© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 07/22 / 11. Februar 2022

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Platz ist in der größten Hütte
Paul Rosen

Wenn an diesem Sonntag die Wahl des Bundespräsidenten ansteht, wird alles anders sein. Das beginnt bereits mit dem Tagungsort. Nicht mehr der seit 1994 für die Wahl des Präsidenten genutzte Plenarsaal im Berliner Reichstag wird Ort des Geschehens sein, sonders das benachbarte Paul-Löbe-Haus, in dessen großem Foyer auf mehreren Etagen die Mitglieder der Bundesversammlung (736 Bundestagsabgeordnete und eine gleich hohe Zahl an Mitgliedern, die von den 16 Landtagen entsandt werden) tagen werden (JF 2/22). Seit Anfang Februar wird das Ausweichquartier, das sonst für Sitzungen der Bundestagsausschüsse genutzt wird, für die Bundesversammlung vorbereitet. Selbst in den Ausschußsälen sollen einige der insgesamt 1.472 Mitglieder Platz nehmen. 

Mit eigenen Augen die Wahl erleben dürfte daher nur ein Teil der Mitglieder, die direkt im Erdgeschoß oder auf den Emporen Plätze haben. Der Rest muß sich mit Videoübertragungen begnügen. Reden werden auf der Bundesversammlung nicht gehalten. Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) wird die Sitzung eröffnen, die Wahlvorschläge notieren, und den Wahlgang eröffnen. 

Es gilt als absolut unwahrscheinlich, daß der zur Wiederwahl antretende Frank-Walter Steinmeier mehr als einen Wahlgang benötigt. Denn die Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP verfügt zusammen über eine Mehrheit von 778 Stimmen. Da die CDU/CSU nicht imstande war, einen eigenen Kandidaten aufzubieten, sondern die Kandidatur von Steinmeier mitträgt, ergibt die Ampel-Mehrheit zusammen mit den 445 Stimmen der Union ein äußerst komfortables Stimmenpolster. Die anderen Kandidaturen (JF 5/22) gelten als aussichtlos.  

Da die Entsendung der Mitglieder aus den Ländern nicht von einem Parlamentsmandat abhängt, sind eine ganze Reihe mehr oder weniger bedeutender Zeitgenossen als Delegierte nominiert worden. So schicken die Grünen den Virologen Christian Drosten, die SPD schickt Biontech-Gründerin Özlem Türeci. Die CDU nominierte die Notärztin Lisa Federle und die Linke den Intensivkrankenpfleger Ricardo Lange. Kabarettist Dieter Nuhr (FDP) wird ebenso zu sehen sein wie die Schauspielerin Sibel Kekilli, die ihre Karriere als Pornodarstellerin begann und von den Grünen präsentiert wird. 

Ob alle Teilnehmer in das Paul-Löbe-Haus eingelassen werden, ist nicht ganz sicher. Denn jeder Teilnehmer muß sich einem Corona-Schnelltest unterziehen, die im Gebäude und im Plenarsaal sonst geltende 2G+-Regel gilt bei der Bundesversammlung aber nicht. Wer positiv getestet wurde, kommt nicht rein. Angesichts der in den Gebäuden wechselnden Corona-Regeln stellt sich einmal mehr die grundsätzliche Frage nach deren Sinnhaftigkeit, für einige sogar die Frage nach der Verfassungsmäßigkeit des Wahlverfahrens für das höchste Staatsamt, wenn einigen Delegierten wegen eines zweifelhaften Testverfahrens die Teilnahme verweigert werden sollte.