© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 06/22 / 04. Februar 2022

Sehr teuer, aber ziemlich nutzlos
Corona-Nachverfolgung: Immer mehr Bundesländer kündigen den Vertrag mit der „Luca-App“/ Gesundheitsämter fragen kaum Daten ab
Paul Rosen

Die Corona-Pandemie breitet sich immer mehr aus; aber exakte Zahlen über das Ausmaß des Infektionsgeschehens, über Krankheitsverläufe und Impfquoten gibt es nicht. „Was von Beginn an überhaupt nicht funktioniert hat, und es auch bis heute nicht zufriedenstellend tut, ist eine aussagekräftige, eine verläßliche Datenlage“, kritisiert Professor Jonas Schmidt-Chanasit vom Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin in Hamburg. Schmidt-Chanasit spricht damit etwas an, was man als das deutsche digitale Desaster bezeichnen kann. 

Wenn es um Informationstechnologie geht, spielt Deutschland kaum noch eine Rolle. So hat die sogenannte Luca-App zur Kontakterfassung zu keinem Zeitpunkt die gewünschten Ergebnisse gebracht und wurde kaum zur Nachverfolgung genutzt. Der gerade laufende Ausstieg von 13 Bundesländern (zuletzt Bayern, Hessen und Sachsen-Anhalt) aus den Verträgen mit dem Entwickler der Luca-App ist nur folgerichtig. Die auf dem Handy zu installierende Luca-App (Kosten rund 20 Millionen Euro) sollte dazu dienen, die Erfassung von Kontaktdaten in Restaurants und öffentlichen Einrichtungen zu vereinfachen. 

Im Fall von Corona-Infektionen sollten die Gesundheitsämter die Daten anderer Gäste und Besucher abfragen und die Betroffenen kontaktieren können. Schon im vergangenen Jahr stellte sich heraus, daß die Hälfte von rund 200 befragten Gesundheitsämtern Daten der Luca-App nie genutzt hatte. Teilweise waren die Daten auch unbrauchbar. Zudem ist die Digitalisierung in den Gesundheitsämtern unterentwickelt. Bevorzugter Meldeweg ist das Faxgerät. Dafür nutzten Sicherheitsbehörden gesammelte Daten für andere Zwecke (JF 4/22).   

Genervte Nutzer löschen die Handy-App

Der bayerische Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) setzt jetzt wie viele seiner Länderkollegen auf die Nutzung der Corona-Warn-App (CWA) des Bundes, die von den Konzernen SAP und Telekom entwickelt wurde, 130 Millionen Euro kostete und auch Funktionen der Luca-App bekommen hat: „Die Corona-Warn-App stärkt die in der aktuellen Omikronwelle mit hohen Infektionsraten besonders wichtige Eigenverantwortung jedes einzelnen, denn sie versetzt die Nutzer in die Lage, sich unverzüglich selbst wirksam zu schützen und andere zu warnen.“ Genau das ist aber das Problem. Durch mehrere  Untersuchungen wurde inzwischen bekannt, daß nicht einmal die Hälfte der Nutzer von Luca und CWA ein positives Corona-Testergebnis eingetragen hatte und somit die Warn-App eine trügerische Sicherheit vorspiegelte (das Eintragen von Testergebnissen erfolgt freiwillig).

Seit dem Aufkommen der Omikron-Virusvariante mit einem massiven Anstieg der Infektionszahlen hat sich das komplett gedreht: Jetzt warnt die App pausenlos wegen Kontakten mit Infizierten. Viele genervte Nutzer warfen die App vom Handy. Andere verzichteten darauf, sich bei den Gesundheitsämtern zu melden. Die sind aber ohnehin völlig überlastet. Im Normalfall sollen die Ämter prüfen, ob ein PCR-Test bei dem per App gewarnten Bürger vorgenommen werden soll. Aber die Labore sind genauso überlastet wie die Gesundheitsämter. Trotz dieser bekannten Probleme ist sich Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) sicher: „Die Corona-Warn-App tut jetzt ihren Dienst.“ Dies gelte auch, wenn sie wegen Omikron oft anschlage. Die genutzte Technik verfälscht die Ergebnisse: Die Corana-Warn-App nutzt den für kurze Distanzen entwickelten Funkstandard Bluetooth zur Kontaktaufnahme mit Handys von Corona-Infizierten. Eine britische Untersuchung kam zum Ergebnis, daß die Bluetooth-Signale der Apps auch durch Wände und durch Glasscheiben gehen und Kontakte mit Infizierten anzeigen, die gar nicht stattgefunden haben.

Daß es in Deutschland nicht gelungen ist, trotz des Einsatzes von Millionenbeträgen und Einbindung von Großkonzernen, zuverlässig funktionierende Apps zu entwickeln, zeigt die technische Rückständigkeit des Landes. In Zahlen ausgedrückt: Im Digitalisierungs-Ranking des European Center for Digital Competitiveness in Berlin landete Deutschland unter den 20 führenden Industrieländern auf dem drittletzten Platz.