© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 05/22 / 28. Januar 2022

Nach der Pflicht rufen
Corona: Während der Bundestag debattiert, gibt es immer mehr Zweifel am Sinn und praktischen Nutzen einer Impfpflicht
Peter Möller

Bei der Impfpflicht ist es wie so oft im Leben: Der Teufel steckt im Detail. Jenseits der Grundsatzdebatte, ob der Staat seine Bürger verpflichten darf, sich im Kampf gegen das Coronavirus impfen zu lassen, die am Mittwoch dieser Woche auf der Tagesordnung des Bundestages stand, stellt sich die Frage der praktischen Umsetzbarkeit. „Es ist nicht zielführend, eine Pflicht einzuführen, die am Ende nicht wirksam und zeitnah organisiert und kontrolliert werden kann. Dann droht die Gefahr, daß die Impfpflicht zu einem zahnlosen Tiger wird“, warnte Anfang der Woche der Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebunds, Gerd Landsberg in der Rheinischen Post.

Hinter dieser Warnung steht die Furcht, daß am Ende die Kommunen, die laut Landsberg bereits an ihrer Leistungsgrenze arbeiten, mit der Umsetzung der Impfpflicht allein gelassen werden. Er warnte, solche Praxisfragen auszuklammern: „Es ist nicht richtig, sich erst nach Einführung einer gesetzlichen Impfpflicht Gedanken zu machen, wie denn die Umsetzung erfolgen soll.“ Insbesondere müsse geklärt werden, ob der beste Weg nicht ein nationales Impfregister sei, wie es etwa in Österreich eingeführt worden sei.

„Wasser auf die Mühlen der Verschwörungstheoretiker“

In die eigentliche Frage, wie eine allgemeine Corona-Impfpflicht rechtlich überhaupt ausgestalt werden könnte, ist in den vergangenen Tagen Bewegung gekommen. Anfang der Woche lagen mehrere Anträge zu dem Thema vor beziehungsweise waren angekündigt. Der weitestgehende Vorschlag stammt von sieben Abgeordneten aus den Regierungsfraktionen von SPD, Grünen und FDP, die sich für eine allgemeine Impfpflicht ab 18 Jahren einsetzen. Demnach soll künftig jeder Erwachsene in Deutschland zu drei Impfungen gegen das Coronavirus verpflichtet werden. Zur Begründung heißt es, daß so nach bisherigem medizinischen Wissensstand eine Grundimmunisierung der Bevölkerung erreicht werden könne. „Ausnahmen für chronisch Kranke sowie erforderliche Regelungen für Berufspendler aus dem Ausland müssen klar geregelt und rechtssicher ausformuliert sein“, sagt der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Dirk Wiese, der mit Dagmar Schmidt (SPD), dem grünen Gesundheitspolitiker Janosch Dahmen sowie Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) zur Gruppe der sieben Initiatoren zählt.

Strack-Zimmermanns Fraktionskollege Andrew Ullmann verfolgt dagegen einen anderen Ansatz. Er hat einen Antrag angekündigt, der eine verpflichtende Impfung für alle Bürger über 50 Jahre vorsieht, da in diesem Alter die Gefahr eines schweren Krankheitsverlaufs am höchsten ist. In der ARD äußert Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) am Sonntag Sympathie für diesen Vorschlag. Für diesen gäbe es nach derzeitiger Faktenlage stärkere Argumente als für eine allgemeine Impfpflicht.

Auch die Gegner einer wie auch immer gearteten Impfpflicht haben sich mittlerweile formiert. Frühzeitig hatte der Vizepräsident des Deutschen Bundestags, Wolfgang Kubicki (FDP), seine Ablehnung signalisiert und einen entsprechenden Antrag angekündigt. Kubicki bezweifelt, daß der Staat überhaupt in der Lage ist, eine allgemeine Impfpflicht durchzusetzen. „Ein Staat, der nicht umsetzen kann, was er anordnet, gibt sich der Lächerlichkeit preis. Und das wäre Wasser auf die Mühlen der Verschwörungstheoretiker und Corona-Leugner“, sagte er der Bild am Sonntag. Viele Impfgegner würden lieber einen Bußgeldbescheid entgegennehmen, als sich impfen zu lassen. Daher sei eine allgemeine Impfpflicht nicht zielführend. Zu der Gruppe um Kubicki gehören 31 Abgeordnete aus FDP und CDU. Sie argumentieren auch damit, daß die Politik eine Impfpflicht gegen Corona lange ausgeschlossen hatte. Ein Wortbruch würde „langfristige Schäden in der Gesellschaft hinterlassen“.

Ähnlich argumentiert auch die AfD-Fraktion, deren Abgeordnete einhellig jegliche Impfpflicht ablehnen, auch für bestimmte Berufsgruppen wie das Pflegepersonal. „Eine Corona-Impfpflicht ist weder medizinisch noch rechtlich und nicht einmal politisch zu rechtfertigen“, kritisiert Fraktionschefin Alice Weidel. Die Impfpflicht diene allein der Verschleierung des Versagens der Corona-Politik der etablierten Parteien, die sich mit ihren überzogenen Repressionsmaßnahmen in eine Sackgasse verrannt hätten. Nicht nur in der AfD-Fraktion hofft manch einer, daß sich die Frage einer allgemeinen Impfpflicht angesichts der offenbar mehrheitlich milderen Omikron-Variante in ein paar Wochen sowieso erledigt hat.

Unterdessen gingen nach Recherchen der JUNGEN FREIHEIT am Montag erneut deutschlandweit mindestens 325.000 Bürger gegen die Corona-Politik von Bund und Ländern auf die Straße.

Foto: Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach impft einen Jugendlichen: Grundimmunisierung der Bevölkerung erreichen