© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 05/22 / 28. Januar 2022

Eine Überraschung könnte gelingen
Portugal vor der Parlamentswahl: Sozialist António Costa zeigte sich lange siegessicher, doch kurz vor dem Urnengang dreht sich der Wind
Jörg Sobolewski

Seit Ende der autokratischen Salazar-Ära existierten im portugiesischen Parlament kleinere linke Parteien, eine große Mitte-Rechts-Partei, die sich dennoch als Partido Social Democrata (PSD), also als Sozialdemokratische Partei, bezeichnet, und eine Partei, die den Sozialismus im Namen trägt, die Partido Socialista (PS).

Die Rechte, sowohl die traditionell katholische als auch die vergleichsweise neue, populistische, hatte keinen Platz im modernen Portugal. Das lag vor allem an der sogenannten Nelkenrevolution, der unblutigen Erhebung gegen den autoritären Ständestaat 1974. Im Zuge des Volksaufstandes wurden die Stützen des alten Systems vollständig aus der Politik ausgeschlossen; anders als in Spanien durften sich nach der Revolution keine Parteien aus der Erbmasse des Salazar-Regimes bilden. 

Doch seit der Wirtschaftskrise 2008, von der sich das Land kaum erholt hat, steigt das Potential einer rechten Partei. Während die etablierten linken Kräfte von vielen Portugiesen als korrupt und kaum an dem Wohlergehen Portugals interessiert wahrgenommen werden, gelingt es der neuen rechten Kraft mit dem Namen Chega (Genug), sich als frische neue Alternative darzustellen. Das liegt auch an der spanischen Schwesterpartei Vox, deren Vorsitzender, Santiago Abascal, im Wahlkampf wiederholt Hilfe und Unterstützung über die Grenzen schickt und auch selber zum Straßenwahlkampf anreiste. 

Zur Präsidentschaftswahl im vergangenen Jahr konnte Parteigründer und Vorsitzender André Ventura knapp zwölf Prozent erzielen. Ein starkes Ergebnis, das vor allem dem charismatischen und smarten Ventura zugeschrieben wird. Zur Parlamentswahl am kommenden Sonntag liegt die Partei voraussichtlich ebenfalls auf dem dritten Platz, allerdings mit lediglich acht Prozent in den Umfragen. Verglichen mit dem Ergebnis zur Präsidentschaftswahl ein Verlust, der allerdings vor allem damit erklärt wird, daß es der jungen Partei schwerfällt, mit den beiden deutlich größeren Parteien in der Fläche mitzuhalten. 

Plötzlich steht der Rechts- vor dem Linksblock

Die letzten Umfragen brachten Bewegung. Lange lag die PS vor der PSD. Anfang der Woche überholte die PSD mit 34,4 Prozent die PS (33,8 Prozent). Venturas Chega festigt den dritten Platz. Der Bloco de Esquerda (Linksblock) käme mit 6,6 Prozent der Stimmen auf den vierten Platz.Die kommunistische CDU bleibt mit 4,5 Prozent fast unverändert, während sich die grüne PAN erholt und auf 3,2 Prozent kommt. Die Liberale Initiative fällt auf 2,8 Prozent, die christdemokratische CDS auf 1,6 Prozent und die ökosozialistische Livre auf 1,4 Prozent. Mit 46,8 Prozent hätte die Rechte die Linke, die bei 46,3 Prozent liegt, überholt.

PS-Parteichef António Costa gehört zur alten Garde der Partei und führt seine Partei seit 2014 unverändert an. Seit 2015 ist er Premierminister. Er führt seit 2019 eine Minderheitsregierung an und verlor im Oktober 2021 die Abstimmung über die Verabschiedung des Haushalts für 2022. Linksblock und CDU stimmten gemeinsam mit der Opposition gegen den Entwurf der Regierung; Neuwahlen wurden somit unumgänglich. Kurz vor dem Urnengang betonte Costa, daß er nach der Wahl  zu Gesprächen mit allen Parlamentsparteien bereit sei, mit Ausnahme von Chega. PSD-Chef Rui Rio betonte dagegen, daß es „keine Abgeordneten erster oder zweiter Klasse“ gebe und er daher die Stimmen der Chega für eine mögliche PSD-Regierung „nicht ablehnen“ werde.