© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 05/22 / 28. Januar 2022

Die zentrale Frage ist das Dezentrale
Bitcoin, Altcoins, Stablecoins und Digitales Zentralbankgeld: Die Kryptowelt ist vielfältig und wird sich weiter ausdifferenzieren. Der Wettbewerb zwischen privaten und staatlichen Währungen fängt gerade erst richtig an.
Björn Harms

Die Welt der Kryptowährungen ähnelt auf beängstigende Weise der Dotcom-Blase, die für viele Firmen und Einzelpersonen Ende der 1990er Jahre ein böses Ende fand. Immer höher kletterten damals die Bewertungen der Unternehmen, bevor die Spekulationsblase im März 2000 in sich zusammensackte. Die heutige Situation ist vergleichbar: Zahlreiche neue Kryptowährungen schießen aus dem Boden, überall macht das magische Wort „Blockchain“ die Runde. Alle wollen dabeisein, keiner will etwas verpassen. Doch eine beträchtliche Zahl von Personen, getrieben von der Gier nach schnellen Gewinnen, wird über kurz oder lang eine erhebliche Menge an Geld verlieren.

Der Bitcoin will die alternative Währung schlechthin sein

Warum? Fast alle der mittlerweile 10.000 existierenden Kryptowährungen sind reine Spekulationsobjekte. Nur wenige bieten tatsächlich praktische Anwendungsmöglichkeiten. Verkürzt ausgedrückt, unterscheiden sich Kryptowährungen meistens durch unterschiedliche Konzepte. Manche ermöglichen sogenannte „Smart Contracts“, also digitale Verträge zwischen Käufer und Verkäufer, andere sind reine Zahlungsnetzwerke. Manche Kryptowährungen haben eine eigene Blockchain (dezentrale Datenbank), andere wiederum nutzen die bestehende Blockchain anderer Währungen.

Die erste und weltweit marktstärkste Kryptowährung ist bekanntlich der Bitcoin (BTC), der mit seiner revolutionären Idee das Verhältnis zwischen dem Individuum, den Banken und den Staaten radikal auf den Prüfstand stellte. Bitcoin hat ausgehend vom 2008 veröffentlichten „White Paper“ des bis heute unbekannten Erschaffers Satoshi Nakamoto eine zentrale Mission: die Währung des Internets und ein alternatives Geldsystem zu werden. Nakamoto hatte zwei Rätsel gelöst, die Kryptographen und andere Technologieexperten bereits seit den 1960er Jahren beschäftigten: erstens, wie man etwas von Wert digital ohne einen zentralen Vermittler bewegen kann, und zweitens, wie man die „doppelte Ausgabe“ einer digitalen Einheit verhindert. Die Antwort fand er im „Proof-of-Work“, dem Konsensmechanismus, der festlegt, welcher Teilnehmer des dezentralen Netzwerks den nächsten Block erzeugen darf, und der dem Netzwerk die notwendige hohe Sicherheit garantiert (JF 20/21). Die „Miner“ müssen kryptographische Aufgaben lösen, wofür sie eine Belohnung in der jeweiligen Kryptowährung ausgezahlt bekommen. Die Validität der Lösung wird dann in der Blockchain durch die Generierung eines neuen Blocks markiert. Das Lösen der Rechenaufgaben erfordert viel Zeit und Energie, wodurch die Methode einerseits eine hohe Sicherheit gegen Angriffe garantiert, andererseits aber auch sehr strom- und kostenintensiv ist.

Andere Kryptowährungen haben im Vergleich zum Bitcoin abweichende Ziele. Das heute zweitgrößte Blockchain-System Ethereum wurde 2014 von dem damals 19jährigen gebürtigen Russen Vitalik Buterin ins Leben gerufen. Im Gegensatz zum Bitcoin-Netzwerk, das nur für Bitcoin-Transaktionen konzipiert wurde, ist Ethereum eine Open-Source-Plattform für dezentrale Anwendungen (sogenannte Dapps), die Smart Contracts verwendet. Ether (ETH) ist die Hauptwährung des Ethereum-Netzwerks, doch auch andere Kryptowährungen können über das Netzwerk laufen.

Ethereum verwendet noch den Konsensmechanismus Proof-of-Work (PoW), will jedoch auf Proof-of-Stake (PoS) wechseln. Wann der Protokollwechsel stattfindet, steht noch in den Sternen. Im Gegensatz zur PoW-Methode werden bei PoS keine komplizierten Rechenaufgaben genutzt, sondern die Anteile an der Gesamtheit der jeweiligen Kryptowährung sind entscheidend. Validatoren brauchen nur eine bestimmte Anzahl an Coins, um das Netzwerk abzusichern. Allerdings bevorzugt das Protokoll natürlich diejenigen Teilnehmer, die eine besonders hohe Anzahl der jeweiligen Kryptowährung besitzen. Anleger, die zum Beispiel 10.000 Euro an einer Kryptowährung halten, können zehnmal mehr Blöcke validieren als Anleger, die nur 1.000 Euro an einer Kryptowährung halten. Kleine Anleger werden also benachteiligt.

Beide führenden Kryptowährungen teilen sich derzeit knapp 60 Prozent des Marktes. Mittlerweile gibt es jedoch auch „Stablecoins“, die so konzipiert sind, daß sie immer den gleichen Wert behalten, weil sie an eine herkömmliche Währung gekoppelt sind. Sie orientieren sich exakt am Dollar- oder Eurokurs und übernehmen damit eine Brückenfunktion zu den Fiat-Währungen. Der bekannteste Stablecoin ist Tether, der an den US-Dollar gebunden ist. Doch Stablecoins stehen auch immer wieder in der Kritik. Denn es ist unklar, inwieweit sie mit der tatsächlichen Währung, die sie abbilden, gedeckt sind. So werden auch die Rufe lauter nach einer unabhängigen öffentlichen Buchprüfung.

Seit dem Jahr 2009 sind nun neben Bitcoin, Ethereum oder Tether zahlreiche weitere Projekte auf den Markt geworfen worden, die man unter dem Begriff „Altcoins“ zusammenfaßt. Viele Projekte starben früh, andere kamen neu hinzu. Doch welche werden überleben? In diesem Zusammenhang dürften vor allem die Regulierungsüberlegungen der US-amerikanischen Börsenaufsicht spannend werden und weltweite Auswirkungen haben. Regulierungen müssen dabei zunächst nichts Schlechtes bedeuten, sondern dienen in erster Linie der Sicherheit des Anlegers.

Sind viele Kryptowährungen nur ein lausiges Wertpapier?

Der Vorsitzende der SEC (United States Securities and Exchange Commission) heißt seit April 2021 Gary Gensler. Die Personalie ist für die Zukunft äußerst interessant, denn der 64jährige Volkswirt hat die Bitcoin-Vision von Satoshi Nakamoto genauestens studiert und verstanden. Als Professor am Massachusetts Institute of Technology in Boston hielt er bereits 2018 detailgenaue Vorträge über Bitcoin, die Blockchain und Kryptographie.

Gensler steht dem Krypto-Space als regulativer Hardliner äußerst reserviert gegenüber, da Krypto-Assets in seinen Augen „in erster Linie digitale, knappe Vehikel für spekulative Investitionen sind“. Doch „obwohl es im Bereich der Kryptowährungen eine Menge Hype gab“, sei „die Innovation von Nakamoto real“. Der SEC-Chef unterscheidet also. Seine Börsenaufsicht will vor allem eines wissen: Ist die jeweilige Kryptowährung in Wirklichkeit einfach nur ein Wertpapier? Die SEC strengte etwa im vergangenen Jahr einen Gerichtsprozeß gegen Ripple Labs Inc. an, das Technologieunternehmen hinter der Währung Ripple, in dem es genau um diese Frage geht. Mit einem Urteil wird im April gerechnet.

Was aber heißt das genau? Von einem Wertpapier spricht man, wenn es sich um „einen Vertrag, eine Transaktion oder ein Schema handelt, bei dem eine Person ihr Geld in ein gemeinsames Unternehmen investiert und dazu veranlaßt wird, Gewinne ausschließlich von den Bemühungen des Promoters oder einer dritten Partei zu erwarten“. Die relevante Frage bei einer Kryptowährung lautet also: Ist sie tatsächlich ein „gemeinsames Unternehmen“? Oder anders gesagt: Steckt ein zentrales Unternehmen hinter dem Coin?

Alle anderen „Shitcoins“ außer Bitcoin seien „im Grunde nichts anderes als Fin-Tech-Unternehmen“, die mit ihren Coins, die sie ausgeben, einfach nur sich selbst bereichern würden, meint etwa einer der führenden Bitcoiner in Deutschland, Roman Reher, bekannt unter seinem Youtuber-Namen „Blocktrainer“. Kein Projekt abgesehen von Bitcoin hätte ein tatsächlich laufendes Produkt. Man spreche hier noch immer über „ungelegte Eier“.

Tatsächlich ist eigentlich jedes Blockchain-Projekt, selbst wenn es quelloffen ist, bislang noch immer abhängig von einer zentralen Instanz. Bei Ethereum steht beispielsweise die Ethereum Foundation um Vitalik Buterin hinter dem Netzwerk, bei Cardano ist es die Cardano Foundation um Gründer Charles Hoskinson. Immer wieder kommt es zu erheblichen Problemen mit den laufenden Netzwerken, mitunter stoppten einzelne Entwickler ihre „Chains“ (Ketten), ohne daß die Community etwas dagegen machen konnte. Bei Solana etwa kam es erst Anfang Januar zu einem vierstündigen Netzwerkausfall. Nur bei einer einzigen Kryptowährung gibt es dies nicht, da hier keine zentrale Entität einwirken könnte: Bitcoin. Die Maschine läuft einfach weiter.

Zahlreiche Kryptowährungen wie Ethereum oder Ripple haben zudem bereits ein „Premining“ vollzogen, bei dem Anteile an die Gründer ausgezahlt werden, noch bevor die Kryptowährung offiziell an den Start ging. Vergleichbar sind diese „Initial Coin Offerings“ (ICO) mit an den Börsen üblichen Initial Public Offerings (IPO). Nur sind die einen unreguliert, die anderen reguliert – was wiederum die US-Börsenaufsicht auf den Plan ruft. Denn SEC-Chef Gensler glaubt, daß die überwiegende Mehrheit der ICOs gegen die US-Wertpapiergesetze verstoßen. Die deutsche BaFin warnt diesbezüglich vor Totalausfällen und erheblichen Risiken für den Verbraucher.

Schlußendlich fügt sich dem Umgang mit der Kryptowelt eine weitere Frage an, die man aus ökonomischer, philosophischer oder auch soziologischer Sicht beantworten kann: Wollen die Menschen überhaupt eine dezentralisierte Währung? Hat eine Geldschöpfung außerhalb staatlicher Systeme wirklich Sinn? Die Zentralbanken dieser Welt verneinen diese Frage naturgemäß. Deshalb entwickeln sie parallel zu den zahlreichen privaten Anbietern ihre eigenen digitalen Währungen, bekannt unter der Abkürzung CBDCs (Central Bank Digital Currency). China, das 2021 ein Verbot des Handels mit Kryptowährungen aussprach, hat seine eigene digitale Zentralbankwährung bereits eingeführt – den digitalen Chinesischen Yuan (DCNY). Das Projekt steckt noch in den Kinderschuhen, doch gilt es als richtungsweisend für die restliche Welt. Auch der digitale Euro soll kommen. Die Präsidentin der Europäischen Zentralbank, Christine Lagarde, hatte für die Eurozone im vergangenen Jahr eine Marschroute von ungefähr fünf Jahren für die Adaption ausgegeben.

Laut einer aktuellen Umfrage der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich prüfen derzeit 86 Prozent der weltweiten Zentralbanken die Vor- und Nachteile einer Einführung von CBDC. Da wir uns im realen Leben zunehmend auf kontaktlose Zahlungen und Online-Transaktionen beschränken, könnte die flächendeckende Einführung somit nur noch eine Frage der Zeit sein. Doch zu welchem Preis? Schließlich könnte das weitere Probleme wie etwa Zahlungsbeschränkungen oder Eigentumseingriffe nach sich ziehen. Der Kampf zwischen privaten und staatlichen Währungen fängt gerade erst so richtig an.

Foto: Digitalen Währungen Ethereum, Bitcoin, Litecoin und Ripple (v.l.n.r.) im Auf und Ab der Kurse: Geldschöpfung außerhalb staatlicher Systeme