© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 06/22 / 04. Februar 2022

Corona-Politik
Die Stimmung kippt
Ulrich van Suntum

In der deutschen Corona-Politik geht es inzwischen drunter und drüber. Während es im Inland weiterhin bei der Verkürzung des Genesenen-Status auf faktisch zwei Monate bleibt, hat Kanzler Olaf Scholz in der EU offenbar der Empfehlung einer einheitlichen Frist von sechs Monaten zugestimmt. Umgekehrt ist von seiner noch im Januar großspurig angekündigten allgemeinen Impfpflicht nicht viel übriggeblieben. Nachdem immer mehr Fachleute dagegen sind und auch die Stimmung in den Medien kippt, will die Regierung jetzt erst einmal abwarten. Der Kanzler blieb in der orientierenden Bundestagsdebatte dazu stumm – ein politischer Offenbarungseid.

Niemand weiß genau, wie viele Menschen schon immun geworden sind, ohne es selbst zu bemerken.

Geradezu skandalös ist der jüngste Beschluß der Gesundheitsministerkonferenz, an der Zweimonatsregelung festzuhalten. Denn inzwischen liegen zahlreiche Studien vor, die dies als willkürliche Fehlentscheidung erscheinen lassen. Wie das Deutsche Ärzteblatt berichtet, sind nämlich Genesene mindestens neun Monate lang vor einer Neuinfektion gut geschützt, womöglich sogar noch deutlich länger. Zudem erkranken sie so gut wie nie noch einmal schwer an dem Virus, auch nicht an der Omikronvariante. Damit sind sie der wissenschaftlichen Empfehlung nach „mindestens genauso gut“ zu stellen wie Geimpfte, was die Teilnahme am öffentlichen Leben betrifft. Die Politik in Deutschland aber tut das Gegenteil.

Man wolle die Bürger nicht durch immer neue Regelungen verwirren, so lautet die bemerkenswerte Begründung für das Festhalten an der unsinnigen Verkürzung. Seltsam, bei den immer hektischer werdenden Verschärfungen von Maßnahmen hatte man solche Bedenken nicht. Offenbar ist die Politik unfähig, eigene Fehler einzugestehen, geschweige denn sie zu korrigieren.

Herdenimmunität kann nicht durch Impfen allein oder gar durch eine entsprechende Pflicht erreicht werden. Das sagen jedenfalls führende Virologen wie Hendrik Streeck. Viel besser scheint dafür eine Durchseuchung der Gesellschaft geeignet zu sein, gerade auch was die Kinder betrifft. Denn sie sind nicht nur besonders gut gegen schwere Verläufe geschützt. Sie profitieren wissenschaftlichen Studien zufolge auch am stärksten von der durch eine Infektion erworbenen Immunität. Ohnehin weiß bei uns niemand genau, wie viele Menschen bereits immun geworden sind, ohne es selbst zu bemerken. Das sture Festhalten der Politik an überholten Corona-Dogmen dient daher nicht dem Schutz der Bevölkerung, sondern bestenfalls ihrem Selbstschutz vor dem Eingeständnis, mit ihren Einschätzungen falschgelegen zu haben.