© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 06/22 / 04. Februar 2022

„Ich bin ein nationaler Linker“
Uwe Steimle: Seit seinem Rauswurf beim MDR „funkt“ er erfolgreich auf Youtube. Als neuen Bundespräsidenten empfiehlt der Satiriker natürlich sich selbst – doch auch dem AfD-Überraschungskandidaten kann er etwas abgewinnen
Moritz Schwarz

Herr Steimle, am 13. Februar ist die Wahl des Bundespräsidenten. Wäre Max Otte der richtige Kandidat? 

Uwe Steimle: Ich denke schon, ihm ist Familie, Heimat und Nation wichtig, er hat Ahnung von Finanzen, vor allem aber will er Dialog statt Spaltung! Wobei, der 13. Februar, das ist ja nicht irgendein Tag, sondern der Tag, an dem ...

... ja?

Steimle: ... entschuldigen Sie ...

... Sie meinen, der Jahrestag der Vernichtung Dresdens? 

Steimle: ... da kommen mir schnell ...

Kein Problem ... nehmen Sie sich Zeit ...

Steimle: Was sind wir nur für ein Land ... in dem man nicht einmal mehr trauern darf?

Inwiefern?

Steimle: Ohne daß einem vorgeworfen wird, „Täter zu Opfern“ zu machen, Leute die Bombardierung als „Sieg“ feiern, die Gedenkstätten zerstören und öffentlich höhnen: „Bomber Harris do it again!“ Das wäre etwa ein Thema, für das Max Otte sicher die angemessene Sensibilität hätte.

Sie kennen sich privat?

Steimle: Schon seit Jahren, er war bei mir zu Besuch, auch in meiner Sendung, wir haben zusammen getrunken und gesungen, er spielt ja schön Gitarre und singt Freiheitslieder. Wir sind beide tief verwurzelt, keine Flachwurzler, die schnell umfallen. Er hat ein ganz wunderbares Buch geschrieben „Auf der Suche nach dem verlorenen Deutschland“, in dem er es ähnlich gemacht hat wie ich, nämlich der Frage nachzugehen, wo kommen wir her? Wie war unsere Kindheit? Womit haben wir gespielt? Was gegessen? Hat Oma uns gestreichelt? Und so weiter. Also all die in Wahrheit wichtigen Fragen. 

Ihr Kandidat wäre also nicht der der Linkspartei, der Mainzer Sozialmediziner Gerhard Trabert?

Steimle: Sie meinen, wenn ich wählen dürfte? Dann würde ich natürlich mich wählen, denn selbstverständlich bin ich der richtige Kandidat! Im Ernst: Herrn Trabert kenne ich kaum, ich weiß gerade mal, daß er sich für mehr soziale Gerechtigkeit einsetzen will – was ich sehr gut finde! 

Bei der Wahl 2009 hatte Sie die Linkspartei als einen ihrer Wahlmänner in die Bundesversammlung berufen.

Steimle: Ja, aber unser Kandidat, der Schauspieler Peter Sodann, war leider chancenlos. Doch war es eine würdige Veranstaltung – ich muß sagen, es gibt doch Sachen in der Bundesrepublik, die beeindrucken. Wobei das Beeindruckendste nicht die Wahl war, sondern daß ich dort Justin Sonder kennenlernen durfte, der als deutscher Jude im KZ Auschwitz sage und schreibe 16 Selektionen überlebte! Und der trotzdem, bis zu seinem Tode 2020, liebevoll mit seinen Landsleuten umgegangen ist und der jungen Generation unermüdlich erklärte, daß es nie wieder Krieg geben darf, und dessen sächsische Abschiedsworte stets waren: „Und baßd mir ja off, daß ihr anschdändsche Deudsche werd!“ Großartig!

Heute beruft die Linke Sie allerdings nicht mehr.

Steimle: Ich habe ja keinen Anspruch darauf, jedesmal dabei zu sein. Aber wer weiß, vielleicht in Zukunft wieder?

Die Linke würde Sie heute doch nicht einmal mehr mit der Kneifzange anfassen, oder?

Steimle: Für einen Teil der Partei mag das stimmen, aber mit einem anderen Teil bin ich weiter in gutem Kontakt. Und das zu Recht, denn ich bin ein Linker! Ein Linksnationaler, um genau zu sein, wie der berühmte griechische Linke Mikis Theodorakis.

Linksnational gilt in Deutschland auch als „rechts“. 

Steimle: Was völliger Unsinn ist! War die DDR rechts? Dort wurden Familie, Nation, Vaterland und die deutsche Geschichte wertgeschätzt, da galten Traditionen wie Theodor Körner oder die Befreiungskriege noch etwas. Ja, gerade aus linker Sicht beharre ich auf der Nation! Denn nur die Nationen sind heute der Garant für den Frieden! 

Wieso das?

Steimle: In der Menschheitsgeschichte ging es erst Sippe gegen Sippe, dann Stamm gegen Stamm, Völkerschaften gegen Völkerschaften ... und irgendwann Nationen gegen Nationen. Aber das ist in Europa vorbei, heute sind es Blöcke oder Interessengruppen, die Kriege anzetteln. Die Nationen dagegen wollen Frieden. Oder glauben Sie, die Russen möchten Krieg? Die amerikanischen Bürger auch nicht, wohl aber die, die am Krieg verdienen, die Globalisten, die internationalen Konzerne, der militärisch-industrielle Komplex – die, die etwa bestimmen, wer in den USA Präsident wird. „Politiker sind nur die Spaßabteilung der Rüstungsindustrie“ – nicht von mir, von Frank Zappa.

Sicher haben Lobbys enormen Einfluß auf die Kandidatenaufstellung, allerdings, die Wahl liegt beim Volk.

Steimle: Ja, aber der öffentliche Diskurs wird doch gesteuert, und zwar unter anderem von jenen Globalisten, denen sich meine Linken, zumindest zum Teil, inzwischen an den Hals werfen. Und da sage ich, nein! Denn jemand wie etwa Sinilowitsch Raskowski, also Joe Biden, der unter Obama an Kriegen beteiligt war, ist für mich unwählbar! 

Wie kommt es, daß die Linke das tut? 

Steimle: Zum einen, weil sie mitregieren wollte, auf Rot-Rot-Grün gehofft hat. Zum anderen weil die politische Linke generell in großen Teilen ihre große historische Tugend, die Systemkritik, aufgegeben hat. Früher hat sie echte Probleme analysiert, Armut, Ausbeutung, den kapitalistischen Produktionswahn des Immer-mehr! Heute kümmert sie sich vor allem um bessere Karrierechancen für Top-Managerinnen, bequemere Möglichkeiten für weibliche und farbige Akademiker, öffentlich-rechtliche Journalisten, Hollywoodschauspieler und andere Privilegierte. Oder wie unlängst in Leipzig darum, ob transsexuelle Verdächtige bei einer Festnahme wählen dürfen, von männlichen oder nur von weiblichen Polizisten durchsucht zu werden. 

Sie meinen, die Linke ist nicht mehr links? 

Steimle: Zum großen Teil nicht mehr, denn der Mehrheit geht es heute nicht mehr um den linken Traum, Ausbeutung zu beenden, nach Bedarf, statt nach Gewinn zu produzieren, Demokratie statt Ausgrenzung Andersdenkender durchzusetzen und vor allem, den Frieden zu sichern, in dem es unmöglich gemacht wird, von Kriegen zu profitieren. Das ist links! Aber das interessiert heute leider nur noch Leute wie etwa Gregor Gysi, Sahra Wagenknecht, Dirk Roßmann oder auch Max Otte.

Statt Otte oder Trabert wird erneut Frank-Walter Steinmeier Bundespräsident, das ist schon ausgekungelt.

Steimle: Hat Frank-Spalter Steinmeier nicht unlängst gesagt, „die“ lehnten „unsere“ Demokratie ab? Und ich dachte immer, es sei die Demokratie aller Bürger und nicht nur die der Seinen. Doch ich kenne das noch aus der DDR, wo so auch alle, die eine abweichende Meinung hatten, ausgegrenzt wurden. Es ist immer dasselbe: die, die am lautesten „Sozialismus!“, heute „Demokratie!“ trompeten, sind in Wahrheit die größten Spalter. Eigentlich sollten nicht nur CDU und SPD, sondern auch FDP, Grüne und Teile der Linken sich von vornherein auf einen Kandidaten einigen. Das wäre ehrlicher, sie sind sowieso kaum noch zu unterscheiden. Ich bin aber für die Direktwahl des Bundespräsidenten, denn schließlich sind wir das Volk – manche sogar Volker. Aber das ist natürlich nicht gewollt, da die Politik weiß, daß dann nicht mehr ihr Personal, sondern ganz andere in das Amt kämen. 

Würde dann nicht Karl Lauterbach gewählt? 

Steimle: Was? Nein! Aber ich stelle fest, Sie können Kabarett. Darauf einen Lauterbach, Prost!

Im Ernst, er ist derzeit der beliebteste Politiker.

Steimle: Angela Merkel war auch die „beliebteste Politikerin“ ... und Erich Honecker ... alles klar ...  

Sie meinen, die Umfragen sind gefälscht?

Steimle: Trau keiner Statistik, die du nicht selbst ... 

Halt, haben Sie Beweise? Sonst ist das Unterstellung!

Steimle: Wissen Sie, ich glaube das einfach nicht!  Und hätten wir vor dreißig Jahren gewußt, wie es hier und heute abgeht, wir hätten nochmal vierzig Jahre durchgehalten! Denn das hier ist doch nichts weiter als eine inszenierte Mediendemokratie.

Was meinen Sie? 

Steimle: Lesen Sie Bärbel Bohleys absolut großartigen Text „Das ständige Lügen wird wiederkommen“! Ich zitiere daraus: „Die ... Stasi-Strukturen, (ihre) Methoden ... All das wird in falsche Hände geraten. Man wird sie ein wenig adaptieren, damit sie zu einer freien, westlichen Gesellschaft passen. Man wird Störer nicht unbedingt verhaften, es gibt feinere Möglichkeiten, unschädlich zu machen. Aber die geheimen Verbote, das Beobachten, der Argwohn, die Angst, das Isolieren, Ausgrenzen, Brandmarken und Mundtotmachen, derer, die sich nicht anpassen, wird wiederkommen. Glaubt mir, man wird Einrichtungen schaffen, die viel effektiver arbeiten, viel feiner als die Stasi. Auch das ständige Lügen wird wiederkommen, die Desinformation und der Nebel, in dem alles seine Kontur verliert.“

Absolut treffend. Dennoch gibt es aber etwa freie Wahlen, noch halbwegs unabhängige Gerichte etc.

Steimle: Das stimmt, ich war selbst vor Gericht, hatte einen guten Ausgang ausgeschlossen – den es zu meiner Verblüffung dann aber doch gab. Was ich meine, ist, daß es keine freie öffentliche Meinung gibt. Diese ist nur die von Journalisten und einigen anderen, die voneinander abschreiben – was dann als die öffentliche Meinung ausgegeben wird. 

Waren Sie nicht auch mal einer davon? 

Steimle: Ich sage klar, daß ich dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk nicht nur sehr viel verdanke, sondern trotz allem dafür bis heute auch wirklich noch dankbar bin! Aber irgendwann wurde ich erstmals, später vollständig entfernt. Denn erst war ich in den Augen einiger dort ein linkes Schwein, später in den Augen anderer eine rechte Sau. Wobei ich sagen würde, ich bin mir einfach immer treu geblieben.

Seit Ihrem Rauswurf machen Sie Ihr Programm auf Youtube, etwa wöchentlich „Steimles Aktuelle Kamera“. Nun wurde Ihr Kanal gelöscht, war aber anderntags schon wieder da. Also alles nicht so schlimm?

Steimle: Überhaupt nicht, denn das eine wie das andere ist die reine Willkür! Ich erfuhr nur, ich hätte gegen die Richtlinie „Cybermobbing“ verstoßen, doch nicht wie und mit was – aber von wegen, genau dieses Vorgehen nenne ich Cybermobbing! Wissen Sie, hatte ich als Kind etwas ausgefressen, gab’s von Mutti eine Backpfeife mit den Worten: „Du weißt wofür!“ Doch das wußte ich eben nicht, welche meiner Taten war es nun? In der DDR – was nicht heißt, daß sie besser war – wurde man von der Stasi „zur Klärung eines Sachverhalts“ abgeholt und dann mit etwas Konkretem konfrontiert. Heute aber wird einem etwas Konkretes gar nicht vorgeworfen, man wird im unklaren gelassen. So fängt man an, sich selbst zu zensieren, da man denkt: vielleicht war es das oder das oder das ... was man dann alles lieber nicht mehr sagt oder macht, um nicht erneut gelöscht zu werden. Und dennoch lebt man natürlich weiter, ständig in genau dieser Angst. Das ist „Zersetzung“, wie sich diese Strategie bei der Stasi nannte. Aber ich bin ja Überlebender der Wende und werde mich auch davon nicht kleinkriegen lassen und auf Youtube weiter die Dinge auf humorige Art hinterfragen. Denn, so Peter Ustinov: „Wer nicht zweifelt – der ist verrückt!“






Uwe Steimle, der geschaßte Schauspieler, Komiker und Autor, geboren 1963 in Dresden, sendet auf seinem Youtube-Kanal „Steimles Welt“ (75.000 Abonnenten) mit Formaten wie „Aktuelle Kamera“, „Steimles Café“ oder „Im Gespräch“ unverdrossen gegen den Zeitgeist. Im März erscheint sein neues Buch „Uwe Steimles Aktuelle Kamera“. 

Foto: Kabarettist Steimle: „Selbstverständlich bin ich der richtige Kandidat!“