© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 06/22 / 04. Februar 2022

Der Flaneur
Achtung „Muonkel“
Paul Meilitz

Beide hatten sich unmittelbar hinter mir in die Schlange eingereiht und unterhielten sich lebhaft. Der Junge, dessen momentaner Teint den Leidensdruck der Pubertät verriet, mochte 15 Jahre alt sein. Seine Begleiterin kam als Schwester oder Freundin in Betracht. Wir standen an einer mobilen Corona-Impfstation, um entweder unserem Gewissen, unserer Verantwortung oder der verordneten Bürgerpflicht Genüge zu tun. Oder auch allem. 

Bei mir fiel der dritte Piks an, für den uns die hierzulande fleißig tätige Meinungs- und Begriffsmaschinerie das englische Wort „boostern“ aufgenötigt hat. Noch vor einem Jahr hätte ich dabei an Raumfahrt, Feststoffraketen oder Ähnliches gedacht. Aber selbst die Duden-Redaktion hat inzwischen das Wort in das Online-Wörterbuch und in den deutschen Sprachraum verpflanzt. 

Ein paar Meter in der gefühlt endlosen Covid-Wartegemeinschaft vorgerückt, lachte das Mädchen hinter mir plötzlich laut los. Ihrem Gespräch war ich bis dahin nicht weiter gefolgt, aber nun konnte ich meine Neugier nicht länger im Zaum halten, spitzte meine Ohren – und wurde belohnt.

Warum ist alles Böse weiblich? Das muß sich auch bei Corona und den Mutationen ändern.

Sollte die unsägliche Sprachverhunzung namens Gendersprech bei beiden Jugendlichen auf Widerstand gestoßen sein? Und so war es tatsächlich. Schuld daran ist die „Mutante“, jene bedrohlich daherkommende Version des wissenschaftlich korrekten Begriffes Mutation. Nur schläft man mit einer „Mutante“ im Kopf unruhiger als mit einer „Mutation“, was die verordnete Verwendung erklären dürfte. 

„Warum ist alles Böse weiblich?“, hörte ich das Mädchen sarkastisch sagen. „Bei den Tornados wurde das doch auch geändert.“ Und bevor ihr Begleiter dem Gedankengang seiner offenbar sehr belesenen und hellwachen Begleiterin zu folgen vermochte, kam die schlüssige Lösung. „Es muß unbedingt einen Muonkel geben, damit Männer auch an Corona schuld sind.“ 

Ich blieb schweigsam, auch wenn es schwerfiel. Auf einer Kabarettbühne wäre die junge Darstellerin meines Beifalls aber sicher gewesen. Die brennende Frage ist nur, ob der originelle „Muonkel“ jetzt über die (un-)sozialen Medien die Runde macht und auf dem Tisch der Duden-Redaktion ankommt.