© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 05/22 / 28. Januar 2022

Braun, aber Bio
Eine Studie über Anthroposophen, Öko-Landbau und seine Förderer und Gegner in der Zeit des Nationalsozialismus
Oliver Busch

Anachronistischen Gesinnungsprüfungen wird heute im besten Deutschland, das es je gab, jede historische Figur, jedes Denkmal, jedes Straßenschild unterworfen, um festzustellen, ob sich nicht irgendeine Beziehung zu „Rassismus, Kolonialismus, Faschismus“ finden läßt. Weitgehend verschont von dieser paranoiden „Nazi-Jagd“ blieben bisher nur die geistigen Ahnherren und Ahnfrauen der politisch-kulturell seit langem hegemonialen Partei der Grünen.

Die Studie des emeritierten Agrarhistorikers Werner Troßbach (Universität Kassel), der sich mit der „Nähe zwischen Regimevertretern und Exponenten der biologisch-dynamischen Wirtschaftsweise im Nationalsozialismus“ befaßt (Zeitschrift für Agrargeschichte und Agrarsoziologie, 1/2021), liefert daher nicht nur einen Baustein, um diese Forschungslücke zu schließen. Sie könnte auch, obwohl vom Verfasser keineswegs beabsichtigt, locker den hypermoralischen Furor „Erweckter“ munitionieren, wenn sie denn einmal „braune Wurzeln“ der Grünen bloßlegen wollten. Aber Troßbachs Material taugt nach herkömmlicher Manier nicht allein dazu, den Biolandbau anzubräunen, sondern würde sich genauso vorzüglich eignen, die gegenwärtig ohnehin als „Querdenker“ und „Corona-Leugner“ verteufelten Anthroposophen zu „nazifizieren“.     

Für Troßbach ist der Gründer der Anthroposophischen Gesellschaft, der philosophische Schriftsteller Rudolf Steiner (1861–1925), der Erfinder der biologisch-dynamischen Wirtschaftsweise. 1924 fixierte er die dafür geltenden Produktionsrichtlinien – im wesentlichen Verzicht auf synthetische Hilfsmittel wie Mineraldünger und Pestizide sowie strenge Beachtung kosmischer Einflüsse auf das Pflanzenwachstum – in einem unter dem Siegel der Geheimhaltung nur an handverlesene Anhänger verteilten „Landwirtschaftlichen Kurs“. 

Ungeachtet des sektiererischen Charakters der neuen Lehre bildete sich bereits 1928 ein „Versuchsring anthroposophischer Landwirte“, der seit 1930 Demeter herausgab, die weitreichende Monatsschrift für biologisch-dynamische Wirtschaftsweise. Im Juli 1933 konstituierte sich dann der „Reichsverband für biologisch-dynamische Wirtschaftsweise in Landwirtschaft und Gartenbau“, wo die Protagonisten des Versuchsrings, hochmögende Gutsbesitzer und Pächter, schon deshalb dominierten, weil sie über exzellente Verbindungen zur sich formierenden NS-Agrarbürokratie und zu ihrem künftigen Protektor Reichsminister Rudolf Heß, dem „Stellvertreter des Führers“, verfügten. 

Dem Esoteriker Heß verdankten es die auf Steiner schwörenden Biolandbau-Funktionäre, daß ihre Aktivitäten vom 1935 verhängten Verbot der Anthroposophischen Gesellschaft unberührt blieben. Wichtiger noch: Heß unterstützte die Lobbyarbeit des Reichsverbandes und gab ein Beispiel, an dem sich andere hohe Funktionsträger des NS-Regimes orientierten. So versprach Reichslandwirtschaftsminister Richard Walther Darré, der Rücksicht auf die ihm unterstellte Kunstdünger-Industrie nicht die Interessen der Öko-Bauern zu opfern. NSDAP-Chefideologe Alfred Rosenberg, ursprünglich ein Gegner des „Blut und Boden“ ignorierenden „Kosmopoliten“ Steiner, schwenkte unter dem Einfluß seines Hausphilosophen, des Berliner Ordinarius Alfred Baeumler (den Troßbach beharrlich „Bäumler“ schreibt) um und distanzierte sich von der pauschalen Ablehnung der Anthroposophie wie sie vor allem Martin Bormann kultivierte. 

Rosenberg zählte denn ebenso wie Reichs-innenminister Wilhelm Frick und Reichsleiter Robert Ley, der Führer der „Deutschen Arbeitsfront“, zu der Riege hoher Regimevertreter, die sich auf dem Vorwerk Marienhöhe bei Bad Saarow, einem biologisch-dynamischen Musterbetrieb, die Klinke in die Hand gaben. „Frau Reichsministerin Frick“ war von einem Besuch dort so begeistert, daß sie ihren Haushalt fortan nur noch mit „Demeter-Gemüse“ beliefern ließ, während ihr Ministergatte sich entschloß, die Bewirtschaftung seines Besitzes am Starnberger See ganz „auf biologisch-dynamisch“ umzustellen. Fest steht zudem, daß der Rohköstler Adolf Hitler, obwohl er die „Weltanschauungslehren Steiners rundweg“ ablehnte, doch lange von „nach biologisch-dynamischer Methode herangezogenem Gemüse lebte“. Heß kolportierte, Hitler habe dem Chefkoch der Reichskanzlei sogar gedroht, er käme nach Dachau, „wenn er noch irgendetwas anderes kocht außer biologisch-dynamisches Gemüse und Obst“.

Himmler etablierte biologisch-dynamische Wirtschaftsweise

Mit dem überraschenden Flug von Rudolf Heß nach England im Mai 1941 verloren die Verfechter des Öko-Landbaus zwar ihren wichtigsten agrarpolitischen Verbündeten; ihre Zeitschrift Demeter wurde verboten, anthroposophisches Schrifttum reichsweit beschlagnahmt und prominentere Steiner-Jünger für ein paar Tage in Gestapo-Haft genommen. Zugleich schritt die Demontage ihres Fürsprechers Darré voran, den 1942 der Technokrat Herbert Backe ablöste, der wie Heß’ Nachfolger Bormann allein der industriellen Landwirtschaft zutraute, die Ernährung der Krieg führenden „Volksgemeinschaft“ zu gewährleisten. 

Gleichwohl öffnete ein anderer, verglichen mit Heß ungleich mächtigerer Esoteriker, der Reichsführer-SS, Agrarromantiker und Germanomane Heinrich Himmler, den Öko-Landwirten neue, schauerliche Betätigungsfelder. Indem er die biologisch-dynamische Wirtschaftsweise zum einen in seinem KZ-Imperium etablierte, dem mehrere Öko-Betriebe, Labore und „Kräutergärten“ angeschlossen wurden. Zum anderen ließ er diese sich von „veralteten kapitalistischen Methoden“ abkehrende Wirtschaftsweise 1942/43 in „Hegewald“ erproben, einem „ethnisch gesäuberten“ Distrikt nahe Shitomir (Ukraine). Hier, so Troßbach, sei der moralische Tiefpunkt der Komplizenschaft zwischen Öko-Landbauern und NS-Verbrechern erreicht gewesen.

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