© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 05/22 / 28. Januar 2022

Die guten Verfassungsfeinde
Der „Extremistenbeschluß“ von 1972 rief den gesammelten Widerstand der Linken auf den Plan
Karlheinz Weißmann

Kurz nachdem die neue Bundesinnenministerin ihr Amt angetreten hatte, hielt sie auf der Jahrestagung des Deutschen Beamtenbundes eine Rede. An dem Sachverhalt selbst war nichts Überraschendes, am Inhalt der Ansprache schon. Denn Nancy Faeser nutzte die Gelegenheit, um zu erklären, daß sie mit allen ihr zu Gebote stehenden Mitteln gegen Verfassungsfeinde im Öffentlichen Dienst vorgehen werde. Reaktionen auf diese Äußerung gab es kaum, und wenn, fielen sie wohlwollend aus. Was vor allem damit zu tun hat, daß sie stets im Zusammenhang mit einer anderen Bekanntgabe Faesers gesehen wurde: der, dem Kampf gegen den angeblichen Hauptfeind der freiheitlich-demokratischen Grundordnung Vorrang einzuräumen: dem Rechtsextremismus.

Nur dieser weltanschauliche Kontext erklärt, warum heute überall da so dröhnend geschwiegen wird, wo man weiland scharf die „Gesinnungsschnüffelei“ gegeißelt und „Berufsverbote“ als Ausdruck autoritärer oder gleich faschistischer Gesinnung attackiert hatte. Auslöser entsprechender Kampagnen, getragen von kommunistischen und kryptokommunistischen Gruppierungen und von der liberalen Öffentlichkeit mit Sympathie verfolgt, war der „Extremistenbeschluß“. Die Kritiker bevorzugten allerdings die polemische Bezeichnung „Radikalenerlaß“, wenn es um die am 28. Januar 1972 gemeinsam von Bund und Ländern in Kraft gesetzte Vorgabe ging, per „Regelanfrage“ bei den Inlandsgeheimdiensten zu klären, ob ein Bewerber für den Staatsdienst Gegenstand von Ermittlungen war.

Immer mehr „Revolutionäre mit Pensionsanspruch“

Die Heftigkeit der gegen die „Berufsverbote“ gerichteten Proteste hatte die Bundesregierung als Inititiatorin des Extremistenbeschlusses keineswegs abgesehen. Schließlich reagierten die sie tragenden Parteien SPD und FDP in erster Linie auf konkrete Erfahrungen, nämlich die kommunistische Unterwanderung eigener Gliederungen: des Sozialdemokratischen Hochschulbundes (SHB), der Jungdemokraten (Judso) und in gewissem Maß der Jungsozialisten (Jusos). Nicht zu übersehen war zudem, daß der massiv betriebene Ausbau der Verwaltung und die Bildungsexpansion zum Hereinströmen von jungen Frauen und Männern in den Öffentlichen Dienst führte, die durch die Ideologie der Neuen Linken geprägt waren. Sie empfanden im Grunde nichts als Verachtung für die bestehende Verfassungsordnung und suchten sie nach Kräften zu schwächen, ohne dabei die Vorteile einer Existenz als „Revolutionär mit Pensionsanspruch“ aus den Augen zu verlieren.

Ausschlaggebend für die Übereinkunft von Bund und Ländern im Hinblick auf den Extremistenbeschluß war allerdings das Scheitern der Weimarer Republik. Weil sie keine ausreichenden Abwehrmöglichkeiten gegen ihre Feinde besaß, hatte man schon über das Grundgesetz die besondere Treuepflicht von Beamten und Soldaten fixiert. Die sollte nun auf einheitlicher Basis im Fall der Anwärter oder bei hinreichendem Verdacht im Fall bereits eingestellter Amtsträger überprüft werden. Bis 1985 durchliefen 3,5 Millionen Bewerber das Verfahren; 1.250 von ihnen – in erster Linie Linksextremisten, die an Schulen und Hochschulen arbeiten wollten – verwehrte man die Einstellung, etwa 260 wurden aus dem Dienstverhältnis entlassen.

Allerdings zeigte sich rasch die Unsicherheit der Bonner Regierungsparteien. Einerseits wollten sie wegen des linken Terrors und der auf Anerkennung der kommunistischen Regime im Ostblock abzielenden Außenpolitik den Eindruck mangelnder Abgrenzung vermeiden, andererseits suchten sie die „progressive Jugend“ zu ködern und auf die eigene Seite zu ziehen. Es spielten außerdem die juristischen Einwände europäischer Instanzen – etwa des Europäischen Menschengerichtshofs – gegen den Extremistenbeschluß eine Rolle, und der SPD waren die Vorhaltungen ihrer sozialistischen Bruderparteien unangenehm, denen jedes Verständnis für die Repression gegen „Genossen“ – egal welcher Couleur – fehlte. Schon 1979 kündigte die Bundesregierung einseitig die Durchführung des Beschlusses. Danach gaben die Länder die Anwendung nach und nach auf. Als letztes Bundesland strich Bayern 1991 die „Regelanfrage“.

Heute erscheint der „Radikalenerlaß“ nur mehr als etwas peinliches Detail aus der Zeit vor der „Umgründung“ (Manfred Görtemaker) der Republik. Bezeichnenderweise hat die rot-grüne Koalition in Niedersachsen 2016 sogar offiziell festgestellt, daß es sich um ein „unrühmliches Kapitel“ der Landesgeschichte handele, weil der „Radikalenerlaß“ durch „die Jagd auf vermeintliche ‘Radikale’ das politische Klima“ vergiftet habe: „Statt Zivilcourage und politisches Engagement zu fördern, wurde Duckmäusertum erzeugt und Einschüchterung praktiziert.“ In der Folge berief man sogar eine Kommission „zur Aufarbeitung der Schicksale der von niedersächsischen Berufsverboten betroffenen Personen und der Möglichkeiten ihrer politischen und gesellschaftlichen Rehabilitierung“.

Das bedeutete faktisch die Übernahme von Begrifflichkeit und Deutungsmuster derjenigen, die sich von Anfang an – aus Kalkül, Eigeninteresse oder Naivität – gegen den Extremistenbeschluß gestellt hatten. In jedem Fall wird übersehen, daß es in den 1970er Jahren, anders als in der Gegenwart,  tatsächlich eine Bedrohung der Bundesrepublik durch verfassungsfeindliche Kräfte gegeben hat. Dabei spielte die Masse der Freischwebend-Linksradikalen eine Rolle, die auf den Zusammenbruch des „Spätkapitalismus“ wartete, beim „Systemvergleich“ immer zum Ergebnis kam, daß die Planwirtschaft vorzuziehen sei, und überzeugt blieb, daß die „Nazis in Bonn“ und der militärisch-industrielle Komplex in Washington den Frieden eher gefährdeten als die Sowjetarmee und das Politbüro in Moskau. Allerdings waren sie durch die staatliche Überprüfung nur bedingt zu erfassen. Anders verhielt es sich bei Mitgliedern der kommunistischen Kleinparteien, die aus der Konkursmasse der APO hervorgegangen waren, aber auch bei der DKP und ihren Vorfeldorganisationen.

DDR instrumentierte die DKP für Kampf gegen die „Berufsverbote“ 

Letztere gehörten zur „trojanischen Herde“ (Karl Richter), die die DDR für propagandistische, aber auch für andere Zwecke einsetzte. Was das bedeuten konnte, ist an der Person des Postbeamten und DKP-Funktionärs Axel Brück abzulesen, der als Vorzeigeopfer eine wichtige Rolle in dem von seiner Partei instrumentalisierten Kampf gegen die „Berufsverbote“ spielte. Brück gelang es dabei nicht nur, sich der Unterstützung eines SPD-Bundestagsabgeordneten – Peter Paterna – zu vergewissern, er konnte auch auf die finanzielle und juristische Hilfe der Gewerkschaft zurückgreifen, wenn es darum ging, seinen Beamtenstatus vor Gericht zu verteidigen, und er besaß die Sympathie all jener liberalen Fellow traveller, die den Ton in Feuilletons und Kommentarspalten angaben. Denen war die eigentliche Dimension des „Falls Brück“ so wenig klar wie dem ahnungslosen Publikum. Das änderte sich erst, als der Spiegel im September 1990 einen Bericht über die geheime „Militärorganisation“ (MO) der DKP veröffentlichte. Der gehörten etwa 200 Bundesbürger an, die in der DDR zum Zweck der Sabotage unter Einschluß von Tötungsakten ausgebildet wurden. Die MO führte in Westdeutschland mehrere Anschläge aus, sollte aber in erster Linie bei einem militärischen Konflikt zwischen Nato und Warschauer Pakt hinter den Linien eingesetzt werden. Da hätte dann der so betont harmlos wirkende Fernmeldeobersekretär Brück unter dem Kriegsnamen „Hendrik Fengler“ als Kommandeur der „Kampfformation Hessen Nord“ seinen Einsatz gehabt.

Foto: Demonstration linker Gruppen gegen den Radikalenerlaß, Düsseldorf 1974: Warten auf den Zusammenburch des Spätkapitalismus