© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 05/22 / 28. Januar 2022

Chinas staatlich perfektionierte Cancel Culture
Strafen für Abweichler
(wm)

Reichlich spät, nach fünf Jahren als Assistenzprofessorin an den Universitäten von Shenzhen und Nanjing, plagen die Dresdner Betriebswirtschaftlerin Alicia Hennig moralische Bauchschmerzen. Ob sie mit ihrer Arbeit nicht ein „totalitaristisches System gefördert oder legitimiert“ habe? (Forschung & Lehre, 12/2021) Die Frage erweist sich nach der Lektüre ihres Erfahrungsberichts aus dem Reich der Mitte als rein rhetorisch. Hennig erlebte das, was im Westen bislang erst von unten, in der zivilgesellschaftlichen „Cancel Culture“ heraufzieht, was im kommunistischen Einparteienstaat aber schon von oben perfekt organisiert ist: Studenten und Dozenten erwarte bei „ideologischem Fehlverhalten eine Reihe von Strafen“, bestimmte Begriffe wie Hongkong, Taiwan, Menschenrechte dürften im Unterricht nie erwähnt werden, jeder zu haltende Vortrag werde vorab einer „ideologischen Inspektion“ unterzogen. Seit Anfang 2018 sind Hörsäle und Seminarräume „durchweg mit Kameras und Mikrophonen ausgestattet“. Das treffe am härtesten die ideologisch relevanten Geistes- und Sozialwissenschaften. Ausländische Lehrbücher in diesen Disziplinen, wie tendenziell „jegliches ausländische Gedankengut werden stringent unterdrückt“. Wissenschaftsfreiheit gibt es an Chinas Universitäten daher nicht. 


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