© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 06/22 / 04. Februar 2022

Doch kein direkter Weg von Windhuk nach Auschwitz
Ohne koloniale Vorläufer
(ob)

Die Philosophin Hannah Arendt brachte in ihrer Studie über die „Ursprünge des Totalitarismus“ (1951) wohl als erste „öffentliche Intellektuelle“ die Kontinuität zwischen deutschen „Kolonialverbrechen“ und dem NS-Völkermord an den Juden Europas ins Spiel. Jahrzehntelang in der Wissenschaft kaum als abwegig wahrgenommen, hat ihr geschichtsfremdes Konstrukt eine atemberaubende Konjunktur erreicht. Debatten über den angeblich schnurgeraden Weg von Windhuk nach Auschwitz, vom „Vernichtungskrieg gegen die Herero und Nama in Deutsch-Südwestafrika“ zum industriellen Massenmord werden daher nun in jedem Feuilleton ausgetragen. Frank Bajohr und Rachel O’Sullivan (Institut für Zeitgeschichte) behaupten hingegen trotzig die einzig seriöse Position, wonach die antijüdische NS-Politik und der Genozid „keine direkten kolonialen Vorläufer“ haben (Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, 1/2022). Es gebe auch keine relevante „Präsenz ehemals deutscher kolonialer Akteure“ in Osteuropa. Was jedoch nicht daran hindern sollte, nach kolonialistischen Spurenelementen in der Besatzungspraxis zu fahnden. Deswegen sei jetzt etwa eine Dissertation über Aktivitäten „hanseatischer Unternehmen“ mit Kolonialerfahrung im besetzten Polen in Vorbereitung. 


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