© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 05/22 / 28. Januar 2022

Der BBC droht radikale Diät
Großbritannien streitet um die Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Senders
Julian Schneider

Als Nadine Dorries vor vier Monaten zur neuen Ministerin für Digitales, Kultur, Medien und Sport berufen wurde, ging durch die linksliberale Kultur- und Medienschickeria an der Themse ein deutliches Frösteln. Die wasserstoffblonde Parlamentarierin und Romanautorin gilt als beinharte Konservative. Und sie geht Konflikten nicht aus dem Weg. Insbesondere für die BBC, den öffentlich-rechtlichen Senderriesen, hat die enge Verbündete von Boris Johnson radikale Pläne: Dorries will die gesetzliche Rundfunkgebühr – aktuell 159 Pfund je Haushalt und insgesamt gut 3,2 Milliarden Pfund pro Jahr – abschaffen. Dies wäre eine Revolution für die BBC, die in diesem Jahr ihr 100. Gründungsjubiläum feiert.

Die jetzige Gebührenfinanzierungsperiode, die noch bis 2027 läuft, soll die letzte sein, fordert Dorries. Es solle Schluß damit sein, daß „ältere Personen mit Gefängnisstrafe bedroht werden und der Gerichtsvollzieher an die Türe klopft“, schrieb sie auf Twitter. Tatsächlich gibt es jedes Jahr mehr als 100.000 Verfahren wegen Nicht-Bezahlung der Gebühr, die seit kurzem auch von hochbetagten Senioren gefordert wird. Ende 2027 läuft die aktuelle Royal Charter, eine Art Rundfunkstaatsvertrag, aus. Danach will Dorries ein radikal anderes Modell.

Kritik auch aus dem bürgerlichen Lager

Die Folge ihres Vorstoßes war wütendes Geheul auf der Linken und bei Liberalen, sie lieben „Tantchen Beeb“. Es gibt aber auch Bedenken unter Bürgerlichen. Manche sehen die British Broadcasting Corporation und ihren renommierten „World Service“, der auch in Afrika und Asien stark ist, als Teil der globalen britischen „Soft Power“.

Bei vielen Konservativen stößt Dorries Reformruf indes auf laute Zustimmung. Die BBC gilt vielen als zu linkslastig. Dorries spricht von einer Stimme der „London Bubble“. „Bias“ – also Schlagseite – werfen ihr viele vor. Der frühere Telegraph-Chefredakteur Charles Moore, ein konservativer Gebühren-Kritiker, der vergangenes Jahr selbst als Kandidat für den BBC-Vorsitzenden im Gespräch war, donnerte in einer Zeitungkolumne, die BBC habe sich in ein „linkes Fox-News“ verwandelt.

Auch wenn das weit übertrieben erscheint: Eine gewisse Linkslastigkeit ist im Sender unverkennbar. Während der Brexit-Diskussionen hatte die Berichterstattung etwas Kampagnenhaftes. Und viele kritisieren, daß die BBC aufgebläht ist mit mehr als einem halben Dutzend TV-Sendern, Sparten- und Nischenkanälen, über einem Dutzend Radio- und Regionalsendern. Mehr als 22.000 Angestellte, Hunderte Manager und etliche Spitzenverdiener-Moderatoren beschäftigt die Rundfunkanstalt auf der Insel. 

Dorries hat den öffentlich-rechtlichen Rundfunk jetzt schon deutlich auf Diät gesetzt. Zwei Jahre lang wird der Rundfunkbeitrag von 159 Pfund (gut 190 Euro) je Haushalt eingefroren und nicht auf 180 Pfund erhöht, wie dies die BBC-Spitze im Londoner Broadcasting House nahe dem Oxford Circus gewünscht hatte. Dorries feiert dies als finanzielle Entlastung der Haushalte, die von den steigenden Lebenshaltungskosten betroffen sind. BBC-Generaldirektor Tim Davies hat angekündigt, daß durch die reale Kürzung des Budgets um Hunderte Millionen Einsparungen und Einschnitte bei Sendungen nötig sein werden. Er spricht von einer Lücke von 285 Millionen Pfund in fünf Jahren – bei knapp vier Milliarden Pfund Budget heute.

Daß die Debatte just vor anderthalb Wochen mit voller Wucht losging, werten Kritiker der Regierung als Ablenkungsmanöver. Dorries versuche Schlagzeilen jenseits des Skandals rund um Johnsons „Partygate“ zu generieren und wolle kritische Tory-Abgeordnete mit „Operation Red Meat“ beruhigen. Ob und wie lange sich Johnson als Premierminister noch halten kann, ist unklar. Im Kabinett stößt Dorries Ruf nach einem Aus für die seit 1946 erhobene Rundfunkgebühr indes auch auf Gegenwind. Finanzminister Rishi Sunak gehört zu den Skeptikern. Einige fragen, wie ein Abo-Modell – entsprechend etwa dem von Netflix – technisch umgesetzt werden soll. Dorries will die BBC natürlich nicht abschaffen, beteuert sie und lobt die „großartigen britischen Inhalte“, doch müsse man bei der Finanzierung und Vermarktung neue Wege gehen. Sollte das Finanzierungsmodell radikal geändert werden, würde dies sicher auch in Deutschland die Debatte um die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks befeuern, der nach dem Weltkrieg nach dem britischen Vorbild aufgebaut wurde. Ehrlicherweise muß man feststellen: So ungeniert und offen parteilich links-grün, wie deutsche öffentlich-rechtliche Journalisten heute oft agitieren, würden BBC-Journalisten das nicht wagen. Sie sind offiziell zu Neutralität verpflichtet und müssen sich, nicht nur auf Twitter, persönlicher politischer Meinungsäußerungen enthalten. Andernfalls drohen Abmahnung oder Kündigung.

Foto: Gehen bei der Rundfunkgebühr bald die Lichter aus? Einst Vorbild für ARD & ZDF