© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 05/22 / 28. Januar 2022

Ein Preuße zwischen allen Stühlen
Vor 150 Jahren wurde Otto Braun in Königsberg geboren. Als preußischer Ministerpräsident regierte der Sozialdemokrat von 1920 bis 1932
Stefan Scheil

Als die Novemberrevolution 1918 einen Machtwechsel in Deutschland brachte, da stellte sich zwangsläufig die Frage nach der Neubesetzung der verantwortlichen Posten. In den Straßen Berlins sang man Spottlieder auf Kaiser Wilhelm II., „Ebert der Helle, der Sattler-Geselle“ habe ihm die Krone „geklaut“. Währenddessen tobten die politischen Auseinandersetzungen darüber, ob und wie die Zukunft des Staates Preußen innerhalb der deutschen Republik auszusehen habe. Hier machte sich schnell ein anderer Handwerker aus den Reihen der SPD einen Namen, kein weiterer Sattler, sondern ein gelernter Drucker.

Der Reichstagsabgeordnete und geborene Königsberger Otto Braun setzte sich energisch und erfolgreich für den Fortbestand Preußens als Staat ein, der damals im Rahmen einer geplanten Reichsreform phasenweise auf der Kippe stand. 1920 wurde er preußischer Ministerpräsident und blieb dies mit zwei kurzen Unterbrechungen bis in den Sommer 1932 hinein, als der „Preußenschlag“ der neuen Reichsregierung Franz von Papens die preußische Unabhängigkeit beseitigte. 

Seine Karriere als preußischer Staatschef war Braun buchstäblich weder in die Wiege gelegt worden, noch konnte sie innerhalb der SPD als unumstritten gelten. Im Gegenteil leistete er sich innerhalb der Partei etliche und mit den Jahren zunehmende Feindschaften, blieb aber an seiner preußischen Basis letztlich unangreifbar. Mochten in der Republik die Regierungen und Koalitionen wechseln, in Preußen behielt die ursprüngliche „Weimarer Koalition“ aus SPD, Zentrum und Liberalen eine Mehrheit und Braun sein Amt.

Nun betrieb er als Ministerpräsident innerhalb Preußens durchaus das, was man heute den „Kampf gegen Rechts“ nennen würde. Und dieses „Rechts“, das stellte in Preußen nicht irgendwer, sondern der ostelbische Großgrundbesitz und weite Teile der Beamtenschaft, also die früheren staatstragenden Schichten. Braun versuchte sich an einer Landreform, die seit Jahrzehnten allerdings auch von Nationalliberalen wie Max Weber eingefordert wurde. Er ließ manche Beamte aus ihren Stellen entfernen, die ihm zu sehr den alten Kaiserzeiten nachtrauerten.

Dessen ungeachtet zeichnete den heute vor 150 Jahren geborenen Braun zugleich ein Patriotismus aus, der innerhalb der SPD auch damals bereits kaum anzutreffen gewesen ist. Der Versailler Vertrag etwa galt ihm als unannehmbarer größter Betrug der Weltgeschichte, und auch Ende 1930 versicherte er noch öffentlich, die dort gezogenen deutsch-polnischen Grenzen niemals akzeptieren zu wollen. 

Politisch endete dieses Leben sozusagen zwischen allen Stühlen. Durch Papen 1932 entmachtet, von den neuen Machthabern 1933 ins Exil getrieben, fand Braun auch im Exil nur wenig Anschluß. Mit Unterstützung des früheren Reichskanzlers Joseph Wirth, der vom Vatikan bis zum American Jewish Committee über eine illustre Runde an Kontakten verfügte, verschaffte er sich immerhin etwas Gehör. Aber von Brauns Ansichten über die deutsche Verfassungskontinuität, die durch das Ermächtigungsgesetz nur ausgesetzt, aber nicht aufgehoben sei und von seiner eigenen fortdauernden Stellung als illegal abgesetztem preußischen Ministerpräsidenten wollte man im alliierten Lager nichts hören. Preußen war Geschichte, die verantwortlichen Posten wurden nach 1945 an andere vergeben. 1955 starb einer der mächtigsten Männer der Weimarer Republik in Locarno in der Schweiz.

Otto Braun, um 1930: Den Versailler Vertrag als unannehmbaren, größten Betrug der Weltgeschichte bezeichnet