© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 05/22 / 28. Januar 2022

Weiterhin beflügelt
Verfassungsschutz: Das Bundesamt legt im Rechtsstreit mit der AfD neue Verdachtsmomente gegen die Partei vor / Verhandlung im März
Christian Vollradt

Der Verfassungsschutz darf die AfD nicht als Verdachtsfall einstufen. Das Bundesamt (BfV) hatte im vergangenen Jahr nach Klagen der Partei eine sogenannte Stillhaltezusage abgegeben. Dies gilt nach wie vor. Bald aber stehen die Verhandlungen vor dem Verwaltungsgericht Köln an. Dabei geht es um mehrere Streitfälle, darunter auch über die Einstufung des mittlerweile offiziell aufgelösten „Flügels“ der AfD als erwiesen rechtsextrem sowie der „Jungen Alternative“ als Verdachtsfall von gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichteten Bestrebungen. 

Jüngst hat das BfV noch einmal nachgelegt und dem Gericht neue Erkenntnisse präsentiert, die nach Ansicht der Behörde belegen sollen, daß die Gesamtpartei vom Prüf- zum Verdachtsfall hochgestuft werden muß. In einem Anfang Januar versendeten Schreiben der vom Verfassungsschutz beauftragten Anwaltskanzlei Redeker Sellner Dahs, das der JUNGEN FREIHEIT vorliegt, werden zahlreiche Äußerungen verschiedener AfD-Funktionäre wiedergegeben. Dazu gehören Bezeichnungen wie „Paßdeutsche“, die laut Verfassungsschutz auf ein „ethnisch begründetes Volksverständnis“ hindeuten und damit „völkisch-nationalistisch“ seien. So habe etwa der Europa-Abgeordnete Maximilian Krah „eine grundsätzliche Unterscheidbarkeit des deutschen Volkes und der Gesamtheit der deutschen Staatsangehörigen“ postuliert und zudem die These einer „Umvolkung“ als „Realität“ bezeichnet.  

„Wie Menschen zweiter Klasse behandelt“

In Aussagen weiterer AfD-Mitglieder über von „Merkel reingeholte Messermänner“ sehen die Verfassungsschützer eine „pauschale und undifferenzierte Betrachtung, die letztlich allen (männlichen) Migranten Gewaltbereitschaft unterstellt“. Laut gängiger Rechtsprechung würden diese dadurch „unter Verletzung der Menschenwürde böswillig verächtlich“ gemacht. 

Schon 2018 hatte indes ein von der AfD beauftragtes Gutachten ihren Mitgliedern dringend empfohlen, Aussagen zu vermeiden, die vom BfV „in fragwürdiger Weise als Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen gewertet“ werden könnten. Dazu gehörten auch Begriffe wie „Umvolkung“.

In ihrer Klageschrift vom Januar 2020 gegen das Bundesamt für Verfassungsschutz hatte die AfD klargestellt, sie strebe „keinen Ausschluß von Personen aus dem ‘Staatsvolk’ aufgrund ihrer Ethnie an“. Zudem wiesen die Anwälte der Partei darauf hin, daß ein fraglicher „ethnisch-kultureller Volksbegriff“ etwas anderes sei als ein „ethnischer Volksbegriff“, da gerade das Wort „kulturell“ darauf hinweist, daß es eben nicht um Biologie geht. Auch der Staatsrechtler Dietrich Murswiek hatte in seiner Schrift „Verfassungsschutz und Demokratie“ betont, der „ethnisch-kulturelle Volksbegriff“ sei verfassungsschutzrechtlich neutral. Denn mit ihm sei nicht das zweifelsohne verfassungswidrige Bestreben verbunden, Menschen, die nicht dem Volk in diesem Sinne angehören, die Menschenrechte vorenthalten zu wollen.

Folgen die Kölner Verwaltungsrichter der Argumentation ihrer Kollegen aus Berlin, hat die AfD im Verfahren schlechte Karten. Denn in der Hauptstadt erkannte man die Beobachtung der Identitären Bewegung durch den Verfassungsschutz als zu Recht ergangen an. Begründung: „Besonders die zentrale Forderung der Identitären Bewegung nach einer ethnisch-kulturellen Homogenität“ verstoße gegen die Menschenwürde. „Hierdurch würden einzelne Personen oder Gruppen wie Menschen zweiter Klasse behandelt.“

Bereits im Dezember hatte die vom Verfassungsschutz beauftragte Kanzlei zudem dargestellt, daß nach ihrer Ansicht führende Protagonisten des ehemaligen „Flügels“ immer noch „großen Rückhalt innerhalb der Partei haben“. Auf mehreren Seiten listen die Anwälte Auftritte des parteilosen Mitglieds der Brandenburger AfD-Landtagsfraktion, Andreas Kalbitz, im Wahlkampf für die AfD auf.    Dadurch würden die von der Partei in ihren Schriftsätzen angeführten „angeblich angedrohten Ordnungsmaßnahmen als leere Drohung entlarvt“.

Die mündliche Verhandlung über die Klagen der AfD gegen den Verfassungsschutz findet am 8. und 9. März in Köln statt – zwei Monate vor den wichtigen Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen.