© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 07/22 / 11. Februar 2022

Ländersache: Hessen
Für Dornröschen wird’s windig
Christian Schreiber

Knorrige, riesige Eichen und schier endloses Grün. Der Reinhardswald in Nordhessen zählt zu den schönsten Wäldern in Deutschland. Die Gebrüder Grimm lebten 30 Jahre in Kassel, zahlreiche ihrer Märchen spielten im Wald. Im Rheinhardswald. Doch mit der Idylle ist es vorbei. Den Wald wird es in dieser Form bald nicht mehr geben. Doch schuld ist keine Naturkatastrophe im klassischen Sinne. 

Die Katastrophe kommt in Gestalt der hessischen Umweltministerin Priska Hinz daher. Sie erteilte unlängst die Genehmigung für einen Windpark mit schier monströsem Ausmaß. 18 Windräder mit 241 Meter Höhe dürfen gebaut werden. „Allein der Rotor hat einen Durchmesser von unfaßbaren 150 Meter, d.h. es würden damit drei Airbus A380 an dem Betonspargel als Rotorblätter hängen“, ätzte die Bild-Zeitung. Doch die Argumente verfingen nicht. Der Ausbau von Windkraftanlagen gefährde den Lebensraum von bedrohten Vögeln wie dem Schwarzstorch oder Rotmilan und einigen Fledermausarten und schade dem Tourismus im „Märchenwald“, argumentierte eine Bürgerinitiative.  Zudem gebe es kein Brandschutzkonzept. Bernhard Klug von der „Schutzgemeinschaft Deutscher Wald“ sagte zum hessischen Radiosender FFH: „Der Reinhardswald blutet.“ Man behalte sich rechtliche Schritte vor. Auch andere Initiativen haben angekündigt, gegen die Genehmigung des Windparks Klage einzureichen. 

Laut Regierungspräsidium waren insgesamt 690 Einsprüche eingegangen, an der Entscheidung änderte das nichts mehr.  Die ersten Bäume wurden in „Windeseile“ gefällt, wohl auch, um Fakten zu schaffen, kippten hessische Gerichte doch in der Vergangenheit den einen oder anderen Bau. „Hier läuft alles nach Recht und Gesetz“, sagt der Betreiber Energiegenossenschaft Reinhardswald.  Unmittelbar nach Eingang der Genehmigung des Windparks durch das Regierungspräsidium Kassel habe man mit Baumfällarbeiten auf den 18 Flächen angefangen. „Es haben keine Rodungen stattgefunden, wie uns vorgeworfen wird.“

Umweltministerin Schulz nennt das Projekt alternativlos. „Die Windenergie leistet für die Energiewende und damit für den Erhalt der Natur einen entscheidenden Beitrag. Ohne diese konsequente und engagierte Klimapolitik wird es bald gar keinen Wald mehr geben“, lautete ihre bemerkenswerte Einschätzung. „Windenergie und Artenschutz schließen sich nicht aus“, betonte sie ausdrücklich und versuchte damit die Einwände der Gegner zu berücksichtigen.  Die Windenergie sei ein zentraler Baustein der Energiewende und damit der Bekämpfung der Klimakrise. Das Land Hessen sieht zwei Prozent aller Landesflächen für Windenergievorranggebiete vor, im bundesweiten Vergleich liegt das Land derzeit auf einem der hinteren Plätze. 

Für die Windräder müßten laut Betreiber mit rund 250 Buchen und mehreren Fichten eine „äußerst geringe“ Anzahl an Bäumen gefällt werden. Durch Stürme, Dürresommer und den Borkenkäfer sei bereits ein Großteil der benötigten Fläche baumfrei. Dies sei die Realität. Platz für Märchen ist im Reinhardswald offenbar keiner mehr.