© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 07/22 / 11. Februar 2022

Grüße aus … Bozen
Im Regen stehen gelassen
Paul Decarli

Ganz Südtirol leidet unter Strom-preiserhöhungen. Ein Hauptaspekt für den Kostenanstieg sind dabei die stark gestiegenen Rohstoffpreise für Erdgas, welche hauptsächlich auf einen vermehrten Verbrauch von China zurückzuführen sind. Von diesen internationalen Entwicklungen ist auch das kleine Land im Gebirge nicht ausgenommen, was sicherlich bei dem einen oder anderen Kenner Südtirols für Naserümpfen sorgt. Denn eigentlich wäre Südtirol, durch seine stark ausgebaute Infrastruktur von Wasserkraftwerken, Biomasseanlagen, Solaranlagen und dergleichen de facto stromautonom. Wie kann es dann trotzdem sein, daß die Kosten von durchschnittlich 20,06 Cent je Kilowattstunde (kWh) im Jahr 2021 auf 46,03 Cent je Kilowattstunde (kWh) im Jahr 2022 angestiegen sind? 

Um eine Antwort auf diese Frage zu geben, muß man zuerst das System des italienischen Stromhandels verstehen: In Italien sind alle Stromproduzenten, welche Teil des staatlichen Stromnetzes sind, gesetzlich verpflichtet, ihren Strom an der Strombörse zu verkaufen und alle Unternehmen, welche Strom kaufen wollen, müssen den Strom dort zum einheitlichen Großhandelspreis beziehen. Und hier liegt der Kern des Problems, denn Südtirol ist Teil des staatlichen Stromnetzes – und das völlig ohne Grund.

Verbraucherschützer kreiden diesen politischen Leichtsinn auf Kosten der Bürger scharf an.

Bereits mit dem zweiten Südtiroler Autonomiestatut aus dem Jahre 1972 wurde Südtirol selbst die Handhabe in puncto Strom überlassen und die Möglichkeit eingeräumt, eine eigene Regulierungsbehörde für den Bereich zu schaffen, welche die Grundlage zum Stromhandel bildet.

Mit Leben gefüllt wurde diese gesetzliche Möglichkeit nie. Es gab zwar immer wieder politisch vermarktete Erfolgsgeschichten, wie im Jahr 2016 die Gründung der landeseigenen Energiegesellschaft Alperia, doch zeigt sich in der aktuellen Stunde der Not deren Machtlosigkeit. Verbraucherschützer kreiden diesen politischen Leichtsinn auf Kosten der Bürger scharf an und führen dabei gern Innsbruck (Nordtirol) ins Feld, wo dank der Kommunalbetriebe nur ein sehr geringer Preisanstieg zu verzeichnen ist.

Man könnte jetzt noch dem wirtschaftlichen Gedanken folgen, daß die Südtiroler Energiegesellschaft Alperia durch den Verkauf von Strom aus erneuerbaren Energien im Gegensatz zu Gaskraftwerken, welche deutlich höhere Produktionskosten haben, unterm Strich zumindest einen großen Gewinn einfährt. Doch auch das ist nicht der Fall, denn der Staat hat mit einem Gesetzesdekret kurzerhand festgelegt, daß die Zusatzgewinne, die Produzenten von erneuerbaren Energien aufgrund der gestiegenen Strompreise haben, an den Staat abgeführt werden müssen. Und so steht der Südtiroler Verbraucher am Ende gleich doppelt im Regen – den Regierungen in Bozen und Rom sei Dank.