© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 06/22 / 04. Februar 2022

Er ist dann auch mal weg
AfD: Jörg Meuthen reiht sich in die Riege seiner Vorgänger ein, indem er als Vorsitzender zurück- und aus der Partei austritt
Christian Vollradt

Der bisherige Co- und nunmehr alleinige Bundesvorsitzende der AfD, Tino Chrupalla, gab sich geradezu erleichtert, als er in den Fernsehnachrichen kommentieren sollte, was am vergangenen Freitag mittag für Eilmeldungen sorgte: „Insgesamt hat Jörg Meuthen mit dem heutigen Tage die Spaltung der AfD beendet.“ Er, Chrupalla, werde die Partei jetzt „zusammenführen, zusammenhalten“. Man habe schon einige Austritte verkraftet. 

Meuthen, seit Juli 2015 einer von zwei Parteichefs der AfD, zuletzt 2019 mit fast 70 Prozent der Stimmen gewählt, hatte mit sofortiger Wirkung den Vorsitz niedergelegt und der Partei den Rücken gekehrt. Der AfD attestierte er, ihr Herz schlage mittlerweile sehr weit rechts. Teile der AfD stünden zudem „nicht auf dem Boden der freiheitlich demokratischen Grundordnung“. Er sehe da „ganz klar totalitäre Anklänge“. Zugleich räumte der Europaabgeordnete seine Niederlage im internen Machtkampf mit dem formal aufgelösten „Flügel“ um die Ausrichtung der AfD ein.

„Kritik an Kollegen war wenig konstruktiv“

Der Schritt sei ihm „nach all den Jahren und ungezählten Tausenden an ehrenamtlichen Arbeitsstunden“ nicht leichtgefallen, schrieb Meuthen in einer persönlcihen Erklärung. Seine Warnungen vor den „Gefahren einer zunehmenden Radikalisierung“ und sein Werben für einen „maßvollen Kurs der Partei“ seien nicht durchgedrungen, so sein Resümee. Für manchen in der Partei kam der Schritt indes nicht überraschend. Meuthen habe jüngst zahlreiche Niederlagen kassiert. Zuletzt etwa die Nominierung von Max Otte als Bundespräsidenten-Kandidat (JF 5/22), die gegen seinen Willen erfolgte. Immer wieder habe er Entscheidungen der Partei öffentlich kritisiert, auch sein Auftritt nach der Bundestagswahl (JF 40/21) sei als „Querschuß“ verstanden worden. Und so soll die verbliebene Parteispitze am Freitag relativ schnell zur Tagesordnung übergegangen sein. Als sich der Ehrenvorsitzende Alexander Gauland an die zwei ebenfalls im Bundesvorstand sitzenden Europaabgeordneten Sylvia Limmer und Joachim Kuhs mit der Frage wandte, ob sie auch vorhätten zu gehen, sollen beide das vehement von sich gewiesen haben. Offiziell nahm man den Fortgang „mit Bedauern“ zur Kenntnis. „Wir bedanken uns für die gute Zusammenarbeit in den vergangenen Jahren und den Einsatz von Jörg Meuthen für die Weiterentwicklung der AfD als einzige Oppositionspartei in Deutschland. Für seine weitere Zukunft wünschen wir ihm alles Gute“, hieß es in einer kurzen Mitteilung.

Die Vorwürfe des Ex-Vorsitzenden und Ex-Mitglieds wies man zurück. Es gebe keinen Rechtsruck, sagte etwa die Bundestagsabgeordnete Joana Cotar dem Deutschlandfunk. Der größte Teil der Partei sei freiheitlich-konservativ eingestellt. Cotar, Beisitzerin im Bundesvorstand  hatte sich im Sommer als Spitzenkandidatin für die AfD zur Bundestagswahl beworben, war aber gegen Alice Weidel und Tino Chrupalla unterlegen. Sie galt damals als Favoritin Meuthens.

Erleichterung war dort zu spüren, wo Meuthen schon länger nicht mehr wohlgelitten war. Die AfD Sachsen teilte mit, sein Abgang sei kein großer Verlust. Der frühere Vorsitzende habe sich zuletzt mit Alleingängen zunehmend isoliert. „Seine regelmäßige Kritik an Parteikollegen über die Medien war wenig konstruktiv und hat mehr und mehr Schaden angerichtet. Daß Meuthen nun der AfD einen zunehmenden Rechtskurs unterstellt, war erwartbar, ist aber lediglich Kalkül, um von der eigenen politischen Schwäche und mangelnden Integrationskraft abzulenken.“

Auch der Landesvorsitzende der AfD-Mecklenburg-Vorpommern, Leif-Erik Holm, zeigte sich von Meuthens Entscheidung wenig überrascht. „Meuthens Entfremdung von der Partei war schon eine Weile zu spüren“, hieß es in einer Mitteilung. „Man muß es leider sagen: Meuthen hat sich zuletzt innerparteilich und auch in der Öffentlichkeit wie die Axt im Walde benommen, so daß auch bislang enge Vertraute von ihm abrückten.“ Es sei kein guter Stil, den Abgang mit einem angeblichen Rechtsruck zu begründen. Dabei handle es sich um die „immer gleiche unwahre Geschichte.“

Selbst wer sich dem Lager des langjährigen Vorsitzenden zurechnete, zeigte sich enttäuscht. Vieles, was Meuthen zuletzt äußerte, habe „irgendwie destruktiv“ gewirkt, meint ein Funktionär. Ja, es habe viele Verletzungen bei ihm gegeben, das sei spürbar geworden. „Manchmal habe es so gewirkt, als ginge es ihm nur noch darum, Alice Weidel zu beschädigen.“

Deutliche Kritik äußerte auch Bundesvorstandsmitglied Alexander Wolf. „Meuthen ist gescheitert – aber nicht politisch, sondern aus persönlichen Gründen“, sagte er der JUNGEN FREIHEIT. Der Hamburger Bürgerschaftsabgeordnete spricht von einem „destruktiven Ego-Trip“. Meuthen sei zunehmend isoliert gewesen, weil er sich nicht abstimmte und immer mehr seine persönlichen Befindlichkeiten über die Sache stellte.“ Wolf versicherte, die AfD fahre weiter auf einem bürgerlich-freiheitlich-konservativen Kurs. 

„Doppelspitze hat ihre Berechtigung verloren“

Meuthen habe „in der jüngsten Zeit keine inhaltlichen Impulse gesetzt“, kritisierte Bundesvorstandsmitglied Joachim Paul gegenüber der JF. „Es war wie bei einem Fußballspieler, der nur eine wesentliche Gabe hat – den Torschuß –, aber anderes nicht mehr ausreichend trainiert. Und so hat Jörg Meuthen das Netzwerken und die inhaltliche Arbeit vernachlässigt.“ Andere Parteimitglieder äußern sich zuweilen schon besorgt darüber, daß erneut ein Vorsitzender von der Fahne gegangen ist. Das müsse als „Warnschuß“ begriffen werden.

Thüringens Landes- und Fraktionsvorsitzender Björn Höcke, der 2020 auf Initiative Meuthens den „Flügel“ offiziell hat auflösen müssen, teilte am Freitag auf Twitter mit, er respektiere die Entscheidung des Ex-Parteifreunds „und wünsche ihm privat und beruflich die Zufriedenheit, die er in der Partei nicht finden konnte“. Der ebenfalls zum rechten Flügel zählende sachsen-anhaltische Landtagsabgeordnete Hans-Thomas Tillschneider zählte die Namen Lucke, Petry und Meuthen auf und schrieb in diesem Zusammenhang: „Wenn wir nicht immer wieder der Hydra den Kopf abschlagen wollen, sollten wir die Strukturen beseitigen, die dergleichen hervorbringen. Der Schoß ist fruchtbar noch.“ Sein Magdeburger Fraktionskollege Ulrich Siegmund meinte: „Die Art und Weise wie Meuthen abtritt, läßt für mich nur eine einzig logische Schlußfolgerung zu: Die AfD hat einen V-Mann weniger in ihren Reihen.“

Unterdessen warf die Vorsitzende der parteinahen Desiderius-Erasmus-Stiftung und frühere CDU-Bundestagsabgeordnete Erika Steinbach hingegen Meuthen einen „bewußt zerstörerischen Austritt“ vor. Dies sei ein Schlag ins Gesicht von vielen, die hinter ihm gestanden hätten, beklagte Steinbach auf Twitter. Als Reaktion darauf habe sie sich nun entschieden, in die AfD einzutreten, schrieb Steinbach. Eigentlich habe sie nach ihrem Austritt aus der CDU 2017 keiner Partei mehr beitreten wollen. Der „indiskutable Umgang von Politik und Medien mit der AfD“ sowie der „unfaire Austritt“ Meuthens hätten sie nun aber zum Umdenken bewegt.

Angesichts von Meuthens Rück- und Austritt zeige es sich, wie wichtig es sei, daß die AfD zwei Vorsitzende habe, meinte der Verbliebene Chrupalla im ZDF. Denn wenn einer „schwächelt“, stehe der andere bereit. Genau den gegenteiligen Schluß zieht der bisherige nordrhein-westfälische Landesvorsitzende Rüdiger Lucassen. „Die Doppelspitze hatte ihre Berechtigung, ist heute aber nicht mehr in der Lage, die AfD in Richtung Erfolg zu führen“, sagte er der jungen freiheit. „Unsere Partei muß jetzt einen deutlichen Schritt nach vorn gehen und Innovationskraft entfalten. Wir müssen strategiefähiger werden. Klare Vorgaben bei Themen mit Außenwirkung und klare Verantwortung bei Funktionsträgern“, forderte Lucassen, dessen Name immer wieder fällt, wenn es um mögliche Nachfolger an der Spitze der AfD geht. 

Meuthen deutete unterdessen die Gründung einer neuen Partei an. Derzeit führe er „viele Gespräche mit interessanten Menschen, die die Lücke zwischen einer nach links weggerutschten CDU und einer nach rechts weggerutschten AfD füllen können“, sagte Meuthen dem Cicero. Auch damit würde er sich in die Tradition seiner Vorgänger Bernd Lucke (Liberal-Konservative Reformer) und Frauke Petry (Die Blauen) einreihen. Ob auch hinsichtlich der Wahlergebnisse (LKR zuletzt 0,02 Prozent) bleibt indes noch offen.

Meinungsbeitrag Seite 2

Foto: Jörg Meuthen mit Tino Chrupalla und Alice Weidel nach der Bundestagswahl 2021: Noch zusammen, aber schon getrennt