© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 06/22 / 04. Februar 2022

Fortgesetzte Tradition
AfD-Vorsitz: Jörg Meuthen schmeißt hin und tritt aus der Partei aus
Christian Vollradt

Weil sie sich „für klüger als die Partei“ hielten, „mit Macht und am Ende verkrampft versuchten, der Partei ihren Stempel aufzudrücken“ und „mit dem Kopf durch die Wand“ wollten, deswegen seien sie als Vorsitzende der AfD gescheitert. Dieses Urteil stammt von Jörg Meuthen, und er bezog es auf seine Vorgänger Frauke Petry und Bernd Lucke, die ihre Zeit an der Spitze der Partei mit dem Austritt aus derselben beendeten. Knapp zwei Jahre nachdem Meuthen als damaliger Parteichef dies in einem Interview mit der JUNGEN FREIHEIT sagte, hat auch er den Vorsitz hingeschmissen und die Alternative für Deutschland verlassen. 

Damit setzt er diese seltsame Tradition fort, die es so nur in der AfD gibt – und ähnlich vielleicht noch in anderen, allerdings weit weniger erfolgreichen deutschen Parteien rechts der Mitte: Vorsitzende, die sich im Zorn davonmachen, sobald ihnen (gefühlt oder tatsächlich) die Gefolgschaft aufgekündigt wurde. Dabei hatte sich bisher keiner so lange  – sechseinhalb Jahre – an der Spitze der AfD, dieses „gärigen Haufens“ (Alexander Gauland) halten können, wie der Europaabgeordnete aus Baden-Württemberg. Das hatte er auch geschafft, weil er in den unzähligen und bisweilen nervenaufreibenden internen Konflikten immer wieder neue Bündnisse eingegangen war – und aufgekündigt hat, um neue zu schmieden. Dazu gehörte, daß der zeitweilige Kyffhäuser-Pilger Meuthen schließlich zum ärgsten Widersacher des „Flügels“ wurde, dessen formale Auflösung er schließlich erzwang.

Im eingangs zitierten Interview grenzte sich Meuthen von der „Hybris“ seiner gescheiterten Vorgänger ab und stellte klar, er arbeite „ehrenamtlich im Auftrag der Mitglieder, die mich dafür gewählt haben“. Doch der Anlaß für das Gespräch deutete bereits darauf hin, daß sich dieses harmonische Arbeitsverhältnis schon eingetrübt hatte. Meuthen hatte in einem Interview die Idee ins Spiel gebracht, von einer liberal-konservativen AfD schiedlich-friedlich eine eigenständige Formation abzutrennen, die programmatisch dem „Flügel“ entspräche. Nur mit Mühe ließ sich die Sache einfangen, Meuthen mußte betonen, es sei nur ein „strategischer Denkansatz“ gewesen und keineswegs eine Forderung. Die Empörung über den „Spalter“ war in der Welt, erste Rufe wurden laut: Meuthen muß weg! 

Es offenbarte sich, was nicht nur innerparteiliche Gegner, sondern auch mehr und mehr Gefolgsleute störte: Daß der Senior-Vorsitzende immer häufiger ohne Absprachen agierte – oder um es mit seinen früheren Worten zu sagen: „verkrampft“ und „mit dem Kopf durch die Wand“. So war beispielsweise seine Wut-Rede beim Parteitag 2020 in Kalkar mit niemandem aus dem Vorstand zuvor abgestimmt, auch nicht mit denen, die sie von der Intention her teilten und höchstens in der Wortwahl kritisierten. Den Machtkampf am Niederrhein hatte Meuthen noch – mit Blessuren – gewonnen. Er hätte wissen können, wie leicht ein Co-Vorsitzender davon profitieren kann, die Seele der AfD sanft zu streicheln und vor „spalterischen“ Alleingängen zu warnen. Genau so hatte es Meuthen 2017 mit Frauke Petry gemacht. 

Die Worte, die Meuthen seiner nunmehr zur Ex- gewordenen Partei hinterherschleuderte – „ganz klar totalitäre Anklänge“ –, kann der Verfassungsschutz genüßlich als Bestätigung seiner Thesen von der sich immer weiter radikalisierenden Truppe auffassen und den Geschiedenen damit zum Kronzeugen für die Behauptung machen, die AfD stehe nicht mehr auf dem Boden des Grundgesetztes. Das ist mit Blick auf die Anfang März stattfindenden Verhandlungen im Rechtsstreit der Partei mit dem Bundesamt vor dem Kölner Verwaltungsgericht ein Schlag ins Kontor.  

Denn mit der Hilfe von teuren Spitzenanwälten wollte die AfD – bis vorige Woche auch im Namen Jörg Meuthens – genau diesen Vorwurf, sie gefährde die freiheitliche demokratische Grundordnung, aus der Welt und vor allem aus den Jahresberichten des Inlandsgeheimdienstes schaffen. Mit der Art seines Abgangs hat der Ex-Vorsitzende gerade diejenigen vor den Kopf gestoßen, die seinen Kurs vom Grundsatz her gutgeheißen und ihn unterstützt haben. 

Meuthen ist weg, die AfD wird bleiben. Ein Exodus wie weiland 2014 beim Auszug Bernd Luckes ist eher unwahrscheinlich. Schon Frauke Petry folgten weit weniger Getreue. Die Partei ist mittlerweile strukturell gefestigter, stellt Mandate sowie Fraktionen. Und sie hat eine Art eigenen „Mainstream“, jenseits der alten Pole von „gemäßigtem Lager“ und „Flügel“. 

Absehbar ist dennoch, daß jetzt das Narrativ munter verbreitet wird, mit dem wirtschaftsliberalen Professor verschwinde das letzte bürgerliche Aushängeschild (oder Deckmäntelchen) der AfD. Aber selbst wenn sich genug Argumente dagegen aufbieten lassen: Ein Image kann bestimmend, gar wahlentscheidend sein, egal, ob es zutrifft oder nicht. Nicht bei der Kernklientel, wohl aber bei dem einen oder anderen, der schwankt und mit einer Wahlentscheidung hadert. Und dieses Narrativ dürfte der Partei vor allem dort schaden, wo in diesem Jahr Landtage gewählt werden – in den vier westdeutschen Ländern. 

Daß auch dort eine möglicherweise bevorstehende Beobachtung durch den Verfassungsschutz mehr Zuspruch beim Wähler kosten kann, liegt auf der Hand. Im Osten der Republik dürfte sich das weit weniger auswirken. Sogar mit diesem Makel könnte die AfD mancherorts stärkste Kraft bleiben. Was Meuthen als Weg in Richtung Regionalpartei („Lega Ost“) andeutete, ist also nicht ganz von der Hand zu weisen. 

Er habe versucht, die AfD „in eine andere Richtung zu bewegen“ und sei damit gescheitert, sagte der nun Zurück- und Ausgetretene. Er folgt damit Bernd Lucke, Frauke Petry – und auch Konrad Adam. Der einzige, der nach seiner Amtszeit an der Spitze Parteimitglied blieb und es vom Ex- zum Ehrenvorsitzenden schaffte, ist Alexander Gauland. Vielleicht weil er Führung nur in homöopathischen Dosen verabreichte: Laufenlassen statt Kopf-durch-die-Wand. Vielleicht wäre in der Phase, in der sich die AfD derzeit befindet, ein drittes Konzept irgendwo dazwischen ganz angebracht.