© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 06/22 / 04. Februar 2022

GegenAufklärung
Kolumne
Karlheinz Weißmann

Die Frankfurter Allgemeine Zeitung hat in ihrer Ausgabe vom 25. Januar einen Leitartikel aus der Feder Marlene Grunerts („Extremisten im Staatsdienst“) abgedruckt, der den vor fünfzig Jahren in Kraft getretenen Extremistenbeschluß zum Thema hat. Überzeugend wirkt der allerdings nicht. Zu den Schwächen der Argumentation gehört schon, daß Grunert nicht klar ist, daß der Begriff „Radikalenerlaß“ ebenso polemisch gemeint war wie die Bezeichnung „Berufsverbot“, und es bleibt offen, an welchem Maßstab gemessen sie den Extremistenbeschluß „nicht zu den Ruhmesblättern der sozialliberalen Koalition“ rechnen möchte. Wirklich verstörend wird es aber angesichts ihres Schulterschlusses mit Bundesinnenministerin Nancy Faeser, die den Öffentlichen Dienst von Rechtsextremisten unterwandert glaubt. Schon die geringe Anzahl der Richter, die Grunert in dem Zusammenhang nennen kann, spricht gegen eine Gefährdung durch Subversion, wie sie in den 1970er Jahren tatsächlich vorlag, als Linksextremisten massenhaft in den Öffentlichen Dienst einzutreten suchten. Daß das – auch und gerade im Hinblick auf die Justiz – durch den Extremistenbeschluß nicht effektiv zu verhindern war, steht auf einem anderen Blatt. Aber es würde ein Blick in die älteren Ausgaben der FAZ genügen, um sich klarzumachen, wo manch Richter oder Staatsanwalt politisch stand und steht, und daß, wenn es um partielle politische Blindheit geht, die regelmäßig das linke Auge erfaßt.

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„Der Wahn, Gott werde Wunderwerk verrichten/ An uns, derweil wir faul die Kniee beugen,/ Muß Reich und Staaten gar zu Grunde richten./ Wohl noth ist’s, vom Gebete nicht zu weichen,/ Und sinnlos sind, die sich zu stören freuen,/ Ein Volk in seinen heiligen Gebräuchen. ---/ Doch keiner sei so hirnlos ganz und gar/ Zu harren, wenn seinem Haus der Einsturz droht,/ Ob ihn ein Wunder rette vor Gefahr:/ Ihn hascht in den Ruinen Sturz der Tod.“ (Machiavelli, übersetzt von Georg Gottfried Gervinus)

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Angekommen: Nachdem das Harvard Catholic Center im vergangenen September einen bekennenden Atheisten für das Amt des Schatzmeisters der Universität nominiert hat, überraschte nun die Hochschule DePaul in Chicago – die größte der Vereinigten Staaten, die sich ausdrücklich als „katholisch“ bezeichnet – mit der Erklärung, daß die Verwaltung den Studenten künftig eine Auswahl von acht Geschlechtern biete, aber auch die Möglichkeit, sich gar nicht festzulegen.

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Rührend wird es immer dann, wenn die Regulatoren des Politisch-Korrekten von ihren Kritikern darauf hingewiesen werden, daß sie gegen ihre eigenen Prinzipien – etwa den Achtundsechziger-Slogan „Es ist verboten zu verbieten!“ – verstoßen. Diese Prinzipien waren nie etwas wert. Unduldsamkeit, Intoleranz, Haß auf Andersdenkende gehören zur DNA der politischen Linken seit je. Das konnte man schon an der berühmten „Free Speech“-Bewegung ablesen, die in den USA während der 1960er Jahre den Campus für die Agitation gegen den Vietnamkrieg nutzen wollte und sich über die Restriktionen der Universitätsleitungen empörte. Der Grundsatz „freier Rede“ galt aber nie für diejenigen, die die Position der Regierung zu verteidigen wagten. Meldeten sie sich zu Wort, wurden sie gnadenlos niedergebrüllt.

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Man legt einen Text Egon Flaigs kaum je unbelehrt zur Seite. Das gilt auch für den Essay, den er in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift Tumult veröffentlicht hat. Flaig befaßt sich da mit der Behauptung, daß bestimmte Aussagen – etwa die, daß eine funktionierende Demokratie Homogenität voraussetzt – als „gesichert rechtsextremistisch“ zu betrachten seien. In souveräner Weise legt er dar, daß solche Annahme unter anderem dazu führen müßte, die bedeutendsten deutsch-jüdischen Staatsrechtslehrer des 20. Jahrhunderts, Hermann Heller und Ernst

Fraenkel, als „Rechtsextremisten“ zu betrachten. Aber dabei beläßt Flaig es nicht, sondern fügt noch hinzu, daß große Teile des Kriterienkatalogs, mit dessen Hilfe der Verfassungsschutz Verfassungsfeindlichkeit bestimmt, auf „Begriffszerstörung“ beruhen, das heißt der systematischen Zerdehnung und Umdeutung bestimmter Termini, und daß der Hauptverantwortliche dafür unschwer dingfest gemacht werden könne: der Soziologe und Politologe Armin Pfahl-Traughber, der seit beinahe zwei Jahrzehnten Mitarbeiter des VS ausbildet.

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George Orwell, 1946: „Bücher würden in ihren Grundzügen von Bürokraten geplant, und würden durch so viele Hände gehen, daß sie nach ihrer Fertigstellung nicht mehr individuelles Produkt wären als ein Ford-Auto am Ende des Fließbands. Es versteht sich von selbst, daß alles, was so produziert wird, Müll wäre; aber alles, was kein Müll wäre, würde das Staatsgefüge gefährden. Was die erhaltene Literatur der Vergangenheit betrifft, so müßte sie unterdrückt oder zumindest aufwendig umgeschrieben werden.“

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Was den Abgang Meuthens betrifft: Immer wieder erstaunlich, wie wenig die Sache gilt, wie viel das Persönliche, im Hinblick auf Verletzungen, Enttäuschungen, andere negative Erfahrungen, aber vor allem die Aversionen, die tief verankert sind.

Die nächste „Gegenaufklärung“ des Historikers Karlheinz Weißmann erscheint am 18. Februar in der JF-Ausgabe 8/22.