© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 07/22 / 11. Februar 2022

Kampf mit harten Bandagen
Ungarn: Das Land ist bereits mitten im Wahlkampf / Vereinte Opposition mit Schwierigkeiten
Filip Gašpar

Am 3. April schaut das ganze Europäische Parlament gebannt auf Ungarn. Denn dann wählen die Magyaren ihre 199 Abgeordneten für das Parlament und stimmen über das Referendum zum im Juni 2021 verabschiedeten Kinderschutzgesetz ab.

Die politische Landschaft Ungarns besteht derzeit aus zwei großen Blöcken. Fidesz, die bei den vorherigen Wahlen am 8. April 2018 als einzige Volkspartei ein gutes Ergebnis errang, während die Opposition aus mehreren kleinen Oppositionsparteien bestand, von denen keine über 20 Prozent erreichte.

Dies sollte sich mit dem Kandidaten des Oppositionsbündnisses Péter Márki-Zay ändern. Der parteilose Bürgermeister der südungarischen Stadt Hódmezővásárhely, Vater von sieben Kindern, gläubiger Katholik und Konservativer, der sich selbst als pro-europäisch, jedoch migrationskritisch bezeichnet, tritt gegen Viktor Orbán an.

Die Parteien schenken sich im politischen Zweikampf nichts, und das Regierungsbündnis aus Fidesz-KDNP wird offen von Medien wie der Onlinezeitung Válasz („Auf Orbán kann sich Putin verlassen“) kritisiert. So viel zur angeblichen Einschränkung der Pressefreiheit, auf die Brüssel und Berlin gerne mit erhobenen Zeigefinder verweisen. Wird sich das Bündnis aus Fidesz und KDNP halten können, oder wird Péter Márki-Zay, der Kandidat des Oppositionsbündnisses, Viktor Orbán als Ministerpräsidenten von Ungarn ablösen?

Umfragen zeigen kein einheitliches Bild

Man fragt sich auch, wofür der Kandidat Márki-Zays eigentlich stehe, denn schließlich reicht das Spektrum seiner Unterstützerparteien von der rechtsradikalen Jobbik bis zu linksliberalen Parteien. Zyniker meinen, daß sich sein Wahlprogramm mit „Orbán muß weg“ zusammenfassen lasse.

Als er im Oktober aufgestellt wurde, sah es zeitweise gut aus, doch aus der anfänglichen Euphorie des Brüsseler Wunschkandidaten scheint nicht mehr viel übrig zu sein. Die Amtsinhaber sind wieder vorne auf und überlassen Márki-Zay auch nicht viele Themenfelder, die er besetzen könnte.

 Vor allem die Familienpolitik der Fidesz stößt auf großen Zuspruch in der Bevölkerung. Ganz zu schweigen von der Migrationsfrage sowie dem Grenzschutz. Zwei Themen, für die Viktor Orbán von Brüssel und Berlin wiederholt an den Pranger gestellt wurde. Doch gerade diese Themen sind den Ungarn genauso wichtig wie die innere Sicherheit. 

Deswegen versucht die Opposition es mit Wahlplakaten, auf denen steht: „Orbán geht, der Grenzzaun bleibt.“ Außerdem versprechen sie, die vermeintliche Korruption zu bekämpfen und eine pro-europäische Politik zu fahren. Dies sind nur einige Punkte. Das offizielle Wahlprogramm wird erst noch verabschiedet.

Vor einigen Wochen nominierte Viktor Orbán die parteiübergreifend beliebte Familienministerin Katalin Novák für das Amt des Staatspräsidenten als Nachfolgerin für János Áder. Die Vertreter der Opposition fielen eher durch verbale Entgleisungen auf, als sie versuchten, Novák zu diffamierten. Außerdem kritisieren sie, daß Ungarn ein zu gutes Verhältnis zu Rußland und China hätte und sowohl die Wirtschaft als auch Gesundheitssystem marode seien.

Offiziell beginnt der Wahlkampf erst am 12. Februar, doch letzten Freitagabend bat Csaba Gór, der Kandidat der Fidesz im 4. Budapester Wahlbezirk, zu einer Veranstaltung ins traditionelle Hotel Budapest, auch bekannt als „Körszálló“, im wohlhabenden Teil von Buda geladen. Csaba Gór hat sich dafür tatkräftige Unterstützung geholt.

Zusammen mit ihm auf dem Podium saßen der ungarische Finanzminister Varga Mihály und der Außenminister Péter Szijjártó. Der Saal war mit 300 Gästen bis auf den letzten Platz belegt. 

Gór betonte dann gegenüber der JUNGEN FREIHEIT auf dem Empfang nach der Veranstaltung: „Im April müssen die Wähler und auch die Bürger von der autochthonen ‘Ungarndeutschen’ Volksgruppe in meinem Wahlbezirk eine große Entscheidung treffen: sie können die Linkspopulisten unterstützen, deren Politik sich vorwiegend um die unwirkliche Umweltpolitik und falschen Lösungen dreht. Sie können sich aber auch für die christlich-konservativen Werte entscheiden und der stillen Mehrheit anschließen. Die konservative Weltanschauung bedeutet mir einerseits, die Stärke der Traditionen hervorzuheben und andererseits die nachhaltigen, umweltverträglichen Lösungen zu verwirklichen. Dagegen vertritt die Linke eine schädliche und verlogene Umweltpolitik, womit sie nur ihre Macht zurückholen will.“

Die Umfragen zeichnen kein einheitliches Bild. Während Meinungsforschungsinstitute wie etwa das regierungsfreundliche Nézőpont die Regierung gegenüber der Opposition haushoch überlegen sehen, liegt dem regierungskritischen Republikon-Institut zufolge die vereinigte Opposition an der Spitze. Andere Meinungsumfragen melden ein Kopf-an-Kopf-Rennen, sagen aber auch, daß die Regierungsparteien seit Januar zugelegt haben. Trotzdem wird es schwierig für Fidesz sein, seine Zweidrittelmehrheit aus den vorherigen Legislaturperioden zu bewahren.

Rein mathematisch gesehen haben die Oppositionsparteien bessere Chancen als bei den Wahlen 2014 und 2018. Das ungarische Mehrheitswahlrecht spielt ihnen in die Hände, denn dieses Mal stellen sie pro Wahlkreis jeweils einen gemeinsamen Kandidaten auf.

Doch neueste Umfragen ergeben, daß über 50 Prozent an eine Wiederwahl der amtierenden Regierung glauben. Und die anfängliche Popularität von Márki-Zay hat seit seiner Nominierung im Oktober 2021 eher ab- und nicht zugenommen. Ungarn gilt nicht unbedingt als das Land der Politischen Korrektheit, doch hat sich Márki-Zay einige verbale Ausrutscher geleistet. 

So bezeichnete er Fidesz-Anhänger sogar als „behindert“, und auch Antisemitismusvorwürfe wurden laut. Grund dafür ist nicht nur sein Zweckbündnis mit der Jobbik, sondern auch eine als zumindest bizarr anmutende Bemerkung auf Facebook über die Fidesz, in der er sagt, daß es „übrigens Juden in der Fidesz gibt. Nicht viele, aber immerhin“. Brüssel schweigt bis dato  hierzu. Kein Wunder, denn Márki-Zay ist Brüssels Fovorit. Ungarn wird seit Jahren mit einem „Rechtsstaatlichkeitsverfahren“ gedroht, und Finanzmittel aus dem Corona-Wiederaufbaufonds werden zurückgehalten. Dabei sind die Ungarn alles andere als EU-feindlich.

Die Rekordinflation macht Orbán zu schaffen

Gergely Gaal, Ministerialbeauftragter im Amt des Premierministers (KDNP), sagt dazu: „Wir Ungarn haben das christliche Europa seit tausend Jahren verteidigt, und deshalb ist es für uns wichtig, daß es so bleibt, wie wir es kennen, und daß es die Werte bewahrt, die Europa in der Welt Achtung und Bewunderung eingebracht haben. Dies sind entscheidende Zeiten, in denen die traditionellen Werte zunehmend angegriffen werden. Die auf Werten basierende christdemokratische Linie der Gründerväter der EU, darunter Konrad Adenauer und später Helmut Kohl, wird heute in der europäischen Politik am konsequentesten von der Fidesz-KDNP-Allianz unter der Führung von Viktor Orbán vertreten.“

Doch auch die Fidesz bekleckert sich nicht mit Ruhm im Wahlkampf. Auf den Straßen Budapests sind Plakate zu sehen, die den ehemaligen sozialistischen Ministerpräsidenten Ferenc Gyurcsány zeigen, wie er eine Miniaturausgabe von Márki-Zay als Marionette nutzt, die „Mini-Feri“ genannt wird.

Die Ungarn sind mit der im Vergleich zu Deutschland eher liberalen Corona-Politik zufrieden. Die Rekordinflation der vergangenen Monate könnte der Regierung jedoch noch zu schaffen machen. Sicherheitshalber wurden einige Preise gedeckelt, damit sich kein Unmut auf die Wahlen auswirken könnte.

Sollte sich der Negativtrend fortsetzen, wird es schwer für die Opposition um Márki-Zay. Kürzlich forderte er Amtsinhaber Viktor Orbán zu einem TV-Duell heraus. Eine Antwort steht noch aus.

Foto: Wahlplakat der Fidesz: Der sozialistische Ex-Ministerpräsident Ferenc Gyurcsány und eine Miniaturausgabe von Péter Márki-Zay als dessen Marionette