© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 05/22 / 28. Januar 2022

Ländersache: Bayern
Wind machen, am Rad drehen
Paul Rosen

Über Jahrzehnte hat die CSU Bayern als barockes Bollwerk gegen Preußentum, Sozialismus und Grüne verteidigt: „Grüne Ideen gedeihen nicht in den Quartieren der Arbeiter. Sie gedeihen in den Luxusvillen der Schickeria“, schimpfte einst Franz Josef Strauß. Das war 1987. Rund dreieinhalb Jahrzehnte später regiert mit Ministerpräsident Markus Söder immer noch ein CSU-Politiker den Freistaat. Er versucht, den zu Strauß’ Zeiten begonnenen Aufstieg Bayerns vom Agrar- zum Hochtechnologieland fortzusetzen: „Laptop und Lederhose oder Leberkäse und Laser bleibt das weiß-blaue Lebensgefühl“, sagte er in seiner Neujahrsansprache.

Als barocker Landesfürst vor der typischen Bergkulisse war Söder noch zu sehen, als er den neuen CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz in Bayern begrüßte. Doch daß die Situation heute eine andere ist, als zu Zeiten Edmund Stoibers, der noch mit Zweidrittelmehrheit im Landtag regierte, oder als Strauß ungeniert über CDU-Chef Helmut Kohl herzog („Er wird nie Kanzler“), war auf dem virtuellen CDU-Parteitag in Form eines Kotaus von Söder vor der großen Schwester zu erleben: „Es tut uns leid, es tut mir leid“, entschuldigte er sich gegenüber den CDU-Delegierten für den Streit um die Kanzlerkandidatur.

Auch beim Antrittsbesuch von Klimaminister Robert Habeck (Grüne) in München war von einer Demonstration weiß-blauer Macht nichts mehr zu spüren. Vor der Staatskanzlei waren Habeck-Fans aufmarschiert: Grüne mit einem Mini-Windrad, Greenpeace und weitere grüne Vorfeldorganisationen, die dem Ministerpräsidenten oben am Fenster signalisiert haben dürften, wer das öffentliche Bild dominiert. Habeck gab sich lässig, aber war im Gespräch mit Söder knallhart. Dem Grünen geht es darum, die Wind- und Solarenergie in Bayern voranzubringen. Im Freistaat sind die Regeln besonders scharf. So darf ein 200 Meter hohes Windrad nur gebaut werden, wenn zwei Kilometer Abstand zur Wohnbebauung eingehalten werden (10h-Regel). Ergebnis waren nur zwölf neue Windräder im Jahr 2021. „Da wo Abstandsregeln vorgehalten werden, um Verhinderungsplanung zu betreiben, können die nicht länger bestehen bleiben“, drohte Habeck mit einer Änderung des Bundesrechts, um damit die nur in Bayern geltende Abstandsregel zu Fall zu bringen. Söder wurde zunehmend weicher und sprach von einer schlechteren Topographie im Süden; er weiß, daß auch sein Koalitionspartner Freie Wähler mehr Windräder will – und die Wirtschaft sowieso.

Angesichts schlechter werdender Umfragen, die die CSU derzeit noch bei 35 Prozent und damit unter dem desaströsen Wahlergebnis von 2018 (37,2) sehen, ist die absolute Mehrheit außer Reichweite. Söders Beliebtheitswerte sind katastrophal. Die CSU könnte 2023 zu einer Koalition mit den Grünen gezwungen sein, wenn es zusammen mit den „Freien“ nicht mehr reicht. Söder muß Kompromisse eingehen und weniger Abstand zulassen. Er wird einknicken – wie auch bei Corona, wo er in Bayern mit den schärfsten Regeln glänzen wollte. Angesichts von Massendemonstrationen gegen die Corona-Politik will er Regeln zurücknehmen oder aufweichen: „Im Zweifel machen wir es alleine.“