© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 06/22 / 04. Februar 2022

Denken heißt frei sein
Kanada: Psycholge Jordan B. Peterson rechnet mit der woken Ideologie ab und wagt Neues
Liz Roth

Welch Abgang. „Was in aller Welt ist los mit euch?“, rechnete der kanadische Psychologieprofessor Jordan B. Peterson öffentlich mit seiner Universität ab und verkündete vor seinem 60. Geburtstag die Aufgabe seiner Lehrtätigkeit. „Ich hatte mir vorgestellt, Vollzeit an der Universität von Toronto zu lehren und zu forschen, bis sie mein Skelett aus meinem Büro schleppen müssen“, schreibt er in der Tageszeitung National Post. 

Es ist eine öffentliche Abrechnung mit dem System. Peterson war 2016 durch seine Proteste gegen ein kanadisches Gesetz weltweit bekannt geworden, welches strafrechtliche Konsequenzen bestimmt und seiner Meinung nach zu Gefängnisstrafen führen könnte, wenn jemand nicht die von einer Person bevorzugten Pronomen verwenden würde. Er nannte es „gesellschaftlichen Selbstmord“, die Sprache so erzwingen zu wollen. Es hagelte Kritik und die New York Times erklärte ihn zum „Hüter des Patriarchats“, besonders weil Petersons Vorstellungen über Familie, Ehe, Mann und Frau eine konservative Note haben. Er beschreibt sich selbst als liberal und gesteht, daß seine Ansichten in seiner Jugend sozialistisch angehaucht waren. 

Er trifft den Zeitgeist. Sein Buch „12 Rules for Life: Ordnung und Struktur in einer chaotischen Welt“, in dem er Anweisungen für den Alltag gibt, hat sich bis heute über fünf Millionen Mal verkauft, und auch das Folgebuch „Jenseits der Ordnung“ war ein Bestseller. „Räum erstmal dein Zimmer auf, ehe du die Welt kritisierst“ oder „Gehe davon aus, daß die Person, mit der du sprichst, etwas weiß, was du nicht weißt“ gehören zu seinen grundlegenden Tips. In der Psychologie wird das, was Peterson lehrt, Selbstwirksamkeit genannt – der Glaube an die Fähigkeit, Ziele zu erreichen. 

In seiner Erklärung hebt er zwei Punkte hervor, die am Ende zu seiner Entscheidung geführt haben, die Universität von Toronto zu verlassen. Zum einen äußert er seine Frustration darüber, daß seine qualifizierten und hervorragend ausgebildeten heterosexuellen männlichen Doktoranden trotz hervorragendem wissenschaftlichem Leistungsausweis kaum eine Chance haben, eine Stelle in der universitären Forschung zu bekommen, und zwar aufgrund von Diversitätsvorgaben.

„Diese wurden in der akademischen Welt allgemein eingeführt, obwohl die Einstellungsausschüsse der Universitäten in all den Jahren meiner Laufbahn alles getan haben, um sicherzustellen, daß keine Kandidaten, die einer Minderheit angehören, übersehen werden“, schreibt Peterson. 

Das Ralston College will ein neues intellektuelles Klima schaffen  

Er beklagt auch, daß seine Studenten durch ihn Nachteile hätten, da er aufgrund seiner philosophischen Positionen eine „akademische Persona non grata“ geworden ist. „Diese Tatsachen machen meinen Job moralisch unhaltbar. Wie kann ich angehende Forscher mit gutem Gewissen annehmen und ausbilden, wenn ich weiß, daß ihre Beschäftigungsaussichten minimal sind?“ 

Zum anderen weist er auch auf andere Trends hin, die die akademische Welt „und in der Folge die allgemeine Kultur“ zerstören. Er nennt es die „Trinität der radikalen Linken“ an der Hochschule und ihre Besessenheit von „Diversity“ (Diversität), „Inclusivity“ (Inklusion) und „Equity“ (Egalität), die er einfach mit „DIE“ abkürzt. Laut Peterson führt „DIE“ zum Ende des objektiven Tests. „Wir sind jetzt an einem Punkt angelangt, an dem Rasse, ethnische Zugehörigkeit, Geschlecht oder sexuelle Präferenz erstens als das grundlegende Merkmal akzeptiert werden, das jeden Menschen definiert (genau wie die radikalen Linken gehofft hatten), und zweitens als wichtigste Qualifikation für Studium, Forschung und Beschäftigung behandelt werden“, so der Professor. Er beobachtet auch, daß seine Kollegen sich dem Gebot der Vielfalt beugen müssen, indem sie „DIE-Erklärungen“ verfassen, um Forschungsgelder zu erhalten. „Sie alle lügen (abgesehen von der Minderheit der wahren Gläubigen), und sie lehren ihre Studenten, dasselbe zu tun.“ 

Für Peterson ist die „Vielfaltsentwicklung“ erschreckend. „Einige meiner Kollegen lassen sich sogar sogenannte Vorurteilsbekämpfungsschulungen geben, die von höchst unqualifizierten Personalverantwortlichen durchgeführt werden, die unsinnig, fröhlich und anklagend über theoretisch allgegenwärtige rassistische, sexistische, heterosexistische Haltungen referieren. Eine solche Schulung ist heute oft eine Voraussetzung für die Besetzung einer Fakultätsstelle.“ Auch sieht er Gefahren für die Wirtschaft, wenn diese Doktrinen und Schulungen immer größeren Platz in der Unternehmenskultur finden. Für Peterson führt dies am Ende zur Zerstörung der westlichen Welt und ihrer Werte.

Doch das Ende in Toronto bedeutet nicht das Ende seiner Lehrtätigkeit. Er möchte weiterhin online unterrichten. Sein Youtube-Kanal hat bereits 4,5 Millionen Abonnenten, und seine Vorlesungen und sein Podcast über die Alltägliches werden millionenfach geschaut. Peterson ist einer der Mitbegründer des Ralston College in Savannah im US-Bundestaat Georgia, das unter dem Motto „Denken heißt frei sein“ ein neues intellektuelles Klima schaffen will. Dort können sich Studenten in digitalen Kursen und vor Ort frei und ohne politisches Dogma in den Humanwissenschaften weiterbilden. 

Im einem fast viereinhalbstündigen Gespräch mit dem populären Podcaster Joe Rogan, dessen Programm von bis zu 50 Millionen Menschen gehört wird, verriet Peterson, daß er Musik aufgenommen hat und während einer langen Krankheit im Jahr 2020 düstere Gedichte geschrieben hat, die bald veröffentlicht werden sollen. Er arbeitet auch an einem neuen Buch, das sich mit dem Thema Schuld auseinandersetzt, und Kinderbücher sind ebenfalls geplant.

 www.ralston.ac

Foto: Jordan B. Peterson: „Einige meiner Kollegen lassen sich sogar sogenannte Vorurteilsbekämpfungsschulungen geben“