© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 06/22 / 04. Februar 2022

Umwelt
Weder fett noch mager
Jörg Fischer

Im längst verzichtbaren ZDF-Programm gehört Harald Lesch zu den wenigen Koryphäen. Der Münchner Physikprofessor ist zwar kein Freigeist wie Hoimar von Ditfurth (JF 42/21), der von 1971 bis 1983 die Wissenschaftssendung „Querschnitt“ präsentierte und sich dabei offen „Gedanken über Intelligenz“ (1974) oder die Zwillingsforschung („Diktatur der Gene“; 1978) machte. 1972 prognostizierte der Neurologieprofessor die unvermeidliche nächste Eiszeit – daß es zuvor CO2-bedingt wärmer wird („Der Ast auf dem wir sitzen“; 1978) war für von Ditfurth aber ebenso klar wie die Chancen der Photovoltaik („Strom aus Sand und Sonne“; 1982).

Lesch begeistert nicht nur Studenten für Astrophysik und Philosophie, sondern seit 1998 auch Millionen Fernsehzuschauer für die sträflich vernachlässigten Naturwissenschaften. Daß der 61jährige zwar nicht Hamburg meterhoch unter Wasser sieht, aber penetrant vor der Klimaapokalypse warnt oder „Gendern“ schönredet – was soll’s, das ist der woke Zeitgeist. Auch von Ditfurth mußte sich anpassen, sonst hätte er 1943 nicht Medizin studieren dürfen. Das erklärt vielleicht, warum der langjährige E-Mobilitäts-Kritiker Lesch im Youtube-Kanal „Urknall, Weltall und das Leben“ seines Fachkollegen Josef Gaßner versprach: „Mein nächstes Auto ist ein E-Auto!“ So kann er dann auch mal verklausuliert andeuten, daß bei anhaltendem Bevölkerungswachstum „ohnehin alles vorbei ist“. Von Ditfurth sprach das im ZDF aber noch offen an.

Beim Stromverbrauch pro Kopf liegt Deutschland global betrachtet nur im oberen Mittelfeld.

In der aktuellen Strompreisdebatte hat sich Lesch mit seinem in der ARD-Sendung „Hart aber fair“ geäußerten Vorwurf, „wir sind energetisch verfettet“, vielleicht vulgärer, aber inhaltlich wie einst von Ditfurth geäußert. Doch der Unterschied ist: Was bringt es global, wenn ein 83,2-Millionen-Einwohner-Land bei acht Milliarden Erdenbürgern – doppelt so viel wie zu „Querschnitt“-Zeiten – eine radikale Magerkur einlegt? Und Deutschland hat zwar die höchsten Strompreise der Welt, aber beim Elektrizitätsverbrauch pro Kopf lag die viertgrößte Volkswirtschaft mit 6.770 Kilowattstunden (kWh) 2020 laut IEA-Zahlen mit der Tschechei (6.280) oder Hongkong (6.190) nur im oberen Mittelfeld. Die 50.990 kWh der Isländer mögen den Aluminiumhütten und die 16.630 kWh Katars den Klimaanlagen geschuldet sein. Doch auch Kanada (14.490), die USA (13.020), Südkorea (10.950), Australien (10.320), Japan (8.200) oder Rußland (7.460) liegen über den angeblich „verfetteten“ Deutschen.

Die 1,4 Milliarden Chinesen (5.120 kWh) werden uns sicher bald einholen. Denn 20 Jahre zuvor lagen sie noch auf dem heutigen Niveau der 1,38 Milliarden Inder (990 kWh) – und selbst das energetisch „magerste“ G20-Land hat seinen Stromverbrauch seither verdreifacht. Oder sollen wir auf das Niveau von Niger (60 kWh) oder Jemen (100 kWh) abfallen? Auch beim CO2-Ausstoß pro Kopf sind die Deutschen trotz Kohle, Putin-Gas, Lufthansa und Massenmotorisierung mit 7.040 Tonnen wie die Chinesen oder Polen nur leicht adipös: Saudis (14.450), Kanadier (13.770), US-Amerikaner (12.980) oder Russen (10.800) bringen mehr auf Leschs „Klimawaage“. Und die 3.820 Tonnen der Franzosen sind nicht Verzicht, sondern Atomkraft und dem Industriesterben geschuldet.

Zahlen der International Energy Agency: energyatlas.iea.org