© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 05/22 / 28. Januar 2022

Miraculix fühlte sich auch im Südwesten wohl
Druiden, Menschenopfer, Geisterwesen: Die Ausstellung „Magisches Land“ im Archäologischen Landesmuseum Baden-Württemberg gibt Einblicke in Religion und Jenseitsglauben der Kelten
Felix Dirsch

Religion und Mythologie der Kelten haben ihre Faszination bis in die unmittelbare Gegenwart erhalten. Davon zeugt nicht zuletzt der anhaltende Erfolg von modernen Fantasy-Epen wie „Der Herr der Ringe“ oder die Comic-Serie Asterix. Besonders die waffentechnisch gut ausgestatteten Krieger und die Druiden als Priester- und Herrscherkaste regen die Phantasien nach wie vor an. 

Jenseits aller fiktionalen Welten haben Erinnerungen an den Keltenkult sogar regionale Verhaltensweisen lange Zeit bestimmt. Das Andenken an die um die Zeitenwende herum verschwundenen Kelten schloß über längere Zeiträume hinweg sogar eine aktiv-mimetische Vergegenwärtigung des Vergangenen ein. In Blofeld im hessischen Wetteraukreis, im Umfeld der „Totenstadt“ von Niedermockstadt mit mindestens 120 Grabhügeln, versammelten sich bis Mitte des 19. Jahrhunderts die Ortsbewohner, um sich gemäß einem alten Ritual auf einem nahe gelegenen Hügel am Himmelfahrtstag auszuziehen und dort ein Fest zu feiern.

Auch auf dem Terrain des heutigen Baden-Württemberg fand man viele Artefakte, die Rückschlüsse auf das Leben keltischer Gemeinschaften zulassen. Die Spuren kultischer Rituale vornehmlich in der Eisenzeit, noch in späteren griechischen und römischen Überlieferungen festgehalten, werden derzeit in Konstanz für ein interessiertes Publikum aufbereitet. Das südwestliche Bundesland kann auf eine Reihe erstaunlicher Grabungserfolge in den letzten Jahrzehnten zurückblicken. Hinzuweisen ist auf die Bergung der kompletten Grabkammer der Fürstin von Bettelbühl 2010, die der Heuneburg (in der Nähe von Sigmaringen) zuzurechnen ist. Zu den wertvollen Funden gehören Schmuckbeigaben aus Gold, Bronze und Bernstein. Weiter entdeckte man Reste von organischem Material und kultische Amulette, ja sogar Klapperinstrumente kamen zum Vorschein.

Auf eine weitere archäologische Kostbarkeit im Wald bei Egesheim (Landkreis Tuttlingen) ist aufmerksam zu machen, die in der Konstanzer Ausstellung nicht nur visuell gegenwärtig ist: ein natürliches Tor aus Felsgestein, das Heidentor, sechs Meter hoch und vier Meter breit. Bald nach dem Zweiten Weltkrieg verbreitete sich schnell die Rede von einem außerordentlichen Natur- und Kulturdenkmal nahe der oberen Donau. An diesem in der Antike als heilig empfundenen Ort fand man verschiedene Artefakte aus unterschiedlichen Zeitaltern, etwa aus Metall oder Keramik. Diese Objekte, zur Zeit sind 260 davon inventarisiert, werden erstmals der interessierten Bevölkerung gezeigt.

Weiter sind noch 160 Fundkisten zu erfassen, ein aufwendiges Programm für die nächsten Jahre. Neben den offiziellen, sehr ergiebigen Grabungen waren immer auch Räuber aktiv, die mitunter ebenso erfolgreich waren. In den meisten Fällen konnten aber die irregulär erstandenen Objekte früher oder später in öffentlichen Besitz übergehen. Von den bezüglich ihres archäologischen Werts kaum zu überschätzenden Stücken ist die sogenannte Vogelfibel, vermutlich mit der Darstellung eines Wasservogels, aus der Umgebung des Heidentors zu erwähnen. Darüber hinaus sticht die Auswahl an Perlen ins Auge, die am Heidentor gefunden wurden, darunter eine typisch keltische Schichtaugenperle. Außerdem ist ein keltisches Regenbogenschüsselchen aus Gold zu erwähnen, das aus der Sammlung heraussticht.

Die keltischen Gemeinschaften beherrschten Europa

Die Initiatoren der Präsentation haben die Räume abgedunkelt, die Raumtemperatur liegt unterhalb der Zimmertemperatur. Leise Musik ist aus mehreren Ecken zu hören. Alles ist in dezent grünes Licht getaucht. An den Wänden sind Aufnahmen von Gewässern, Mooren und Feldern zu sehen, in die häufig Gaben versenkt wurden. Die schon in der Antike als sehr fromm geltenden Kelten pflegten einen regen Opferkult. Auch andere Fundorte erwiesen sich als ergiebig: So wurden Gräber als Depot für wertvolle Stücke genutzt. Ebenso dienten Bäume (als heilige Stätte) zur Aufbewahrung frommer Gaben – und das ist kein Zufall, läßt sich doch der Begriff „Druiden“ als „Eichenpriester“ übersetzen. In der Nähe des Eingangs kann sich der Besucher in Form eines informativen Films mit Hintergründen der Ausstellung näher vertraut machen. Die fast lebensgroßen Skulpturen verbreiten den Eindruck, einzelne Kelten seien wiederauferstanden.

Die Gegenstände, die zu sehen sind, sind zumeist erstaunlich gut erhalten. Sie lassen vielfältige Rückschlüsse zu: Halsringe, Wagen und Schwerter beschädigte man üblicherweise, bevor sie an geweihten Orten versenkt wurden – wohl eine Maßnahme, die Grabräuber abschrecken sollte. Manches ist aber unversehrt erhalten geblieben und wird in der Ausstellung gezeigt, etwa eine Krone, die von einem Druiden getragen wurde. Zu den Kostbarkeiten der aktuellen Schau zählt weiter ein steinerner Zeuge der besonderen Art: der Krieger von Hirschlanden, der in den 1960er Jahren entdeckt wurde.

Am Ende der Ausstellung erfolgt ein kurzer Überblick über die facettenreiche Rezeption der Kelten über die Epochen hinweg. Die Kelten wußten natürlich nicht, daß sie „Kelten“ waren. Der Name „Kelten“ dient mittlerweile als Oberbegriff für verschiedene Völker. Antike Autoren wie Caesar („Galli“) und Pausanias („Gallatai“) verwendeten unterschiedliche Bezeichnungen. Ähnlich wie beim Germanentum, das unter dem Mißbrauch durch den Nationalsozialismus in der Forschung bis heute stark leidet, machen die Dekonstruktionsbestrebungen postmoderner Interpreten auch vor den keltischen Stämmen nicht halt. Deren Kommunitäten, die immerhin 800 Jahre Europa beherrschten, wiesen natürlich größere Unterschiede auf. Aber auch für viele Gemeinsamkeiten, gerade hinsichtlich kultureller Praktiken, existieren Indizien. Später aber gingen sie weithin in der römischen Kultur auf. Die Hintergründe dieses Übergangs, noch immer nicht im Detail geklärt, werden ebenfalls in der vorliegenden Ausstellung thematisiert.

Interessant ist vor allem, daß Teile des keltischen Kults bei den Keltoromanen weiterlebten. Doch Römer und Griechen sind darüber hinaus für die Präsenz der Kelten im historischen Gedächtnis weit späterer Epochen schon deshalb unentbehrlich, weil letztere schriftunkundig und nicht nur in diesem Punkt unterlegen waren. Trotz dieses Umstandes kann man eine erstaunliche Kontinuität menschlicher Existenz erkennen. Die Lebensstafette wurde also – auf welche Weise auch immer – von den kultur- und kriegstechnisch Unterlegenen an die Überlegenen weitergegeben, der Logik der Evolution folgend. Daran mag vieles nicht tröstlich sein, vielleicht aber besteht in einem solchen Übergang auch eine Hoffnung für uns Heutige.

Die Ausstellung „Magisches Land – Kult der Kelten in Baden-Württemberg“ ist bis zum 13. März im Archäologischen Landesmuseum in Konstanz, Benediktinerplatz 5, täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr zu sehen. Tel.: 0753 1 / 98 04-0

Der Begleitband (wbg-Verlag) mit 168 Seiten und etwa 120 Abbildungen kostet 25 Euro.

 www.alm-bw.de

Fotos: Ausstellungsraum „Opfergaben“, im Hintergrund das Heidentor im Wald bei Egesheim (Landkreis Tuttlingen): Natur- und Kulturdenkmal; Vogelfibel: Die Darstellung eines Wasservogels wurde am Heidentor bei Egesheim niedergelegt