© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 05/22 / 28. Januar 2022

Lukrative Luftbuchungen
EU-Emissionsrechtehandel: An CO2-Zertifikaten können mutige Privatanleger etwas verdienen
Thomas Kirchner

Läßt sich mit der europäischen Klimapolitik und der Verbannung von Kohlendioxid (CO2) auch privat Geld verdienen? Ja, im Prinzip schon. Denn seit der Einführung des EU-Emissionsrechtehandels (EU-ETS) im Jahre 2005 werden an der Leipziger Börse European Energy Exchange (EEX) in Leipzig Zertifikate gehandelt, sogenannte EUA (EU Allowance), die es den Inhabern erlauben, CO2 zu emittieren. Norwegen und Island sind Teil des EU-ETS, die Schweiz betreibt ein eigenes, kleineres Handelssystem. Großbritannien hat nach dem Brexit seinen Handel mit UK-Allowances (UKA) gestartet.

Dieser „CO2-Markt“ ist allerdings bislang eine winzige Nische im weltweiten Finanzmarkt. Nicht einmal eine Milliarde Euro werden pro Tag umgesetzt. Allein die Frankfurter Wertpapierbörse hat mehr als das zehnfache Volumen, die US-Aktienbörsen das 600fache. Ein EU-Emissionsrecht erlaubt dem Inhaber, eine Tonne CO2 in die Atmosphäre zu emittieren. In dieser gemütlichen Marktnische blieben bisher wenige Unternehmen unter sich. Doch jetzt öffnet sich der Markt einem größeren Anlegerkreis: Mehrere Emissionshäuser bieten jetzt Zertifikate an, durch die auch Privatanleger im regulären Börsenhandel an der Preisentwicklung der EUA-Rechte teilnehmen können.

Die an Privatanleger verkauften Zertifikate sind Bankprodukte, strenggenommen Schuldverschreibungen der jeweiligen Bank, die anstelle eines festen Zinssatzes dem Anleger die Rendite einer anderen Anlage auszahlen. Gegebenenfalls kann diese Rendite auch einen Verlust bis hin zum Totalausfall bringen. Seit ihrer Einführung in den 1990er Jahren hat sich um diese Bank-Zertifikate eine kleine Fangemeinde gebildet. Den Geldhäusern bietet die Emission eines Zertifikats eine zusätzliche Finanzierungsquelle. Anleger können mit Zertifikaten so investieren, wie es sonst nur Großanlegern oder durch Einsatz komplizierter Derivate möglich wäre. Ab einer siebenstelligen Anlagesumme schaffen manche Emittenten Zertifikate auch nach Kundenwunsch. Außerdem erlauben Zertifikate auch Anlagen in sonst nur schwer zugängliche Anlageklassen wie Hedgefonds, Rohstoffe, Bitcoin, Terminkontrakten (Futures) – oder eben jetzt CO2-Emissionen.

Wie bei anderen Zertifikaten üblich gibt es auch bei CO2-Zertifikaten solche mit Hebel, durch den Kursbewegungen des zugrundeliegenden Produkts im Zertifikat verstärkt werden. Beim CO2-Zertifikat von Morgan Stanley bewegt sich das Zertifikat um das Fünffache des CO2-Preises. Das ist gewinnbringend, solange die CO2-Preise steigen. Bei fallenden Kursen hingegen reichen schon relativ kleine Bewegungen aus, um das eingesetzte Kapital komplett zu vernichten. Das andere Risiko der Zertifikate ist das Emittentenrisiko: Normalerweise gehen Banken nicht pleite, aber wenn es dann doch passiert, stehen die Anleger der Zertifikate – wie 2008 bei Lehman Brothers – als ungesicherte Gläubiger weit hinten in der Gläubigerschlange.

Preisschub hat Interesse spekulativ ausgerichteter Investoren geweckt

Neben dem Handel der EU-Emissionsrechte in Leipzig gibt es inzwischen mit Futures auch ein Derivat auf die EUA-Rechte. Etliche zehntausend Futures werden jeden Tag gehandelt, bei den Leipziger EU-Emissionsrechten selbst sind mehrere hunderttausend keine Seltenheit. Die meisten der Zertifikate basieren auf den weniger liquiden Futures. Dies ist auch bei anderen Zertifikaten üblich, die Rohstoffpreise wie Öl oder Gold abbilden.

Mit Rohstoffen gemein hat der Markt für CO2-Emissionen ihre begrenzte Verfügbarkeit. Zu Beginn des EU-ETS war davon noch nichts zu spüren. Die EUA wurden in solchen Mengen ausgegeben, daß sie kaum einen Wert besaßen. Die EU-Mitgliedsstaaten vergeben jährlich einen Teil der Emissionsrechte an Industrieunternehmen, ein Teil wird versteigert. Die Gesamtzahl der verfügbaren EU-Emissionsrechte wird jedes Jahr weniger.

Langfristig sollte ihren Wert deshalb steigen, was für die Käufer der börsennotierten Zertifikate lukrativ sein sollte. Kurzfristig dominiert allerdings die Nachfrage, deren Schwankung von Konjunktur wie Wetter abhängt. Voriges Jahr stiegen die EUA-Rechte von 20 auf 82 Euro pro Tonne. Dieser Preisschub, hat das Interesse spekulativ ausgerichteter Anleger geweckt, worauf die Emissionshäuser mit ihren Zertifikaten reagieren.

Und noch ein Risiko haben die Zertifikate mit Rohstoffen gemein: die Politik. Bangen Eigner von Lagerstätten und Minen um Enteignung, wenn in einer Bananenrepublik das Regime wechselt, besteht bei CO2-Zertifikaten das Risiko, daß ihr angekündigter Rückgang verlangsamt wird, sollten die Preise zu stark steigen. Wenn die Kosten von Emissionen die Schmerzgrenze der Wirtschaft übersteigen, wird auch Brüssel keine Wahl bleiben, als die Emissionskosten zu senken, indem zusätzliche EUA-Rechte ausgegeben werden. Denn Kosten für CO2-Emissionen sind ein europäischer Wettbewerbsnachteil. Global gibt es bislang keine ernsthaften Nachahmer, die ihre Industrie mit solch hohen Abgaben belasten.

US-Präsident Joe Biden hat bisher keine entsprechenden Pläne vorgelegt. Die Republikaner sind ohnehin dagegen. Kleinere Versuche starteten 2013 in Kalifornien und der kanadischen Provinz Québec. Zur Regional Greenhouse Gas Initiative (RGGI) gehören bislang nur elf „woke“ US-Ostküstenstaaten. In China gibt es laut der International Carbon Action Partnership (ICAP) lokale Versuche in acht Metropolen, darunter in Peking und Shanghai. Bei den großen „CO2-Sündern“ Indien, Rußland, Japan und Australien gibt es ebensowenig einen Emissionshandel wie in Südamerika, Afrika oder den reichen Golfstaaten. Die Preise in den Handelssystemen in Südkorea, Mexiko, Kasachstan und Neuseeland liegen weit unter dem EU-ETS-Niveau. Wie lange sich der CO2-Handel in Europa halten wird, ist deshalb fraglich. Die Zertifikate für Privatanleger zahlen keine Dividenden und haben eine unbegrenzte Laufzeit. Sie können also nur bei steigenden Preisen lukrativ sein, sie sind somit rein spekulativ.

Dennoch erfreuen sich solch spekulative Investments bei Niedrigzinsen hoher Beliebtheit. Als „alternative“ Anlagen hoffen die Investoren, daß sie nicht den gleichen Schwankungen wie Aktien- und Anleihenmärkte ausgesetzt sind. Hätte man früher gespottet, daß jemand sein Erbe verpraßt, der Oldtimer, Kunst, Juwelen oder einen Weinkeller kauft, gelten solche Käufe manchen heute als seriöse Anlageklasse, die als Bestandteil eines Portfolios Schwankungen anderer Anlagen ausgleichen können. Im Vergleich zu diesen exotischen Anlagen sind Zertifikate auf Emissionsrechte dann doch schon wieder klassische Anlageprodukte.

Produktüberblick EU-Emissionsberechtigungen:  www.eex.com