© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 06/22 / 04. Februar 2022

Frisch gepreßt

Wiener Kreis. Am 22. Juni 1936 wurde der Philosoph Moritz Schlick im Hauptgebäude der Wiener Universität erschossen. Das Motiv des psychopathischen Attentäters war in höchstem Maß persönlich: Eifersucht. Und doch beleuchtet diese Privataffäre schlaglichtartig den latenten Bürgerkrieg, der in der „austrofaschistischen“ Republik Österreich zwei Jahre vor dem „Anschluß“ herrschte. Diese explosive Atmosphäre wußte der Mörder zu nutzen, indem er seiner Tat ein „edles“ politisches Motiv unterschob, dem seine publizistischen Apologeten begeistert applaudierten: Der „Jude Schlick“ sei liquidiert worden, weil seine „radikal niederreißende Philosophie“ die ideellen Grundlagen des „christlich-deutschen Staates zersetzt“ habe. Schlick war zwar kein Jude, zog aber als Repräsentant eines weitgehend aus jüdischen, austromarxistisch orientierten Verfechtern einer „wissenschaftlichen“, von allen religiösen und metaphysischen Elementen befreiten, im „Wiener Kreis“ vernetzten Philosophie den Haß der politischen Rechten und des katholischen Klerus auf sich. Der Wiener Wissenschaftshistoriker Friedrich Stadler hat 1997 Entwicklung und Wirkung des Wiener „Logischen Empirismus“ umfassend dargestellt. Im Vergleich damit nimmt sich die Arbeit des britischen Wissenschaftsjournalisten David Edmonds wie eine Kurzfassung der Stadler-Monographie aus. Sie besticht aber durch leichtere Lesbarkeit und durch Konzentration auf jenes Wesentliche, das man schon wissen sollte über einen Denker-Zirkel, aus dem mit Karl R. Popper der zur Zeit des Kalten Krieges politisch einflußreichste Philosoph des Westens hervorgegangen ist. (wm)

David Edmonds: Die Ermordung des Professor Schlick. Der Wiener Kreis und die dunklen Jahre der Philosophie. Verlag C. H. Beck, München 2021, gebunden, 352 Seiten, Abbildungen, 26 Euro





Auswandern. In früheren Zeiten zwang bittere Not viele Menschen, fernab ihrer Heimat ein neues Leben zu beginnen. Später wagten es dann meist abenteuerliche Naturen, ihr Glück im Ausland zu suchen. Heute sind unter den jährlich bis zu 280.000 Deutschen (2016), die die Bundesrepublik verlassen, viele, die der staatlichen Enge (Steuerlast, Meinungsfreiheit oder Konformitätsdruck) entfliehen wollen. Der Journalist Norbert Bartl, der vor über vierzig Jahren Deutschland den Rücken kehrte, gibt viele Tips, um die Auswanderung richtig vorzubereiten und auch das richtige Ziel anzusteuern – am besten mit genügend Kleingeld und ausreichend Sprachkenntnis. Bartl zitiert als Mahnung den Stoßseufzer eines prototypischen gescheiterten Auswanderers: „Was hilft es dir, daß alles nach Plan läuft – wenn der Plan Mist ist.“ (bä)

Norbert Bartl: Richtig auswandern und besser leben. Kopp Verlag, Rottenburg 2021, gebunden, 320 Seiten, 22,99 Euro