© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 06/22 / 04. Februar 2022

Die Melkkuh Deutschland auf dem Weg zum gescheiterten Staat?
Sichtbar-gierige Hände
Siegfried Franke

Die von Adam Smith an einer Stelle im „Wohlstand der Nationen“ (1776) erwähnte „unsichtbare Hand“ wird überwiegend mit Häme bedacht. Dabei übersehen die Kritiker, daß Smith keineswegs mystische Kräfte für die Funktionsweise von Gesellschaft und Wirtschaft vermutete. Er wollte vielmehr bildhaft auf die überlegene Koordinations- und Korrekturfähigkeit hinweisen, die offenen Gesellschaften und freien Märkten im Verhältnis zu geplanten Systemen innewohnen.

Demgegenüber stellte er an anderer Stelle fest, daß es eine Fülle von sichtbar-gierigen Händen gibt, die Länder scheitern lassen: „Große Nationen werden niemals durch private, doch bisweilen durch öffentliche Verschwendung und Mißwirtschaft ruiniert. In den meisten Ländern werden nämlich alle oder nahezu alle öffentlichen Einnahmen dazu verwendet, um unproduktive Leute zu unterhalten.“ (Zitiert nach der Übersetzung von H. C. Recktenwald, Beck, 1974, S. 282)

Dazu schweigen die Kritiker für gewöhnlich, obwohl es offensichtlich ist, daß viele Hände sprichwörtlich danach gieren, „staatliche Knete abzugreifen“. So achtete die SPD stets darauf, daß bei der Zusammenarbeit mit den „Wohlfahrtsverbänden“ und „Genossenschaften“ auch die Taschen der Funktionäre gut gefüllt werden. Legendär waren etwa die Büroausstattung und der Lebensstil des ehemaligen Vorstandsvorsitzenden der Neuen Heimat, Albert Vietor. Daß Vietor und seine Vorstandskollegen es übertrieben und ihre Posten verloren, scheint im Laufe der Zeit in Vergessenheit geraten zu sein. Wie sonst wäre der Korruptionsskandal um die Arbeiterwohlfahrt in Frankfurt am Main zu erklären, in den – neben Funktionären auf kleiner und mittlerer Ebene – auch Oberbürgermeister Peter Feldmann (SPD) und seine ehemalige Frau verwickelt schienen? Ein Skandal, der immer noch der vollständigen Aufklärung harrt.

Dessen ungeachtet gedeiht die Kooperation mit ausgewählten Akteuren der Zivilgesellschaft und den jeweiligen Regierungen weiterhin recht üppig. Der Begriff „Zivilgesellschaft“ umfaßt jegliches Engagement von Bürgern eines Landes, das primär ehrenamtlich und überwiegend partei- und regierungsunabhängig erfolgt. Dennoch ist nicht zu leugnen, daß sich Regierungen und Parteien Hand in Hand mit interessierten Gruppen über die Jahre hinweg ein nahezu undurchdringliches Dickicht an Nichtregierungsorganisationen (NGOs), Stiftungen, Denkfabriken, Instituten oder ähnlichem geschaffen haben, um ideologische Zielsetzungen auf möglichst unauffällige Weise umsetzen zu können. Besonders perfide ist, daß sie einem Teil dieser Zivilgesellschaft eine höhere Stufe der Moral testieren, deren Arbeit staatliche Mittel rechtfertige. Daß einigen zudem das Verbandsklagerecht gesetzlich eingeräumt wurde, belegt, daß Politik und manche Akteure aus der Zivilgesellschaft sich in zentralen Bereichen zu einer nahezu symbiotischen Gemeinschaft verschmolzen haben. Ein markantes Beispiel dafür ist das dubiose Wirken der Deutschen Umwelthilfe e.V. mit ihrem Hauptsitz in Stuttgart.

Schon die vergangenen Regierungen unter Angela Merkel bedachten solche Organisationen, die sich die Gesinnungsschnüffelei zur Aufgabe gemacht haben, recht auskömmlich mit Finanzmitteln. Hingewiesen sei in diesem Zusammenhang auf die Amadeu-Antonio-Stiftung, die sich mit Anetta Kahane immer noch eine Vorsitzende des Stiftungsrates mit zweifelhafter Stasi-Vergangenheit leistet. Mit Bezug auf das geplante „Demokratiefördergesetz“ erklärte die letzte Bundesregierung unter Merkel im November 2020, daß für den Zeitraum von 2021 bis 2024 mehr als eine Milliarde Euro zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Rassismus vorgesehen sind. Allein für 2021 wurden weitere 150 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Das Gesetz konnte 2021 – trotz des Drängens der SPD – nicht mehr verabschiedet werden, weil sich die CDU/CSU-Fraktion daran stieß, daß Begünstigte keine Erklärung zur Verfassungstreue abgeben sollten. Bei der Kritik, die der Fraktion deshalb entgegenschlug, ging unter, daß selbst der Geschäftsführer der Amadeu-Antonio-Stiftung, Timo Reinfrank, davor warnte, das Gesetz schnell durch den Bundestag zu boxen. Warum? Weil es nach seiner Auffassung wichtiger sei, sich vom bisherigen Zeitrahmen der Förderung einzelner Projekte (meist ein bis fünf Jahre) zu lösen, sondern statt dessen die Bundesförderung dauerhaft auszurollen. Wahrscheinlich ahnte er, daß es mit einer neu zusammengesetzten Bundesregierung einfacher sein würde, den Kampf gegen Rechtsextremismus und Rassismus quasi in den Rang einer „Ewigkeitsaufgabe“ zu heben.

Und in der Tat, die „Ampel“ beeilte sich, dem Manne zu helfen, heißt es doch schon gleich am Anfang des Koalitionsvertrags, daß Ehrenamt und demokratisches Engagement den gesellschaftlichen Zusammenhalt stärkten: „Sie verläßlich zu fördern, ist unsere Aufgabe.“ Zugleich verspricht sie, alle politischen Stiftungen, denen es um nachhaltige Demokratieförderung geht, auch in Zukunft finanziell zu fördern und sie rechtlich besser abzusichern. Auf Seite 120 wird abermals hervorgehoben, daß die Bekämpfung von Rechtsextremismus und Rassismus fortgesetzt, inhaltlich weiterentwickelt und finanziell abgesichert wird. Man darf darauf gespannt sein, zu welchen Ergebnissen das Versprechen der inhaltlichen Weiterentwicklung führen wird. Vermutlich werden weitere Projekte aus der Taufe gehoben, um hinter bislang unverfänglichsten Dingen „Rassismus“ zu entdecken. Die Richtung gab schon Annette Widmann-Mauz, Staatsministerin und Beauftragte der letzten Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, vor, indem sie erklärte, daß es darum gehe, „Rassismus in allen Bereichen zu erkennen, zu benennen und konsequent zu bekämpfen“. Daran wird ihre Nachfolgerin im Amt, Reem Alabali-Radovan, sicher anknüpfen.

Was die Denkfabriken, Stiftungen etc. anlangt, so bedienen sich Regierungen und Parteien gerne solcher Institute, die gewünschte Ergebnisse liefern (sogenannte advokatorische Institute). Hinweise auf mangelnde Berücksichtigung anderer Expertisen, auf Fehler bei den Grundannahmen, fragwürdige Statistiken und eigenwillige Interpretationen wischen sie meistens unbeantwortet beiseite. Korrekturen erfolgen – wenn überhaupt – selten und stillschweigend.

„Gierige Hände“, sofern sie entsprechende polit-ideologische Ausrichtung garantieren, werden zudem mit der Schaffung von untergeordneten Bundesbehörden und der Besetzung mit entsprechendem Spitzenpersonal bedient. Das, was sich die Regierung nicht traut, in öffentlicher Debatte parlamentarisch umzusetzen, reicht sie gern als Aufträge an solche Behörden aus, die dann auch prompt das gewünschte Ergebnis liefern, das die Regierung nun förmlich zwingt, bestimmte Maßnahmen zu ergreifen. Das konnte man nahezu lehrbuchmäßig beim Zusammenspiel zwischen Regierung, insbesondere dem Bundeslandwirtschaftsministerium, der EU-Kommission und dem Umweltbundesamt bei der Umsetzung einer verschärften Düngemittelverordnung im Jahr 2020 studieren. Aktuelles läßt sich derzeit nahezu täglich am Zusammenwirken von Regierung, insbesondere dem Gesundheitsministerium, und dem Robert-Koch-Institut verzeichnen.

Hinzu kommen zahlreiche Beauftragte und Parlamentarische Staatssekretäre. Insgesamt stieg die Zahl der Stellen während der Amtszeit von Angela Merkel um rund 4.600. Das alles reicht der neuen Regierung allerdings nicht. Sie hat schon gleich zu Beginn kundgetan, daß zeitnah weit über 300 neue Stellen gebraucht werden. An der Stellenvermehrung ist das neue Superministerium für Wirtschaft und „Klimaschutz“ unter Robert Habeck stark beteiligt, wobei hinzuzufügen ist, daß einige seiner Staatssekretäre familiär verbunden sind und starke Verbindungen zur Denkfabrik „Agora“ hatten beziehungsweise noch haben. Diese Vetternwirtschaft hat mehr als nur „ein G’schmäckle“, sie sollte vielmehr die EU-Kommissarin für „Werte und Toleranz“, Věra Jourová, auf den Plan rufen, die sonst stets zur Stelle ist, wenn es darum geht, Ungarn oder Polen wegen angeblicher Verstöße gegen die Rechtsstaatlichkeit am Zeug zu flicken.

Rechtsstaatlich gesehen ist die Berufung Parlamentarischer Staatssekretäre ohnehin fragwürdig. Als Parlamentarier und zugleich Mitglied der Regierung kontrollieren sie sich selbst. Gleiches gilt, wenn Beauftragte aus dem Parlament mit Regierungsaufgaben betraut werden. Häufig werden auch Parlamentarische Staatssekretäre als Beauftragte benannt. Das garantiert ihnen zusätzlich zu den Diäten und Bezügen weitere 43.000 Euro pro Jahr. Jüngstes Beispiel ist die Ernennung des Parlamentarischen Staatssekretärs Sven Lehmann (Abgeordneter für die Grünen) zum „Queer-Beauftragten“. Man hätte meinen können, daß es eines solchen Beauftragten nicht eigens bedurfte, zumal der „Ampel“-Koalitionsvertrag die Magnus-Hirschfeld-Stiftung, die bislang schon nicht gerade Not litt, dauerhaft im Bundeshaushalt absichern will. Die Stiftung wurde 2011 als Bundesstiftung gegründet und befaßt sich exakt mit dem Gebiet, auf dem auch der „Queer-Beauftragte“ wirken wird. Übrigens ist Sven Lehmann Mitglied im Kuratorium der Stiftung.

Die „Ampel“ faßt weitere Beauftragte ins Auge. Erwähnt sei nur der „Polizeibeauftragte“, wobei die bisherigen Äußerungen der neuen Bundesinnenministerin Nancy Faeser vermuten lassen, daß es weniger um die Belange der Polizei geht, sondern vielmehr darum, eine weitere Institution auf regierungskonforme Linie zu bringen.

Was unter der Kanzlerschaft Angela Merkels behutsam begann, sich zunehmend beschleunigte – man denke nur an den nahezu nahtlosen Übergang von Mitgliedern der Exekutive (Peter Müller) beziehungsweise der Legislative (Stephan Harbarth) zum Bundesverfassungsgericht sowie an die Auswechslung von Präsidenten hoher Bundesbehörden (Hans-Georg Maaßen) –, strebt nun unter der „Ampel“ einer weiteren Aushöhlung rechtsstaatlicher Institutionen entgegen. Korrumpierte und ruinierte Institutionen sind jedoch nach Daron Acemoglu und James A. Robinson die zentrale Ursache dafür, „Warum Nationen scheitern“ (deutsche Übersetzung bei Fischer, Frankfurt am Main 2014). Präsentiert sich Deutschland demnächst der Welt als gescheiterter Staat?






Prof. em. Dr. Siegfried F. Franke, Jahrgang 1942, lehrte Wirtschaftspolitik und Öffentliches Recht an der Universität Stuttgart und Wirtschaftspolitik an der Andrássy Universität Budapest. Franke ist Mitglied der Deutsch-Ungarischen Gesellschaft und Autor zahlreicher Publikationen.

Foto: „Queer“-Beauftragter Sven Lehmann (l.), Wirtschaftsminister Robert Habeck: „Große Nationen werden niemals durch private, doch bisweilen durch öffentliche Verschwendung und Mißwirtschaft ruiniert“ (Adam Smith)