© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 05/22 / 28. Januar 2022

Das Lächeln der Zukunft
Humanoide Roboter und neurotechnologische Ansätze: Elon Musk & Co. und die Digitalisierung von Teilen menschlicher Aktivitäten
Marc Zoellner

Noch lächelt Ameca etwas schüchtern in die Kamera, noch mangelt es ihr an Selbstvertrauen: Doch die Neugier steht ihr deutlich ins Gesicht geschrieben, als sie dem Gespräch zwischen den Reportern und ihrem galanten Begleiter Morgan Roe mit hellwachen Augen folgt, immer wieder den Blickkontakt mit umstehenden Personen sucht und sich lächelnd für das eine oder andere erhaltene Kompliment bedankt. „Ich freue mich, dich zu sehen“, begrüßt Ameca Besucher der „Consumer Electronics Show“ (CES), einer der bedeutendsten Elektronikfachmessen ihrer Art, diesen Januar in Las Vegas im US-Bundesstaat Nevada. 

Und sehen kann Ameca tatsächlich – ihre Augen sind zwei hochauflösende Kameras, verknüpft mit leistungsstarken Speicher- und Verarbeitungsmedien und gesteuert von einer kybernetischen Lernsoftware, welche der Google-Konzern einst für Industrieroboter entwickelte. Den neuesten Stand der Technik stelle Ameca dar, der „fortschrittlichste Humanoide“, der „verstörend menschlich“ wirke, wie selbst seine Schöpfer der britischen Roboterfirma „Electronic Arts“ eingestehen, als deren Vertreter der technische Leiter Morgan Roe seine Ameca auf der CES erstmals einem breiten Publikum vorstellt.

„Ameca gehört keiner Ethnie oder Rasse an“, erläutert Roe das Konzept hinter dem humanoiden Wunderwerk. „Sie hat kein Geschlecht, keine Religion und keine politische Weltanschauung. Ameca ist ein Roboter.“ Jedoch einer, und dies macht Ameca besonders, der nicht nur stets hinzulernen kann, sondern sich dieses erlernte Wissen auch in eigenständigen Interaktionen mit seiner Umgebung zunutze macht. 

Anfertigung einer exakten Kopie der jeweiligen Hirnmasse

Über einhundert verschiedene Roboter hat Electronic Arts in den vergangenen fünfzehn Jahren des Bestehens der britischen Firma bereits entwickelt. Ameca ist der bislang gelungenste Versuch, humanoide Roboter, gemeinhin auch Androiden genannt, dem menschlichen Rezipienten so sympathisch wie möglich erscheinen zu lassen. Speziell zu diesem Zweck wurde Ameca mit Mängeln versehen. Für jeden erkennbar besteht sie aus Plastik und Metall anstelle einer Latexhaut. Roboter, die allzu menschlich wirken, schreckten Menschen eher ab anstatt sie anzuziehen, begründet Roe die Philosophie hinter dem Design des Androiden.

Als Haushaltshilfe der Zukunft allerdings, wie Science-fiction-Filme wie „I, Robot“ vorweggreifen, wird Ameca nicht zum Einsatz kommen, „jedenfalls nicht im nächsten Jahrzehnt“, muß der Entwickler eingestehen. „Warum sollte dazu auch jemand einen menschenähnlichen Roboter kaufen, der vermutlich mehr kostet als das Haus?“ In denkbar nächster Zeit bleibt die wichtigste Aufgabe Amecas und ihrer androiden Kollegen weiterhin, Leute zu begrüßen und zu unterhalten: Auf Fachmessen wie der CES, in wissenschaftlichen Dauerausstellungen und in der Massenunterhaltung dienenden Themenparks sowie natürlich als Darsteller in den großen Blockbustern der Kinoleinwand. 

Doch mit dem rasanten Fortschritt der menschlichen Technik hat mittlerweile auch ein ganz anderer Industriebereich ein ernsthaftes Auge auf Androiden vom Schlage Amecas geworfen: die neurotechnologischen Startups milliardenschwerer Unternehmer, deren erklärtes Ziel es ist, dem bis dato unausweichlichen Tod eines jeden menschlichen Individuums zumindest für jene, die es sich finanziell leisten können, ein Schnippchen zu schlagen.Mit der sogenannten Kryonik blieben die Versuche, den menschlichen Körper oder auch nur einzelne Bestandteile über den Zeitpunkt des Verscheidens hinweg konserviert und in Zukunft möglichst wiederbelebbar zu halten, bis zum jüngsten Zeitpunkt technologisch höchst zweifelhaft und biologisch nur rudimentär vollziehbar. 

Befürworter dieser Methodik verweisen auf eingefrorene Reptilien, die nach dem Auftauen erneut lebten, Kritiker auf die Kristallisierung der körpereigenen Flüssigkeit, welche die Zellwände der eingefrorenen menschlichen Organe unwiderruflich zerstörte. Mit 40.000 Euro zur Konservierung eines einzelnen Kopfes sowie 120.000 Euro für einen kompletten Körper sei Kryonik überdies eine recht teure Investition, berichtete Andreas Kabus vom Verein „Cryonics Germany“ vergangene Woche der Sächsischen Zeitung. 

Gerade einmal acht kaufwillige Interessenten hätten sich – sicher vor allem aus Kostengründen – bislang im Großraum Dresden für dieses gewagte Experiment gefunden. Auch die rechtliche Seite weist Bedenken auf: Das Einfrieren lebender Menschen müsse mit Sterbehilfegesetzen verbunden werden, die nachträgliche Kryonisierung verstorbener Menschen könne als Störung der Totenruhe gewertet werden.

Als weit praktikablere Lösung im Gegensatz zur antiquierten Kryonik betrachten viele der führenden Anhänger des Transhumanismus, des philosophischen Konzeptes der Überwindung der menschlichen Biologie und somit auch seiner Sterblichkeit mittels Hochtechnologie, den neurotechnologischen Ansatz, welcher derzeit mit beachtlichen Erfolgsansätzen um seine Realisierung ringt. 

Erklärtes Ziel der Vertreter dieser Utopie ist hierbei nicht mehr die Konservierung des menschlichen Gehirns als intakt gehaltenes Organ, sondern vielmehr die Anfertigung einer exakten Kopie von Aufbau und innerer Struktur der jeweiligen Hirnmasse, beginnend mit einer Kartographierung der zugrundeliegenden Masse. Mit dem US-amerikanischen Neurotechnologieunternehmen Neuralink des südafrikanischen Entrepreneurs Elon Musk sowie der „2045 Initiative“ des russischen Medienmilliardärs Dmitri Izkow stehen dazu gleich zwei finanzstarke Hightech-Riesen in den Startlöchern.

Technologisch erwartet diese eine Mammutaufgabe: Allein den zellulären Aufbau eines menschlichen Gehirns systematisch als Konnektom, also als in sich geschlossenes System, darzustellen, sprengt bislang die technischen Möglichkeiten der Speicherfähigkeit moderner Rechner. Denn ein einzelnes Gehirn besteht nach jüngsten Untersuchungen aus nicht weniger als 86 Milliarden Nervenzellen, von denen jede im Schnitt um die tausend neuronale Verbindungen zu anderen Nervenzellen des Hirns aufgebaut hält; insgesamt liegen also über 100 Billionen Synapsen vor. 

Während Computer ihre Rechenfolgen in Reihe nacheinander ableisten, wodurch sich stets nur ein Teil des Speichers anhand neuer Datenlagen aktualisiert, ordnet sich das Hirn aufgrund seiner gleichzeitigen Rechenarbeit unterschiedlichster Regionen permanent in seiner Gesamtheit neu. Die sich daraus ergebende Speichermenge eines menschlichen Gehirns ist beachtlich.

„Auch wenn es eine physikalische Grenze geben muß, wie viele Informationen wir speichern können, ist diese extrem groß“, erklärt Paul Reber, Psychologieprofessor an der renommierten North western University, im Interview mit dem Fachmagazin Scientific American. „Wenn jedes Neuron nur eine einzige Information speichern könnte, wäre Platzmangel ein Problem. Doch Neuronen verbinden sich, so daß jedes einzelne bei vielen Informationen gleichzeitig hilft und die Speicherfähigkeit des Gehirns exponentiell auf etwa 2,5 Petabyte vergrößert.“ 

Umgerechnet in Videoformate käme dies Reber zufolge über 300 Jahren digitaler Fernsehaufzeichnung gleich. Dabei benötigt das Hirn eines Erwachsenen in all seiner Rechenarbeit gerade einma 20 Watt an Leistung – nicht mehr als eine handelsübliche, schwach scheinende Glühbirne. „Ein Computer von heute, der das gleiche Speichervermögen und die gleiche Rechenleistung haben soll wie ein menschliches Gehirn, würde ein Gigawatt benötigen“, berichtete der Tech-Blog Interesting Engineering im Dezember, „faktisch also ein ganzes Kernkraftwerk, um einen Computer zu betreiben, der macht, was unser ‘Computer’ mit 20 Watt macht.“ Zum Vergleich produzieren sämtliche Kraftwerke in Deutschland etwa 214 Gigawatt an Leistung; ausreichend um gerade einmal 214 künstliche menschliche Gehirne betreiben zu können.

Menschliches Bewußtsein auf der Festplatte eines Rechners

Daß die Duplikation von Gehirnen technologisch längst kein ferner Wunschtraum mehr ist, beweist „Caenorhabditis elegans“: Das Konnektom des weit verbreiteten Fadenwurms besteht aus gerade einmal 302 Neuronen sowie 7.000 Synapsen, wodurch sich der etwa ein Millimeter lange Erdreichbewohner als ideales Forschungsobjekt für Neurowissenschaftler eignet. Dem Projekt „OpenWorm“ gelang schon 2014 die Übertragung des Konnektoms eines einzelnen Wurms als digitale Kopie in eine Lego-Figur, deren Sozialverhalten im Anschluß exakt dem eines lebendigen Wurms glich. Die Vorarbeit zu diesem Durchbruch kostete die beteiligten Forscher mehr als zehn Jahre.

Der Entrepreneur Elon Musk will mit seinen Erfolgen weit zügiger aufwarten. Seine Firma Neuralink existiert erst seit Sommer 2016. Doch schon für dieses Jahr verspricht Musk die experimentelle Implementierung erster winziger Computerchips zur Datenauswertung in ein menschliches Gehirn – sofern die US-Gesundheitsbehörde grünes Licht gibt. Vergangenen April verblüffte Neuralink die Öffentlichkeit mit dem Video eines neunjährigen Makaken namens „Pager“. 

Dem Affen wurden ähnliche Chips ins Hirn eingesetzt; mittels der Übertragung seiner aufgezeichneten Hirnaktivitäten gelang es Pager, das Computerspiel „Pong“ zu bedienen. „Ich glaube, daß wir mit Neuralink eine Möglichkeit haben, die Körperfunktionen von Menschen mit Rückenmarksverletzungen vollständig wiederherzustellen“, beschreibt Musk das Nahziel seines Unternehmens im Interview mit dem Wall Street Journal. Allerdings lägen die geplanten Versuche an Menschen bereits zwei Jahre hinter den einstmaligen Zeitplänen und waren ursprünglich bereits für 2020 angekündigt, kritisierte zuletzt die Fachzeitschrift für digitale Wirtschaft, t3n.

Auch um Musks russische Konkurrenz der „2045 Initiative“ ist es in den vergangenen Jahren verdächtig ruhig geblieben. Der mit Onlinejournalismus zum Milliardär avancierte Firmengründer Dmitri Izkow, dessen Initiative bereits fünf Jahre vor Neuralink gegründet wurde, warb schon im Juni 2013 mit einem Vierpunkteplan um internationale Geldgeber. Bis 2045 wolle seine Organisation das Bewußtsein eines Menschen komplett digitalisiert haben, verspricht seine Netzseite. In zwei Schritten plant die Initiative bis zum Jahr 2025 die Einpflanzung eines menschlichen Gehirns in einen künstlichen Avatar sowie anschließend bis spätestens 2035 die Übertragung der Kopie eines menschlichen Bewußtseins an dessen Tod in einen Androiden. 

Die Fertigung solcher Androiden prognostizierte Izkow allerdings bereits für 2020. Mit der Präsentation des humanoiden Roboters Ameca dürften vielleicht sogar Izkows Visionen neue Impulse gewinnen, gegen Elon Musk im Rennen um die erstmalige Digitalisierung zumindest von Teilen menschlicher Gehirnaktivität erneut anzutreten. Schließlich dürfte für beide der Siegpreis mehr als verlockend sein, der nichts geringeres beinhaltet als die Unsterblichkeit einer Kopie ihres Bewußtseins im metallischen Körper eines Roboters oder auf der Festplatte eines Hochleistungsrechners.

Foto: Der Roboter mit dem Namen Ameca, der von der britischen Firma Engineered Arts entworfen wurde, auf der Elektronikmesse CES 2022 in Las Vegas (Nevada): Ameca zog mit ihrem Charme und Esprit die Aufmerksamkeit aller Messebesucher Anfang des Jahres auf sich