© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 07/22 / 11. Februar 2022

Ein Rumms reicht nicht
Marode Brücken: Weil zu lange zu wenig investiert wurde, droht uns ein Verkehrsinfarkt
Jörg Kürschner

So sehen Anfang 2022 Erfolgsmeldungen vom 13.000 Kilometer umfassenden Autobahnnetz aus. „Riesige Talbrücke der A 45 bei Rinsdorf gesprengt“. Das 55 Jahre alte, 500 Meter lange und 70 Meter hohe Bauwerk in Nordrhein-Westfalen war in die Jahre gekommen. Von einer „Bilderbuchsprengung“ sprachen die Sprengmeister, da das neu errichtete und seit Dezember 2021 befahrbare Brückenteilstück direkt neben der gesprengten Brücke nicht zu Schaden kam. Die Sauerlandlinie ist das Sorgenkind der Verkehrspolitiker in Land und Bund. 60 Talbrücken müssen erneuert werden,15 davon sind im Bau oder werden noch 2022 begonnen. 

Der öffentliche Aufschrei war groß, als Anfang Dezember die marode A45-Talbrücke Rahmede bei Lüdenscheid auf der wichtigen Nord-Süd-Achse komplett gesperrt werden mußte. Ein völliger Neubau ist erforderlich, eine Hiobsbotschaft für die Region. „Ich kann Ihnen versichern, daß wir uns innerhalb der Regierung dazu schon sorgfältig unterhalten haben“, blieb Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) bei seiner ersten Regierungsbefragung im Ungefähren. Immerhin, Abriß und Neubau könnten nur gelingen, „wenn man die vielen geplanten Gesetze der Bundesregierung zur Planungsbeschleunigung rasch auf den Weg bringe“. Die CDU/CSU-Opposition will mit einer Kleinen Anfrage erfahren, welchen konkreten Zeitplan die Regierung verfolgt. Zu Wochenbeginn erklärte Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP), die Sprengung der Talbrücke sei technisch möglich, der Neubau könne damit beschleunigt werden.

„Brauchen ein  vereinfachtes Baurecht“

Dabei ist der teils bedenkliche Zustand der Autobahnbrücken der Politik seit langem bekannt. Bereits 2001 mißbilligte der Bundesrechnungshof das Verkehrsressort: „Das Bundesministerium erfüllt seine Aufgaben bei der Brückenerhaltung nur unzureichend. Der jährliche Bedarf für Erhaltungsleistungen dürfte deutlich über den tatsachlichen Ausgaben liegen. Wegen der nicht durchgeführten Erhaltungsleistungen verschlechtert sich der Erhaltungszustand der Brücken. Das könnte langfristig die Verfügbarkeit des Bundesfernstraßennetzes einschränken“. Verkehrsminister war seinerzeit der Sozialdemokrat Kurt Bodewig. Statt zwischen 700 und 900 Millionen Mark für die Sicherheit der damals insgesamt 35.000 Straßenbrücken zu investieren, machte der Bund 1998 nur 380 Millionen Mark locker. 

Von den Brücken als einer „tickenden Zeitbombe“ sprachen die Verkehrspolitiker parteiübergreifend, doch es geschah wenig. 2013 beschloß die Verkehrsministerkonferenz der Länder einen Sonderfonds für 15 Jahre, der mit 38,5 Milliarden Euro für Straßen, Schienen oder Wasserwege ausgestattet wurde. Es blieb bei dem Beschluß, obwohl der Sanierungsstau besonders bei Autobahnbrücken offensichtlich war. So mußte die Rader Hochbrücke auf der A7 über den Nord-Ostsee-Kanal für Lkw über 7,5 Tonnen wie auch die Rheinbrücke der A1 bei Leverkusen wegen ihres schlechten Zustands gesperrt werden. Bei der Schiersteiner Brücke zwischen den Landeshauptstädten Mainz und Wiesbaden, einer der Hauptverkehrsadern im Rhein-Main-Gebiet, war sogar eine Vollsperrung nötig. 

Grund für die marode Infrastruktur ist der erheblich gestiegene Schwerlastverkehr, der beim Bau der Brücken noch nicht abzusehen war. Ein 40-Tonner belastet eine Brücke so sehr wie 60.000 Autos. Die in den sechziger Jahren gebauten Brücken wurden mit einer Verkehrsprognose geplant, die von 25.000 Fahrzeugen im Jahr 1980 ausging. Inzwischen ist die Belastung auf 64.000 Fahrzeuge angestiegen, davon 13.000 Lkw. Zwar wurden die Mittel für den Erhalt der Brücken deutlich aufgestockt, doch blieb der Etat chronisch unterfinanziert. Für dieses Jahr will der Bund knapp 1,7 Milliarden Euro in den Erhalt von Brücken investieren, der Anteil der Autobahnbrücken beträgt etwa 70 Prozent. 

Wenn der Wirtschaftsstandort Deutschland nicht dauerhaft Schaden nehmen soll, ist Eile geboten. Lange Umwege kosten Zeit und Geld. „Wir müssen die Anzahl der jährlich zu erneuernden Brücken von 200 auf 400 verdoppeln“, mahnt Stephan Krenz, Geschäftsführer der bundeseigenen Autobahn GmbH, die seit Jahresbeginn 2021 für die Fernstraßen zuständig ist. „Wir müssen deutlich schneller werden, dafür brauchen wir ein vereinfachtes Baurecht für Ersatzbauten“. 

Dieses Ziel hat sich auch die Ampel-Regierung gesetzt, die laut Koalitionsvertrag das Planungsrecht vereinfachen und beschleunigen will. „Wir wollen große und besonders bedeutsame Infrastrukturmaßnahmen auch im Wege zulässiger und unionsrechtskonformer Legalplanung beschleunigt auf den Weg bringen und mit hoher politischer Priorität umsetzen“, haben SPD, Grüne und FDP vereinbart. 

Bereits jetzt kann bei Ersatzneubauten auf zeitraubende Umweltverträglichkeitsprüfungen und Planfeststellungsverfahren verzichtet werden. Bei Legalplanungen werden Vorhaben direkt durch den Gesetzgeber und nicht wie üblich durch Verwaltungsakte genehmigt. Da die angestrebte „frühestmögliche und intensive Öffentlichkeitsbeteiligung“ vermutlich auch weiterhin zu Klagen etwa von Umweltverbänden führen dürfte, soll das Bundesverwaltungsgericht neue Senate bekommen. Im Gegenzug soll eine Normenkontrolle geschaffen werden. Ressortchef Wissing, mit jahrelanger Berufspraxis in Verwaltung und Justiz, will sich gleichwohl nicht festlegen, wann auf der Rahmedebrücke das Schild „Befahren verboten“ abgebaut werden kann. „Momentan seien nur Schätzungen möglich“, läßt er mitteilen. Experten rechnen mit einer Bauzeit von mindestens fünf Jahren.

Foto: Sprengung der Talbrücke Rinsdorf: Das 500 Meter lange und 70 Meter hohe Bauwerk in Nordrhein-Westfalen war in die Jahre gekommen