© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 05/22 / 28. Januar 2022

Treffen sich zwei
Zwischen Beziehungsdrama und Groteske: Der Kinofilm „Licorice Pizza“ ist eine unorthodox erzählte Liebesgeschichte
Dietmar Mehrens

Wenn ein so erfahrener Regisseur wie Paul Thomas Anderson praktisch gegen alle Regeln des Geschichtenerzählens verstößt, dann darf man unterstellen, daß nicht Unvermögen, sondern volle Absicht dahintersteckt. Der Kalifornier schuf mit „Magnolia“ (1999) ein Meisterwerk des amerikanischen Kinos der Jahrtausendwende, das oft in einem Atemzug genannt wird mit „American Beauty“ von Sam Mendes aus demselben Jahr. In parallel montierten Episoden erzählte Anderson in dem Drei-Stunden-Opus die Schicksale unterschiedlicher Menschen in Los Angeles und ließ es in der berühmtesten Szene des Films Ochsenfrösche vom Himmel regnen.

Daß Kreativität und gepflegte Langeweile eine durchaus harmonisch wirkende Allianz bilden können, bewies er mit seiner merkwürdig zäh erzählten Liebesgeschichte „Punch-Drunk Love“ (2002). Leider steht das neue Werk des Filmemachers weniger in der Tradition von „Magnolia“ als in der von „Punch Drunk Love“. Auch „Licorice Pizza“ ist nämlich eine reichlich absurde Liebesgeschichte – über eine Liebe, die so recht keine werden will. 

Zu Beginn laden Szenen im Schummerlicht zum Schlummern ein

Encino ist ein provinzieller Stadtteil im Norden von Los Angeles. Es sind die frühen Siebziger. „Bittest du mich etwa um ein Date?“ fragt die irritierte Alana den 15jährigen Gary, als der ihr mit der Selbstverständlichkeit eines Wimpernschlags ein gemeinsames Abendessen vorschlägt. Alana, wie Gary aus jüdischem Elternhaus, ist mindestens zehn Jahre älter als der vorlaute, pickelgesichtige Rotschopf. Doch der ist sich sicher: „Ich hab’ gerade das Mädchen getroffen, das ich eines Tages heiraten werde.“

Irgendwie geraten sie trotz Alanas unübersehbarer Skepsis dann doch aneinander. Nur eben nicht als Liebespaar. Es ist eher das Modell „Freundschaft plus“, das die auf das erste Rendezvous folgenden Wochen prägt. Alana läßt sich hineinziehen in Garys reichlich unorthodoxe, von ihr still bewunderte Art der Freizeitgestaltung: Er ist Kleindarsteller, dreht kurze Werbefilme und ist intensiv beteiligt an der Vermarktung von Wasserbetten. Alana läßt sich überreden, zu einem Theaterauftritt nach New York mitzufliegen. Die selbstbewußte junge Frau erliegt dabei jedoch zu Garys Unwillen der Charme-Offensive eines der anderen Darsteller.

Doch Gary läßt sie nicht los. Sie hilft dem Minderjährigen immer wieder mit Fahrdiensten und anderen Gefälligkeiten aus und trudelt so immer mehr selbst in die Filmbranche hinein. Sie trifft den exzentrischen Jack Holden (Sean Penn), der sie zu einem Motorrad-Stunt überredet. Dann sieht man Alana und Gary bei der folgenreichen Fehlmontage eines Wasserbetts bei dem Hollywood-Emporkömmling Jon Peters, einem mehr als engen Vertrauten von Barbra Streisand. Auch diese Rolle ist mit Bradley Cooper prominent besetzt.

Als Gary Flipper-Automaten zu seinem nächsten Steckenpferd macht und sich als Betreiber einer Flipper-Bar ein weiteres Mal neu erfindet, reicht es Alana. Sie läßt sich für die Bürgermeisterwahlkampagne des aussichtsreichen Kandidaten Joel Wachs (Benny Safdie) engagieren, um so endlich Abstand zu ihrem Dauerbegleiter und ihren Sie-liebt-ihn-sie-liebt-ihn-nicht-Gefühlen zu gewinnen. Wachs verbirgt seine Homosexualität – die Regenbogenfraktion kann zufrieden ihr Häkchen machen –, und sein unglücklicher Lebensabschnittsgefährte muß von Alana getröstet werden ...  

So könnte es in „Licorice Pizza“ vermutlich noch stundenlang weitergehen, ohne daß irgendwann ein substantieller Höhepunkt erreicht würde. Die einzelnen Episoden, die in ihrem Changieren zwischen Drama und Groteske an die US-Serie „Better Call Saul“ erinnern (deren Hauptfigur wie Gary eine sich notorisch überschätzende Nervensäge ist), mögen für sich genommen durchaus witzig und amüsant sein, ein stimmiges Ganzes ist daraus nicht geworden. Dem Film fehlt die große, tragende Idee.

Vor allem zu Beginn seines zudem ausufernd lang geratenen Siebziger-Jahre-Sittenbilds entscheidet sich Anderson für eine spröde Bildsprache: Szenen im Schummerlicht laden zum Schlummern ein. An den Schauspielern liegt es nicht. Mit Alana Haim als Alana und Cooper Hoffman als Gary hat der 51jährige bewußt zwei Hauptdarsteller gewählt, deren Attraktivität eher eine für den zweiten Blick ist und die daher auch nicht zur ersten Garde von Amerikas Nachwuchsdarstellern gehören. Um so faszinierender ist ihr Zusammenspiel. Nur dem Drehbuch fehlt es an Strahlkraft. Schade.

Kinostart ist am 27. Januar