© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 07/22 / 11. Februar 2022

Alles Nazis –außer Nancy
Innenministerin: Faeser fehlt Distanz zum Linksextremismus
Felix Krautkrämer

Im Anfang war das Schweigen. Dann kam der Trotz. Vor ihrem Amtsantritt als Bundesinnenministerin hatte Nancy Faeser im vergangenen Jahr als hessische SPD-Chefin im Magazin antifa der „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten“ (VVN-BdA) einen Beitrag veröffentlicht. Unter der Überschrift „NSU 2.0 aufgeklärt?“ berichtete Faeser von zwei Drohbriefen, die sie vom sogenannten NSU 2.0 erhalten habe, und erläuterte, daß der „Kampf gegen Faschismus und Rechtsextremismus, gegen Rassismus und völkische Ideologien“ zur „politischen DNA meiner Partei“ gehöre. Man müsse aufstehen „gegen rechtes Gedankengut, rechte Drohungen und rechte Gewalt“, fordert sie. Und zwar „jeden Tag und an jedem Ort“.

Der bayerische Verfassungsschutz führt die VVN-BdA in seinem aktuellen Jahresbericht als „die bundesweit größte linksextremistisch beeinflußte Organisation im Bereich des Antifaschismus“. Zudem bescheinigt er ihr, „mit offen linksextremistischen Kräften“ zusammenzuarbeiten und einen Antifaschismus zu vertreten, der letztlich auch die parlamentarische Demokratie als faschistisch bekämpfe. 

Kritische Anfragen der JUNGEN FREIHEIT, die vergangene Woche zuerst darüber berichtet hatte, blieben zunächst unbeantwortet. Auch das Bundesinnenministerium schwieg eisern. Am Sonntag meldete sich Faeser dann via Twitter zu Wort. Doch anstatt den Beitrag zu bedauern und zu erklären, sie habe nicht gewußt, um was es sich für eine Organisation handelt, die für die Zeitschrift verantwortlich ist, sprach sie von „durchschaubaren“ Vorwürfen und legte nahe, es handle sich um eine Kampagne gegen sie – ausgelöst von der jungen freiheit, der AfD und der Bild-Zeitung. Mit keinem Wort erwähnte die Innenministerin dagegen die VVN-BdA.

Die wird indes auch vom Bundesamt für Verfassungsschutz, das direkt dem Bundesinnenministerium und seiner Chefin Faeser unterstellt ist, beobachtet, weiß die FAZ zu berichten. Zwar werde sie seit 2005 nicht in den Jahresberichten aufgeführt, das bedeute aber nicht, daß die Aktivitäten der Verfassungsschützer beendet worden seien. „Der jährlich erscheinende Bericht informiert nicht über alle Beobachtungsobjekte, nur über die besonders relevanten. Nach wie vor stuft das Bundesamt für Verfassungsschutz die Vereinigung als linksextremistisch beeinflußt ein“, schreibt die Zeitung.

Demokratie als „faschistisch“ bekämpfen

Das deckt sich mit einer Antwort des hessischen Landesamts für Verfassungsschutz auf eine Anfrage der JF zur VVN-BdA. Darin heißt es: „Die Übersicht über Beobachtungsobjekte im jeweiligen Jahresbericht ist nicht abschließend.“ Die Entscheidung über eine Erwähnung eines Personenzusammenschlusses im Jahresbericht sei am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu messen. „Sie hängt von der Intensität seiner extremistischen Bestrebungen im jeweiligen Berichtsjahr ab und erfolgt auf Basis einer sorgfältigen Abwägung zwischen nachrichtendienstlichen und datenschutzrechtlichen Erwägungen einerseits und dem berechtigten Informationsinteresse der Öffentlichkeit andererseits.“ Abseits des Verfassungsschutzberichtes äußere sich das Landesamt nur in Ausnahmefällen zu Personenzusammenschlüssen und der Frage, ob diese als Beobachtungsobjekt geführt würden. Es gibt zahlreiche gute Gründe, zur VVN-BdA auf Abstand zu gehen: Weil sie selbst keine Distanz zu extremistischen Gruppierungen, wie beispielsweise der Roten Hilfe, wahrt. 

Und noch immer nutzt die lange Jahre von der DKP gesteuerte und von der SED finanzierte VVN-BdA den Faschismusvorwurf in kommunistischer Manier als politischen Kampfbegriff. „Er unterstellt, daß ‘Kapitalismus’ und bürgerliche Demokratien latent anfällig für Rechtsextremismus seien“, schreibt der Politikwissenschaftler und Extremismusexperte Rudolf van Hüllen.

Wie zutreffend die Beschreibung ist, zeigt sich zum Beispiel am Verhältnis zur Polizei. Im vergangenen Jahr organisierte die VVN-BdA zusammen mit anderen linken und linksradikalen Organisationen eine „Antifaschistische Film- und Debattenreihe“. Dabei wurde auch eine Doku gezeigt, die der Polizei ein Gewaltproblem bescheinigte und den Sicherheitskräften vorwarf, beim G20-Gipfel 2017 in Hamburg mit unnötiger Härte gegen die Demonstranten vorgegangen zu sein. Das sei eine „neue Qualität der polizeilichen Gewalt“ gewesen.

Während des G20-Gipfels hatten Linksextremisten tagelang in der Hansestadt randaliert. Es kam zu schweren Ausschreitungen, bei denen mehrere hundert Polizisten verletzt wurden. Zu den Protesten gegen den G20-Gipfel, dessen Gastgeber damals der heutige Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) war, hatte auch die VVN-BdA aufgerufen. Die Organisation warf dem seinerzeit von Scholz geführten Senat vor, „Bürgerkriegsstimmung“ zu verbreiten und „auf Kriegsfuß mit verfassungsmäßig garantierten Grundrechten“ zu stehen. Das alles hätte Faeser wissen können, als sie für die Verbandszeitschrift der VVN-BdA im vergangenen Jahr zur Feder griff. Schließlich sind alle Äußerungen frei auf den Internetseiten der Organisation nachzulesen.

In der antifa-Ausgabe, in der Faesers Gastbeitrag erschien, findet sich auch ein Interview mit einem VVN-BdA-Mitglied zum Prozeß gegen die mutmaßliche Linksterroristin Lina E. (JF 39/21). Darin wird ihre Verhaftung kritisiert. Denn „antifaschistischer Selbstschutz“ sei wichtiger denn je „gegen die Bedrohung durch Neonazis und angesichts der Verwicklungen und der Tatenlosigkeit der staatlichen Behörden“.

Hinter den mit „NSU 2.0“ unterzeichneten Drohbriefen, also dem Thema von Faesers in die Kritik geratenen Gastbeitrag, hatten Medien, Politiker und vor allem linke Aktivisten lange Zeit ein rechtsextremes Netzwerk innerhalb der hessischen Polizei vermutet und öffentlich angeprangert. Tatsächlich wurde allerdings als bisher einziger Tatverdächtiger der 53jährige Alexander Horst M. im vergangenen Frühjahr in Berlin festgenommen – ein langzeitarbeitsloser Facharbeiter für elektronische Datenverarbeitung (JF 20/21). Er habe sich, vermuten die Ermittler, möglicherweise erfolgreich als Polizist oder Behördenmitarbeiter ausgegeben und so von der echten Polizei in Hessen per Abfrage Daten seiner Opfer erschlichen.





VVN-BdA: Linksextremer Traditionsverband

Die „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten“ (VVN-BdA) wurde 1947 (zunächst ohne den Zusatz BdA) in Frankfurt am Main gegründet. Anfangs noch ein Zusammenschluß von ehemaligen Widerstandskämpfern gegen das NS-Regime und überlebenden Insassen der Konzentrationslager, geriet die Organisation schnell unter den Einfluß orthodox-kommunistischer Funktionäre. Daher erließ die SPD bereits 1948 einen Unvereinbarkeitsbeschluß mit der VVN, der erst 2010 aufgehoben wurde. Die VVN-BdA unterhielt enge Beziehungen zur linksextremistischen Deutschen Kommunistischen Partei. Von 2003 bis 2014 war der evangelische Theologe und ehemalige Rektor der Berliner Humbold-Universität, Heinrich Fink, Bundesvorsitzender. Obwohl 2005 als Stasi-Spitzel (IM „Heiner“) enttarnt, machte ihn die VVN-BdA 2014 zu ihrem Ehrenvorsitzenden. In den neunziger Jahren attestierte der Verfassungsschutz der Vereinigung, sie halte „unverändert an der orthodox-kommunistischen Faschismusdoktrin fest, nach der konservative Demokraten und Rechtsextremisten geistig verwandte Verfechter einer latent zum Faschismus neigenden bürgerlichen Demokratie sind“. Der „Antifaschismus“ der Gruppierung umfasse nicht nur Verfolgte des Nationalsozialismus, sondern auch aus dem öffentlichen Dienst entlassene DKP-Mitglieder oder inhaftierte RAF-Terroristen „als prinzipiell vergleichbare Opfer ‘bürgerlicher Repression’“. Als sich die VVN-BdA zunehmend an die damalige PDS, die heutige Linke, annäherte, äußerte sich ihr 2020 verstorbener Vorsitzender Fink, der 1998 bis 2001 als parteiloser Abgeordneter für die PDS im Bundestag saß, auf Kritik aus den Reihen der DKP mit einem entlarvenden Bekenntnis: „Den Vorwurf, wir seien in welcher Art und Weise auch immer staatstragend, möchte ich deutlich zurückweisen. Das Gegenteil ist der Fall.“ Im Jahr 2004 warf die Union der SPD in einem ähnlichen Zusammenhang schon einmal eine „unheilige Allianz mit Linksaußen“ (so der damalige CDU-Bundestagsabgeordnete Eckart von Klaeden) vor. Das sozialdemokratische Magazin Blick nach rechts hatte von der rot-grünen Bundesregierung Fördergelder bekommen, unter anderem zur Umgestaltung seines Internetauftritt. Dort wurden „in einer ausführlichen Linkliste zahlreiche Antifa-Gruppen“ empfohlen, darunter auch Internetseiten, die in den Verfassungsschutzberichten erwähnt wurden. Eine davon: die des VVN-BdA. Nach mehrmaliger Anfrage von CDU-Abgeordneten versicherte dann der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesinnenministerium Fritz Rudolf Körper, man habe die Verlinkung zur Seite des VVN-BdA entfernen lassen. (vo)

Foto: Demonstranten mit Fahnen der Antifa und der VVN-BdA in Frankfurt am Main: „Tatenlosigkeit der staatlichen Behörden“