Migranten vorangehen. Und schon Anfang des Jahres plädierte Faeser dafür, Neuankömmlingen aus Afghanistan pauschal eine gute Bleibeperspektive zu bescheinigen, damit sie frühzeitig in staatliche Integrationsmaßnahmen einbezogen werden können.

Dabei kommt die neue Ministerin eigentlich aus einem weniger dogmatischen Flügel ihrer Partei. Die Mutter eines Sohnes hat ihre familiären Wurzeln in Duisburg, sozialdemokratisch geprägt, aber auch katholisch. Religion sei ihr „schon sehr wichtig“, zitierte die Frankfurter Allgemeine Zeitung sie 2019. Die Eltern zogen ins hessische Schwalbach, wo der Vater langjähriger Bürgermeister war. Faeser machte als „die Tochter des Bürgermeisters“ Kommunalpolitik und galt schon vor über 20 Jahren als „Nachwuchstalent“.

Als die in einer internationalen Kanzlei tätige Anwältin 2003 in den Landtag ging, machte sie sich zunächst als Rechtspolitikerin einen Namen. 2009 wurde Faeser innenpolitische Sprecherin. 2019 erklomm sie Partei- und Fraktionsvorsitz. Ministerin wollte sie schon lange werden: Auf Landesebene saß sie in drei Schattenkabinetten, einmal für das Justiz-, zweimal für das Innenministerium.

Hoch her ging es in der Hessen-SPD 2008: Andrea Ypsilanti kuschelte mit der Linkspartei, wollte sich von ihr zur Ministerpräsidentin küren lassen. Faeser gehörte damals zum rechten „Aufwärts“-Flügel, der das eher kritisch sah. Auf dem Höhepunkt der innerparteilichen Auseinandersetzungen soll sie erklärt haben, sie wisse nicht, „ob das noch meine Partei ist“. In ihren landespolitischen Äußerungen war Faeser gleichwohl meist typisch Sozialdemokratin. Sie wetterte gegen einen harten Strafvollzug, gegen zu tiefe Eingriffe in Bürgerrechte bei der Sicherheitspolitik und gegen ein einseitiges Kopftuchverbot. Sie griff die AfD an, attestierte dem konservativen CDU-Politiker Hans-Jürgen Irmer eine „bedenkliche Geisteshaltung“ und bezeichnete die „Demo für Alle“ gegen Frühsexualisierung als „rückwärtsgewandte Aktion“.

Doch Faeser bekam auch Kritik von links zu spüren: 2016 griff sie einen Bericht der Bild auf, wonach die Polizei Informationen über Flüchtlingskriminalität zurückhielt. Die regierende CDU warf ihr daraufhin vor, eine „aufgeheizte Stimmung“ zu befördern. Es war wohl nur ein Ausrutscher: Als es 2020 in Frankfurt zu massiven Angriffen auf die Polizei durch Migranten kam, erklärte Faeser: „Straftäter erkennt man an den Straftaten, nicht an der Herkunft.“

Eine deutlichere Linie fuhr sie gegenüber der Polizei. Unablässig kritisierte sie die Überlastung der Beamten. Die Polizei sei „sorgfältig und planmäßig kaputtgespart“ worden. Als Schatteninnenministerin versprach sie 2018 einen zusätzlichen Streifenwagen pro Revier. Die Sorge um rechtsextreme Umtriebe bei den Sicherheitskräften trug zwar auch Faeser in die Öffentlichkeit. Zugleich mahnte sie jedoch zur Differenzierung. Als SPD-Chefin Saskia Esken von „latentem Rassismus“ in der Polizei sprach, warnte sie vor „Verallgemeinerungen“. 

Wenngleich Faeser auch linke Gewalt etwa im Dannenröder Forst verurteilte, lag ihr Schwerpunkt auch in Hessen bereits auf dem rechten Extremismus. Das Engagement gegen diesen habe „mich persönlich in die Politik geführt“, formulierte sie bei einer Debatte zum Attentat in Hanau. Im Landtag arbeitete sie im NSU-Untersuchungsausschuß mit und forderte zuletzt „Demokratieerziehung“ in der Kita und einen „Lehrstuhl gegen Rassismus“. Ein Licht auf ihr Politikverständnis wirft auch eine Aussage vom Oktober, als Faeser auf der Frankfurter Buchmesse formulierte, es sei „Aufgabe der Politik, ein Gesellschaftsbild vorzugeben, das sehr offen und tolerant ist“. 

Nachdem Faeser zuletzt immer wieder den Rücktritt des hessischen Innenministers Peter Beuth (CDU) gefordert hatte, ist sie nun also selbst am Zug. Wie lange die ambitionierte Sozialdemokratin auf dem Posten bleibt, ist unklar: 2023 stehen in Hessen Landtagswahlen an. Faeser galt zuletzt als sichere Spitzenkandidatin. Ob sie das BMI auch als Sprungbrett zu höheren Aufgaben betrachtet? Es ist jedenfalls nicht auszuschließen.

Foto: Nancy Faeser bei einer Pressekonferenz Mitte Januar in Berlin: „Demokratieerziehung schon in der Kita“