© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 05/22 / 28. Januar 2022

Das Ifo-Institut prognostiziert eine Jahresinflationsrate von 3,5 Prozent
Symptome und Ursachen
Reiner Osbild

Das Ifo-Institut hat für dieses Jahr eine Inflationsrate von 3,5 Prozent prognostiziert – 0,4 Prozentpunkte mehr als 2021. Andere EU-Länder trifft es noch härter. Da der Durchschnittsbürger für Wohnung, Wasser und Energie ein Drittel seiner Ausgaben aufbringen muß, schlagen die steigenden Energiepreise voll durch. Darüber hinaus werden Güter, die unter Einsatz von Energie produziert werden, teurer. Regierungen haben vor diesem Hintergrund folgende Optionen: Eingriffe in einzelne Märkte, direkte Zuschüsse und Steuererleichterungen oder – als einzig ursachenadäquate Lösung – die Straffung der Geldpolitik.

Der direkte Markteingriff bedeutet zumeist die Deckelung der Preise. Ungarn geht diesen Weg bei Grundnahrungsmitteln und Treibstoff. In Deutschland wurde in den Wohnungsmarkt – Stichwort Mietpreisdeckel – regulierend eingegriffen. Es ist zu befürchten, daß diese Strategie Schule macht. Allerdings werden dadurch die Probleme nicht gelöst. Private Investoren steigen aus, da die Rentabilität leidet; es kommt zu weiteren Angebotsengpässen. Bald wird der Staat im Zuge einer „Interventionsspirale“ weiter eingreifen müssen, etwa mit einem Rationierungs- und Zuteilungssystem. Schließlich wird er selbst in den Markt einsteigen: durch sozialen Wohnungsbau oder den subventionierten Windenergieausbau. Die Privatinitiative wird immer mehr ausgehöhlt, die Staatswirtschaft wächst.

Als zweites könnte der Staat direkt auf der Einkommensseite ansetzen. Polen tut dies mittels Senkung der Mehrwertsteuer auf Mineralölprodukte. Denkbar wären auch Erleichterungen bei der Einkommensteuer. Zumindest sollten die Progressionsstufen angepaßt werden, denn höhere Löhne, die von der Inflation aufgezehrt werden, dürfen keine höhere Steuerschuld bewirken. Die Bundesregierung geht den Weg der direkten Subventionierung: Sie will alleinstehenden Wohngeldbeziehern einmalig 135 Euro zukommen lassen; eine Zwei-Kind-Familie soll 245 Euro bekommen – finanziert aus dem allgemeinen Steueraufkommen. Der steuerzahlende Mittelstand muß die inflationären Kosten selbst schultern und zusätzlich den Wohngeldbonus aufbringen. Hinzu kommt, daß der Wert seiner Ersparnisse schrumpft. Auch die Realrenditen aus Lebens- und Rentenversicherungen bröckeln.

Vor dem Hintergrund der ohnehin schon bedrohlichen Abgabenbelastung und der ungewissen postcoronalen Wirtschaftslage dürfte sich der Abstieg der Mittelschicht beschleunigen. All diese Eingriffe sind nur ein Kurieren am Symptom. Sie belasten die öffentlichen Haushalte und setzen einen Anreiz zu mehr Verschuldung. Verstärkt sich die Inflation durch eine Lohn-Preis-Spirale, so werden immer mehr öffentliche Mittel gebraucht, um die Belastung der Bürger zu kompensieren.

Daher kommt nur die dritte Möglichkeit in Frage: eine Kehrtwende in der Geldpolitik. Höhere Zinsen sind das A und O einer jeden Anti-Inflations-Politik. Doch dann würden in der Eurozone einige hochverschuldete Länder und sogenannte Zombiefirmen, die nur dank der billigen Kredite überleben können, und letztlich auch das Bankensystem unter Druck geraten. Daher muß die Zinswende behutsam angepackt werden wie jüngst in Großbritannien, wo die Bank of England den Leitzins um moderate 0,15 Prozentpunkte anhob.






Prof. Dr. Reiner Osbild ist Ökonom und Ordinarius an der Hochschule Emden/Leer.