© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 05/22 / 28. Januar 2022

Dorn im Auge
Christian Dorn

Neuerdings ist jeden Montagabend vor der Haustür Showdown. Eine dubiose Anwohnerinitiative warnt vor der angeblichen „Vereinnahmung der Gethsemanekirche durch Corona-Protestierende“. Kopfschüttelnd registriert dies ein Anwohner, mit dem ich ins Gespräch komme. Dieser war bereits 1989 Teil der Friedlichen Revolution in der Gethsemane-kirche und bringt es auf den Punkt: Damals hätten sie sich hier versammelt, um gegen die Diktatur aufzustehen. Heute sei es groteskerweise genau umgekehrt: Die, die sich hier gegen die vermeintliche Vereinnahmung versammelten, stünden tatsächlich für den Corona-Maßnahmestaat. Und wirklich: Die selbsternannten „Wächter“ der historischen Wahrheit stehen maskiert und stumm in weiten Abständen voneinander – ihre Präsenz markiert unwillkürlich eine dystopische Miniaturaufnahme, dabei ist dieses Bild bitterernste Realität. Wie sich herausstellt, ist der Initiator dieses Mummenschanzes der mir bekannte Redakteur vom Tagesspiegel, der neuerdings für das Ressort Recherchen zuständig ist. Offenbar hat er zuviel Proust gelesen und ist – gewissermaßen als Nachgeborener – auf seiner ganz persönlichen Suche nach der verlorenen Zeit. 


Als ich nach dem Ende des jüngsten Showdowns, als tatsächlich einige Leute (Kritiker wie Befürworter der Impfung) nach der Veranstaltung ins interessierte Gespräch kommen und ich mich dazugeselle, herrscht mich der Initiator aggressiv an: „Verschwinde von hier, du willst doch hier nur stören.“ Ich bin so perplex, daß mir kein Wort einfällt – als wäre ich wirklich wehrlos, galt doch in der DDR das Wort stets als Waffe. Später am „Alhambra“ treffen sich die Gegner des Corona-Staates zum Glühwein, und die Stimmung steigt sofort. Im Gespräch über das oktroyierte DDR-Liedgut in der Schule entfährt es mir: „Der kleine Trompeter / stirbt früher oder später.“ Und wirklich: Lachen entlastet. 

Der Fahrer aus Polen sieht Putin wie Stalin und meint lakonisch: „Nächste Woche ist vielleicht schon Krieg!“

Währenddessen stirbt die Wirtschaft im Corona-Maßnahmestaat schleichend. So platzt es aus dem türkischstämmigen Fuhrunternehmer, mit dem ich unterwegs bin, heraus: „Das ist ein richtiger Polizeistaat geworden.“ Zugleich flucht er über die neue Regierung: Unter der CDU sei es der Wirtschaft immer gut gegangen, man habe immer Geld verdient. Unter Rot-Grün würde die Wirtschaft jedesmal kaputtgemacht und einem das Geld weggenommen. Ein anderer Fahrer, aus Polen stammend, blickt eher gen Osten und meint zu mir, Putin sei genauso wie Stalin, um lakonisch anzufügen: „Nächste Woche ist vielleicht schon Krieg.“ 


Doch was macht eigentlich der Islam? Gewissermaßen weist auch er – wie das Christentum – eine „Dreieinigkeit“ auf, stehe der Name der Religion doch zugleich für „sich hingeben“, „sich unterwerfen“ und für „Frieden machen“. Mit Merkel aber habe ich meinen Frieden noch nicht gemacht. Ihre jüngste Ablehnung des CDU-Ehrenvorsitzes sowie die Absage zum Vorsitz des UN-Beratergremiums erinnert mich an die kürzliche Gedenkveranstaltung zum Attentat auf dem Breitscheidplatz. Merke: „Es schert sie’n Dreck / Jetzt ist sie halt weg.“