© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 06/22 / 04. Februar 2022

Borna, Bautzen, Berlin
Impfpflicht in der Pflege: Kommunen fordern Klarheit
Paul Leonhard

Gesund, getestet, gefeuert. Keine Impfpflicht im Gesundheitswesen!“ – so steht es auf den Plakaten. Und der Schicksalstag ist der 15. März. Ab diesem Tag müssen Beschäftigte in Einrichtungen mit schutzbedürftigen Menschen wie Kliniken und Pflegeheime nachweisen, daß sie gegen Corona geimpft oder von Corona genesen sind. Diese „einrichtungsbezogene Coronaimpfpflicht“ wurde vom Bundestag Mitte Dezember beschlossen, und seitdem vergeht keine Woche, in der Mitarbeiter des Gesundheitswesens dagegen lautstark demonstrieren. Die Proteste sind so massiv, daß Politiker reihenweise einknicken. 

Versorgung der Patienten muß gesichert bleiben

Einer davon ist der Vize-Landrat des zweisprachigen Landkreises Bautzen, des Zentrums der slawischen Minderheit der Sorben. Sein Landkreis werde die Impfpflicht nicht umsetzen, verspricht Udo Witschas den Teilnehmern der von Krankenschwestern angemeldeten Demo mit rund 2.000 Teilnehmern: Sein Gesundheitsamt werde „in der Pflege und im medizinischen Bereich kein Berufsverbot aussprechen“, versichert der Christdemokrat und erntet dafür viel Beifall vor Ort, aber bereits wenige Stunden später gewaltige Schelte in den Medien. Dabei hatte Witschas nur das öffentlich gemacht, was sein Chef und Parteifreund Landrat Michael Harig in einem Brief an den sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer (CDU) in aller Deutlichkeit geschrieben hatte: daß eine „konsequente Umsetzung“ der Impfpflicht „erkennbar zu größeren Problemen in der Versorgung und Betreuung hilfsbedürftiger Menschen führen“ würde. Es droht ein Versorgungsnotstand.

Während sich die Medien auf Witschas einschossen und der schon einen halben Rückzieher startet  und seiner Aussage das Wort „können“ nachschiebt, immerhin will er auf CDU-Ticket bei den anstehenden Landratswahlen den Amtsinhaber beerben, kam unverhoffte Rückendeckung nicht nur aus anderen Landkreisen des Freistaates wie Torgau, Borna, Leipzig und Nordsachsen, sondern auch aus Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern. So teilte der Landkreis Vorpommern-Greifswald mit, wenn auch etwas verklausuliert, die berufsbezogene Impfpflicht sei nicht durchsetzbar. Eine Kontrolle und Durchsetzung der Impfpflicht für Mitarbeiter von Pflegeheimen und Krankenhäusern sei praktisch nicht erfüllbar, sagte Landkreissprecher Achim Froitzheim. Man warte auf konkrete Anweisungen aus Stralsund oder Berlin.

Ähnliche Meldungen gab es aus den anderen Kreisen des norddeutschen Bundeslandes unter Verweis auf die bereits jetzt überlasteten Gesundheitsämter, wie der Landkreistag in einem Schreiben an Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) mitteilte. Aus Sachsen-Anhalt fordert Michael Ziche (CDU), Präsident des Landkreistages und Landrat des Altmarkkreises Salzwedel, Berlin auf, den Gesundheitsämtern „rechtssicher Ermessungsspielraum zur Umsetzung der Impfpflicht“ zu ermöglichen.

Dabei ist allen Beteiligten klar, daß die chronisch unterbesetzten Kliniken und Pflegeheime komplett handlungsunfähig würden, wenn gegenüber den ungeimpften Mitarbeitern tatsächlich Tätigkeitsverbote ausgesprochen und Bußgeldverfahren eingeleitet würden. Die ohnehin schlecht bezahlten Betroffenen könnten einfach in andere Bereiche der Volkswirtschaft abwandern. 

Die Drohgebärde des Staates dürfte so letztlich ins Leere laufen, was auch Bautzens Landrat Harig klar ist, der – politisch erfahrener als sein Vize – auf den Ermessungsspielraum setzt. Dieser Interpretation folgt auch Henry Graichen, Landrat des Landkreises Leipzig. Die Versorgungssicherheit der Pflegebedürftigen müsse gewährleistet bleiben. Auch andere Landräte stellen die Umsetzbarkeit in Frage. Der Sächsische Landkreistag hält eine Impfpflicht in den medizinischen und pflegerischen Bereichen ohnehin derzeit für nicht umsetzbar. Selbst Sachsens Gesundheitsministerin Petra Köpping (SPD) spricht inzwischen von Ausnahmen, bis Pflegepersonal mit einem Totimpfstoff geimpft ist oder neues geimpftes Personal eingestellt“ werden kann. 

Foto: Teilnehmer einer Demonstration unter dem Motto „Nein zum Impfzwang!“: Die schon jetzt ohnehin chronisch unterbesetzten Kliniken und Pflegeheime würden komplett handlungsunfähig